XXIV. Die Jahre 1825 und 1826. Italienische Reise.

[274] Und in des Herrn Namen war das Jahr 1825 ein besseres als das verflossene für mich, es war eines der glänzendsten und glücklichsten meines Lebens durch meine italienische Reise und durch die Geburt meines zweiten Sohnes Max, wenn auch in den Beginn desselben die Trauer über den Tod meiner zweiten Tochter Rosalie noch tief herein schattete. Die italienische Reise war das große Interesse, welches dieses Jahr ausfüllte, auch die Art, wie sie veranlaßt wurde und wie ich, um die Erlaubnis dazu zu erhalten, einen vorüberziehenden Sonnenblick Metternichscher Gunst benützte, ist erzählenswert. Am zweiten Sonntag des Jahres kam Fürst Metternich in seiner Abendgesellschaft auf mich zu und sagte, er habe vom Konsul in Patras ein Schreiben Lord Byrons an den Pascha von Patras und den Talisman erhalten, auf welchen Byron so abergläubisch gewesen ist. Ich möge am folgenden Morgen die beiden Stücke in seinem Kabinette abholen.

Das türkische Schreiben, welches Lord Byron ein Jahr vor seinem Tode an den Pascha von Patras gerichtet hatte, bat um die Befreiung von Leuten, welche vom Pascha aufgehalten worden waren. Der Talisman, welchen Lord Byron in einer goldenen Kapsel an schwarzer Schnur um den Hals trug und den er mit zwei Goldstücken dem Eigentümer des Hauses, in dem er starb, zum Andenken hinterlassen hatte, war ein schmaler Streifen Papier, worauf in arabischer Schrift der Pakt des Satans mit Salomon geschrieben war, durch den sich jener verbindlich machte, keinem, der dieses Amulett auf sich trage, zu schaden. Fürst Metternich war über diesen Fund höchst erfreut und mit meiner Übersetzung des türkischen Schreibens und des arabischen Talisman so zufrieden, daß ich den Augenblick für günstig hielt, ihn um die Erlaubnis und um die Gelegenheit einer Reise nach Italien zu bitten, wohin er im Frühjahr den Hof begleiten[274] sollte und die er mir leicht gewähren konnte, indem er mich unter die ihn begleitenden Beamten der Staatskanzlei aufnahm oder mir eine Kurierfahrt nach Mailand gab. Meine Bitte wurde sogleich bewilligt. Der Fürst verlangte, daß ich einen Aufsatz für die ›Allgemeine Zeitung‹ über Byrons Talisman schreibe, der auch im März des Jahres erschien. Der Pakt des Satans mit Salomon erschien mir ein allgemein übliches Amulett zu sein, ich wandte mich deshalb an den Gesandtschaftsdolmetsch Raab in Konstantinopel und er schickte mir wirklich ein Amulett, das von dem Lord Byrons nur ganz wenig abwich. Am 7. Februar 1825 erhielt ich ein für mich erfreuliches Schreiben des Prälaten von Admont Gotthard Kuglmayr. Schon vor einigen Jahren hatte ich gehofft, daß die Stände Steiermarks mich zum Herrn und Landmann ernennen würden. Erzherzog Johann und die Gräfin Purgstall hatten darüber auch mit dem Landeshauptmann Graf Attems gesprochen, der aber erklärte, daß er mit dem besten Willen meinen Wunsch nicht erfüllen könnte, da nach einer alten Verordnung der Kaiserin Maria Theresia die Landmannschaft nur wirklichen Rittern erteilt werden dürfe. Seit ich den Leopoldsorden erhalten, waren sechs Jahre verflossen, ich hatte mich nie dazu bewegen lassen, die nötigen Schritte bei der Hofkanzlei zu tun, um den Ritterstand auf Grund dieses Ordens zu bekommen. Durch den Brief des Prälaten wurde meine Hartnäckigkeit gebrochen. Ich machte ein Gesuch um die taxfreie Verleihung des erbländischen Ritterstandes und um eine symbolische Wappenverbesserung, die mir beide gewährt wurden. In dem dreigeteilten unteren Schild meines väterlichen Wappens setzte ich eine Lilie, Sonne und Mond und die Schlange, deren Windungen den arabischen Schriftzug H.M.R. bildet, als Hammer gelesen werden kann, das Verdopplungszeichen ist durch die dem Kopf der Schlange aufgesetzte Krone dargestellt. Noch im selben Jahre wurde ich zum Herrn und Landmann von Steiermark ernannt.

Fürst Metternich war am 5. März nach Paris abgereist und kam dort gerade eine Woche vor dem Tode seiner Gattin an. Im nächsten Monat traf er in Mailand ein, am 6. Mai wurde ich zur Kurierfahrt nach Mailand bestimmt.[275]

Den Weg von Wien nach Mailand legte ich in sechsundneunzig Stunden zurück. Nach allem, was ich über Italien gelesen, war mir der Versuch einer Reisebeschreibung ganz überflüssig erschienen, ich ließ meinen poetischen Eingebungen freien Lauf und so entstand die poetische Reisebeschreibung ›Italia‹, die fünf Jahre später in Deutschland erschien. Zum elegischen Versmaße des Hexameters und Pentameters bestimmten mich Goethes ›Römische Elegien‹, und nachdem ich einmal damit begonnen, war es mir unmöglich, in ein anderes zu finden. Ich hatte Unrecht, diesen Elegien den Namen ›Ständchen‹ zu geben. Ich nahm ihn von den Makamen Hariris her, wo er der Begriff von Gedichten des Standoder Reiseortes, dem aber das deutsche Wort nicht entspricht. Um elf Uhr abends fuhr ich durch die Porta Italiana in Mailand ein, am gleichen Abend war der Kaiser angekommen, und in der ganzen Stadt brannten ihm zu Ehren Lustfeuer. Vor dem Palazzo Zerbelloni, wo Fürst Metternich wohnte, stieg ich ab. Erst nach Mitternacht kam der Fürst und ich gab ihm die Depeschen, die ich mitgebracht. Bald nach meiner Ankunft sah ich in der Scala, die mit 1200 Wachskerzen erleuchtet war, das Ballett aus der Loge des Gouverneurs Grafen Wickenburg. An den Vormittagen besah ich die Sehenswürdigkeiten und suchte Gelehrte auf, deren Bekanntschaft mir wünschenswert erschien. Darunter war der orientalische Numismatiker Graf Castiglione, der Geschichtsschreiber Bossi, der Biograph der berühmten italienischen Geschlechter Pompeo Litta, die Bibliothekare Geroni und Ferrario auf der Bibliothek der Brera, der Abbate Mazuchelli auf der ambrosianischen, auf der ich die vorzüglichsten orientalischen Handschriften durchsehen durfte.

Am 25. Mai war Corso notturno, eine beleuchtete abendliche Spazierfahrt auf dem Korso außerhalb der Stadt. Der ganze Korso war mit Feuern und Lampen, Obelisken, Säulen, Vasen und Opferpfannen geschmückt, von den Bäumen hingen vielfarbige Ballons erleuchtet hernieder. Erst nach dem Korso um elf Uhr begann der Salon des Fürsten, dessen Honneurs die Marchesa Trivulzio, eine Nichte des Fürsten Sinzendorf, machte. Die Bekanntschaft mit ihrem Gatten, einem wahren Mäcen lombardischer Gelehrter und Besitzer großer[276] Sammlungen von Büchern, Handschriften, Gemälden und Altertümern, war für mich die interessanteste in ganz Mailand, ich verbrachte viele Tage in seinem Hause und in seinen Sammlungen und fuhr mit ihm auch in die Umgebung, so in die Villa Serbelloni, wo die Statue des Pompejus steht, ein Seitenstück zur römischen im Palazzo Farnese. Am Abend des Korsos leerte sich der Salon bald, nur der Gouverneur von Mailand Graf Strassoldo, Graf Bombelles und ich blieben zurück. Ich lenkte das Gespräch auf die ›Jahrbücher der Literatur‹, die nie auf einen grünen Zweig kommen würden, solange ein Phantast wie Buchholtz sie redigiere, während die ›Bibliotheca Italiana‹ sich des besten Rufes und Gedeihens erfreue. ›Ja,‹ sagte der Fürst, ›Buchholtz ist ein literarischer Phantast, aber wo ist ein anderer Redakteur?‹ ›Den haben Eure Durchlaucht in Hülsemann, der weder ein religiöser noch politischer Phantast ist, sondern ein aufgeweckter Kopf und eine gewandte Feder.‹ Der Fürst stimmte mir zu. Noch von Mailand aus bekam Buchholtz durch Gentz den Wink, die Redaktion niederzulegen, und diese wurde Hülsemann überwiesen, aber bei diesem Redakteurwechsel war nur wenig gewonnen.

Ich wartete der Erzherzogin-Kaiserin Marie Louise auf, bei der ich durch ihren Gemahl, den Grafen Neipperg, bestens empfohlen war. Graf Neipperg war durch sein ritterliches Wesen und seine außerordentliche Liebenswürdigkeit eine interessante Erscheinung. Ich weihte ihm stets die größte Hochachtung. Der Erzherzog-Kaiserin bin ich zu Dank verpflichtet, nicht nur für den Orden, mit dem sie mich ausgezeichnet, sondern auch für das Interesse, das sie jetzt an meiner italienischen Reise nahm und für die sie beim Fürsten wirkte. Der Fürst hatte sie mir schon in Wien zugesagt und hatte auch in Mailand einmal die Bemerkung gemacht: ›Wenn Sie nach Rom kommen – –‹ In der Audienz hatte Marie Louise von den achttausend orientalischen Handschriften ihrer Bibliothek gesprochen, und ich hatte sie gebeten, gelegentlich bei Seiner Majestät dem Kaiser vorzubringen, er möge erlauben, daß ich auf der Rückfahrt der mir versprochenen Kurierreise über Parma fahre. Schon am folgenden Tage kam die Erzherzogin auf mich zu und sprach[277] von dem Talisman Lord Byrons, sie sagte mir, daß sie mit dem Kaiser gesprochen, dieser aber gar nichts von einer Kurierreise wisse, daß es aber mit einem Besuche Parmas gar keine Schwierigkeiten haben werde. Am folgenden Tage ging ich zum Fürsten Metternich und er sagte mir: ›Die Erzherzogin Marie Louise hat mit dem Kaiser Protektionen für Sie besprochen und es hat keinen Anstand, daß Sie auf Ihrer Rückreise Parma besuchen. Der Hof geht auf zehn Tage nach Genua, um dort dem Fronleichnamsfest beizuwohnen, wenn Sie wollen, können Sie unterdessen nach den Seen und Inseln oder nach Turin fahren, um das dortige ägyptische Kabinett zu sehen.‹ Ich zog die Fahrt nach Turin vor, das mich sehr entzückte, besonders die hohen und schönen Säulen des königlichen Archivs, des schönsten, das ich je gesehen habe.

In die Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied ich erst seit kurzem war, führte mich der Abbate Peyron ein, und ich machte eine Sitzung mit, deren Vorsitz die durch Dichtung und Altertumsforschung bekannte Marchesa Saluzzi führte. Den Schatz ägyptischer Altertümer zeigte mir der Kustos dieser Sammlungen, Herr San Quintino.

Nach der Rückkehr des Hofes nach Mailand begannen die von der Stadt und den Großen gegebenen Feste, die volle drei Wochen bis Ende des Monates Juni dauerten. Ein glänzender Ball im Casino dei Nobili, einer der Negozianti, einer beim Vizekönig, beim Fürsten Litta, beim Gouverneur, beim Grafen Batthyany und beim Fürsten Metternich. Ich wohnte allen bei, bis auf den Ball des Fürsten, der mich erst unmittelbar vor seiner Abreise abfertigen wollte.

Am 24. Juni verließ ich Mailand, reiste nach Bologna und wandte mich dem Meere zu, ich fuhr über Cesana, Rimini, Ancona, Loretto, Terni nach Rom, wo ich nach sechsundneunzig Stunden ankam. Schon zwei Stunden vor Rimini hoben mir kühle Lüfte angenehm den Atem, es waren die des Meeres. Auf meinem Wege sah ich den Hafen von Ancona und den berühmten Wallfahrtsort der Christenheit Loretto, den Tempel des Vertumnus und den Wasserfall von Terni. In Ancona war allgemeine Beleuchtung der Stadt, der Jahrestag des Wunders der Madonna wurde gefeiert, welche die[278] Augen bewegt. Ich bestieg den Hügel, auf dem die Nische des Madonnenbildes steht, auf dessen kristallene Augen ein so magischer Schimmer des Lampenlichtes fiel, daß es nicht vieler Einbildung bedurfte, um eine Bewegung der Augen zu sehen. In Rom traf ich am Vorabend von Peter und Paul ein. Ich besuchte den österreichischen Geschäftsträger, den Herrn von Genotti, dem ich die Depeschen übergab, den Bankier Torlonia, für den ich Kreditbriefe meines Schwiegervaters hatte, und den russischen Gesandten Herrn von Italinski.

Am Abend sah ich das herrliche Schauspiel der beleuchteten Peterskuppel und am folgenden Morgen die große kirchliche Feier des zu St. Peter pontifizierenden Papstes und die Erteilung des Segens. Am Abend setzte ich im Mondschein meine Reise nach Neapel fort und sah das Pantheon, das Colosseum und die lateranische Kirche in seinem Silberlicht. Nur vierzehn Tage hatte ich für Neapel. Ich gab Depeschen und Empfehlungsbriefe beim Kommandierenden, dem Feldmarschalleutnant Freiherrn von Koller, ab und wurde von ihm für alle Tage zu Mittag geladen. Noch am selben Tage sah ich den See von Averno, die Solfatara und den Serapistempel. In der Nacht stieg ich auf den Vesuv. Einen Empfehlungsbrief von Italinski an den Cavaliere Arditi gab ich ab und installierte mich auf der Bibliothek des Museo Barbarino, um einen Katalog der dort befindlichen Handschriften anzufertigen. Dazu bedurfte ich einer Genehmigung des Ministeriums, die auch erfolgte, jedoch nur dahingehend, daß ich die Handschriften besehen, aber keine Auszüge aus ihnen machen dürfe. Ich kehrte mich nicht an das Verbot und hinterließ bei meiner Abreise einen vollständigen Katalog der Handschriften. Am 16. Juli war ich in Rom zurück. Italinski lud mich ein für alle Male zu Tisch ein. Auch in Rom mußte ich mit meiner Zeit haushalten, ich wollte täglich vier Stunden auf der Vaticana arbeiten und zur Besichtigung der Merkwürdigkeiten blieben also nur die Morgenstunden über. Die Stunden, die ich auf der Vaticana während meines sechzehntägigen Aufenthaltes verbrachte, gehören zu den schönsten, die ich je auf einer Bibliothek verbracht habe. Die große Sonnenhelle war durch[279] Rolladen gedämpft, die heilige Stille war nur vom Rauschen der Springbrunnen vor dem Vatikan angenehm unterbrochen, die Wandgemälde mit ihren Darstellungen der Stifter der Bibliothek, der Konzilien und der Erfinder belebten neuen Eifer. Der Geist des großen Papstes Sixtus V., der sie gegründet, schwebte durch ihre Räume. Eines Morgens holte mich der Staatssekretär Somaglia und lud mich ein, in seinem Palast dem Segen beizuwohnen, den der Papst dem durchmarschierenden kaiserlichen Regiment Gyulay erteilte. Ich war ganz beschämt, als der fünfundachtzigjährige Kardinal es sich nicht nehmen ließ, mich wieder auf die Bibliothek zurück zu begleiten.

Von Rom fuhr ich nach Florenz und ruhte mich dort vierzehn Tage von den Beschwerden Roms aus. In den Morgenstunden arbeitete ich abwechselnd auf der Laurentiana oder der Magliabecchiana. Dort brachte man mir eine morgenländische Handschrift, die ungebunden zwischen zwei Brettern von Zypressenholz verwahrt und durch dieses Holz gegen Würmer geschützt war. Dies brachte mich auf den Gedanken, meine Handschriften in unbezogenem, glatt gehobeltem Zypressenholz mit vergoldetem Rücken aus rotem Maroquin binden zu lassen. In Florenz ist das Zypressenholz so gemein, daß das Tafelwerk vieler Häuser daraus besteht, und ich ersetzte meinen Koffer durch eine Kiste aus diesem Holz. Ich konnte damit ein Hundert meiner orientalischen Handschriften binden lassen. Nach vierzehntägigem Aufenthalt in Florenz setzte ich meine Reise nach Bologna fort. In Bologna besuchte ich den Kardinal Albani, der mich für alle Tage meines Aufenthaltes zu Tisch lud, ich besuchte auch das Sprachwunder, den Abbate Mezzofanti, der damals fünfunddreißig Sprachen nicht nur verstand, sondern auch sprechen konnte. Ich bewunderte die Treue, womit sein Ohr die Aussprachen und den jeder Sprache eigentümlichen Akzent aufgenommen hatte, nachdem ich eine Weile mit ihm persisch gesprochen hatte, sagte ich ihm: ›Sie haben Persisch von englischen Offizieren gelernt, die aus Indien zurückkamen.‹ Er war ganz erstaunt, daß ich dies aus seiner Aussprache erkannt hatte. Mezzofanti führte mich in die Bibliothek des Institutes ein, einer der großartigsten wissenschaftlichen[280] Einrichtungen, deren Gründer, der Graf Marsigli, einer der vielseitigsten praktischen Gelehrten seiner Zeit war. Aus der Unordnung der orientalischen, seiner Vaterstadt vermachten Handschriften und aus dem gedruckten Kataloge derselben wurde mir sofort klar, daß diese Unordnung die ursprüngliche einer türkischen Bibliothek. Diese Bemerkung wurde vom Bibliothekar bestätigt, er teilte mir den Stiftungsbrief mit, in welchem beschrieben ist, wie Marsigli bei der Eroberung Ofens den alten Scheich-Kustos in der Bibliothek sitzend gefunden und die zwei mit Handschriften gefüllten Kabinette in der großen Moschee vor Feuer und Plünderung gerettet hatte. Mezzofanti versprach mir eine Abschrift dieses Stiftungsbriefes zu verschaffen, dagegen protestierten aber die Aufseher der Marsiglischen Stiftung. Ihre auch gegen den Botschafter Graf Lützow aufrechterhaltene Weigerung kann nur mit der Furcht erklärt werden, das diese Urkunde den kaiserlichen Hof zur Forderung der Abtretung aller orientalischen Handschriften hätte veranlassen können, denn Marsigli hatte sicher kein Recht, die Bibliothek Ofens, welche wie die Festung des Kaisers Eigentum war, zuerst als Privatbesitz zu behandeln und dann seiner Vaterstadt zu vermachen. Die Antwort an den Botschafter Graf Lützow war: ›Man behalte sich vor, die Urkunde selbst in Bologna herauszugeben.‹ Ich brachte eine Woche in Bologna zu und machte von dort einen Abstecher nach Ravenna, wo ich an Theoderichs Grab weilte und an den Gräbern von Honorius und Dante. Der dortige Bibliothekar Saporetti verhalf mir dazu, daß ich die Inschriften eines sieben Schuh im Durchmesser messenden ledernen türkischen Tafeltuches lesen konnte, es war auf dem Plafond aufgehängt. Die Inschriften sind aus der Zeit der schönsten türkischen Kalligraphie, sie zu entziffern brauchte viel Zeit und Fleiß, ebenso wie die arabischen Inschriften auf den ägyptischen Trinkgeschirren auf der Bibliothek des Institutes zu Bologna.

Von Bologna fuhr ich nach Ferrara und Parma. Durch die Güte des Grafen Neipperg wurde ich in Parma ehrenvoll empfangen. Der Hof war nicht in der Stadt, sondern wohnte auf dem Lustschloß von Sala. Ein Hofwagen holte mich von[281] meinem Gasthofe in die Burg ab, wo ich während meines Aufenthaltes wohnen und leben sollte. Ich wurde nach Sala zum Speisen geladen und fuhr mit unterlegten Hofpferden dahin. Bei Tisch saß ich zwischen der Kaiserin und Graf Neipperg. Dieser ließ mich auch nach Fornovi fahren, um dort die Templerkirche anzusehen. Ich verlebte in Parma eine sehr angenehme Woche auf der Bibliothek und im Antikenkabinett und sah alle Merkwürdigkeiten der Stadt. Ich fuhr über Cremona, um die Architektur des Domes und den merkwürdigen Tierkreis an diesem zu sehen, den ich in meinem ›Memoire sur les monuments de Mithras‹ besprochen habe. In Mantua sah ich die Gemälde Mantegnas und die Lorenzo Costas im Palazzo del Te. In Verona ging ich ins Amphitheater und ins Museo Maffei. In Venedig hielt ich mich nur kurz auf und fuhr dann über Görz-Triest-Laibach-Pettau und Radkersburg zu meiner Freundin, der Gräfin Purgstall. In Hainfeld ruhte ich vierzehn Tage von den Anstrengungen dieser Reise aus.

Am 7. Oktober kam ich nach Wien zurück und dankte sogleich dem Fürsten Metternich für die mir zu dieser Reise gegebene Erlaubnis und die Mittel dazu. In Wien fand ich drei Diplome gelehrter Gesellschaften, der von Kopenhagen, von Madras und der neuerrichteten Royal Society of literature in London. Sogleich nach meiner Ankunft in Wien arbeitete ich an der Fortsetzung meiner Geschichte des Osmanischen Reiches. Der erste und zweite Band waren abgeschrieben und vom Zensor durchgelassen worden, nun kamen sie von der Zensur der Polizeihofstelle zu der der Staatskanzlei; gerieten sie in Gentz' Hände, so hatte ich ein gleiches Los zu erwarten wie die Schnellersche Geschichte, als erklärter Türkenfreund und Griechenhasser würde er die wahrheitsgetreue Darstellung der von den Osmanen bei der Unterjochung Griechenlands verübten Grausamkeiten und Tyrannei nie zum Druck geeignet befunden haben. Ich streute der Eitelkeit des alten Staatsrates Stürmer Weihrauch und bat ihn, er möge die Handschrift selbst durchsehen und dies nicht in orientalischen Dingen ganz unbewanderten Gentz überlassen. Die Bitte schmeichelte Stürmer und er versprach, mein Werk selbst in politischer Hinsicht zu zensurieren.[282] Ich wußte ohnehin, daß er es gar nicht lesen und sich mit der ersten Zensur der Polizeihofstelle zufrieden geben würde. Schon nach sechs Wochen erhielt die Polizeihofstelle das Manuskript zurück. Den gleichen Weg ging ich bei den späteren Bänden.

Die literarische Ausbeute der Reise war außer den Briefen über die Literatur die ›Italia‹, die bibliographische die ›Bibliotheca Italiana‹, in welcher über die vorzüglichsten Handschriften der Bibliotheken von San Marco, der vatikanischen und barberinischen in Rom, der Ambrosiana in Mailand, des Museo Burbonico in Neapel und den Bibliotheken von Turin und Pavia berichtet wurde. Ich hatte auf meiner Reise im ganzen siebenundzwanzig Bibliotheken besucht und bei meiner Rückkehr darüber ausführlich dem Fürsten Metternich Bericht erstattet, in der Hoffnung, mich dadurch von den anderen Mitbewerbern für den Posten des Präfekten der Hofbibliothek befähigt zu erweisen. Fürst Metternich gestand mir die Befähigung zu, sagte aber, daß er auf die Besetzung keinen Einfluß nehmen könne, weil der Posten von der Kaiserin schon dem Grafen Dietrichstein zugesagt worden sei.

Durch meine unterschiedlichen Bekanntschaften mit Gelehrten und Bibliothekaren in Italien, die ich um Auskünfte für meine osmanische Geschichte gebeten, war mein Briefwechsel in diesem Jahre um mehr als ein Drittel vermehrt worden. Die für mich wichtigsten waren die von Pompeo Litta und Abbate Bettio, die mir seltene italienische Werke verschafften.

Eines Tages sprach ich mit Erzherzog Johann darüber, daß Fürst Metternich in letzter Zeit öfter und regelmäßiger nach Hof gehe als sonst. ›Das will ich Ihnen sagen,‹ antwortete der Erzherzog, ›er gibt dem Kronprinzen und dem Erzherzog Karl zweimal die Woche Unterricht in der Politik und Regierungskunst.‹ Die Wahrheit dieser Mitteilung wurde mir in der Staatskanzlei bestätigt, der Fürst ging zweimal die Woche in die Kammer der Erzherzoge und hielt dort meist über eine Stunde Unterricht. Als ich wieder zum Erzherzog kam, sagte ich: ›Darf ich Eurer Hoheit den Inhalt[283] der Lehrstunden des Fürsten sagen? Er begann seinen politischen Kurs damit: Gnädigste Herren! Ohne viel Umschweife zur Sache! Die Kunst, Völker zu beherrschen und Staaten zu regieren ist ganz gewiß die wichtigste und schwerste. Die wahre Grundlage derselben und die Politik ist das tiefste, unverbrüchlichste Geheimnis, also gnädigste Herren vor allem das unverbrüchlichste Stillschweigen über alles, was Sie aus meinem Munde hören, gegen alle Ihrer Umgebung, gegen Ihre Obersthofmeister, gegen alle Minister, gegen alle Erzherzoge, Ihre Oheime, besonders gegen Erzherzog Johann. Hernach, gnädigste Herren, kommt alles auf die Werkzeuge an, deren sich die Politik und Regierungskunst zur Erreichung ihrer hohen Zwecke bedient. Diese Werkzeuge sind die Männer des Staates, diese und ihre Gesinnung zu kennen, um zu wissen, inwieweit sie brauchbar und dienstlich, ist die Hauptsache. Allen Literaten die Exklusive für immer. Wir wollen nun die Minister durchmustern: der Oberstkanzler Graf Saurau ist ein Erzliberaler, dessen Name schon dadurch, daß er auf der Liste der Illuminanten gestanden, für immer gebrandmarkt ist – – usw.‹ Der Erzherzog lachte sehr über den Spaß. Diese Unterrichtsstunden dauerten nur einen Winter, sei es, daß die Schüler, sei es, daß der Lehrer von diesem halbjährigen Kurs genug hatten.

Da Gentz und Prokesch entschiedene Gegner der Griechen waren, hatten sie ausschließlich das Ohr Metternichs in der türkischen Politik, und ebenso hatte es Ottenfels, der jetzt Geheimer Rat wurde.

Über die Herausgabe des Meninskischen Onomastikon hatte ich schon vor sieben Jahren ein Gutachten erstattet und sie war mir damals schon zugedacht und aufgetragen worden, ohne daß ich es gewünscht hätte. Stürmer bemühte sich nun, mir diese mühevolle und undankbare Arbeit aus den Händen zu nehmen, um sie meinem ehemaligen Lehrer Chabert zuzuschanzen. Dies geschah hinter meinem Rücken, ohne daß ich auch nur gefragt worden wäre. Ende Jänner kam ein Handbillett des Kaisers, das dem Fürsten Metternich auftrug, mir darüber ein Gutachten abzufordern. Dieses Handschreiben hatte der Staatsrat Stifft veranlaßt, an den,[284] als höchste wissenschaftliche Behörde, alle auf die Wissenschaften bezughabende Vorträge kamen. Zur Kenntnis des früher bereits Verhandelten und Veranlaßten wollte er sich Aufklärung über die ganze Angelegenheit verschaffen. Wiewohl mir dieses Handbillet nicht viel schaden konnte, so nützte es mir auch nicht zur Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches, die Stelle des Präfekten der Hofbibliothek zu erhalten. Metternich hatte zwar gesagt, er habe darüber dem Kaiser einen Vortrag erstattet, in Wirklichkeit unterstützte er den Grafen Moritz Dietrichstein, dem die Kaiserin die Stelle zuwenden wollte, er unterstützte ihn schon aus dem Grunde, weil Staatsrat Stifft sie ehrenhalber zu bekommen wünschte, weil sie van Swieten, der Leibarzt der Kaiserin, und dessen Sohn bekleidet hatten.

In diesem Sommer arbeitete ich an der Geschichte Suleimans, des Gesetzgebers, und seines Sohnes Selim, welche den dritten Band der osmanischen Geschichte bildet, ihr Glanzpunkt, aber zugleich wegen der Menge und des Reichtums der Quellen eine weitläufige und mühevolle Arbeit. Da ich daran nie in der Stadt, sondern nur am Lande komponierte und in der Stadt nur leichtes Zeug, wie Reime für die Jahrbücher der Literatur und dergleichen, diktierte, wünschte ich, sobald als irgend möglich, das uns von meinem Schwiegervater überlassene kleine Haus in Döbling zu beziehen.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 274-285.
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