XVII. Frau von Staël. August Wilhelm Schlegel.

[200] Eine Frau ganz anderer Art als Frau von Genlis1 war freilich Frau von Staël, welche fünf bis sechs Jahre später in Berlin war als Jene, und zu welcher ich in mannichfachen Beziehungen gestanden habe. Es ist nicht möglich, sich eine lebendigere und geistreichere Unterhaltung zu denken als die ihre. Allerdings aber wurde man von ihr fast bis zum Uebermaß mit Geistesblitzen überschüttet. Und nicht minder lebhaft als im Antworten war sie im Fragen, ja ihre Fragen folgten einander mit solcher Schnelligkeit, daß es kaum möglich war ihr genügend zu entgegnen. Ihr unersättlicher Durst nach Vermehrung ihrer Kenntnisse ließ ihr keine Ruhe, aber ihre Sucht, den subtilsten Geist welcher aus den Tiefen der Wissenschaft aufsteigt im Fluge von der Oberfläche wegzuhaschen, war schon bei ihrer Auwesenheit in Berlin Gegenstand leichten Spottes, und dieser blieb ihr nicht immer verborgen. Prinz August fragte sie einmal in meiner Gegenwart: ob sie denn nun schon glücklich[201] in den Besitz der ganzen Fichte'schen Philosophie gelangt sei? – »Oh, j'y parviendrai!« antwortete sie mit großer Entschiedenheit, zugleich aber auch mit einer Schärfe des Tons, welche bewies daß sie die Meinung des Fragenden wohl verstanden hatte.

Mit dieser Fichte'schen Philosophie hat sie manche gute Leute nicht wenig gequält. – Ich begegnete eines Tages dem Professor Spalding, dem Philologen. »Ach«, rief er mir schon in der Entfernung einiger Schritte entgegen, »morgen steht mir ein saueres Diner bevor! – Im Laufe desselben soll ich ein Werk, das ich nicht ganz verstehe, in eine Sprache übertragen, die mir nicht geläufig ist.« – Und es ergab sich, daß er zu Frau von Staël eingeladen war, um ihr beim Diner so nebenher ein philosophisches Werk Fichte's in französischer Sprache beizubringen.

Ein Diner, und zwar bei der Herzogin von Kurland, war es auch, bei welchem ich ihre Bekanntschaft machte, und zwar ein sehr interessantes, denn in der nur kleinen Gesellschaft befand sich außer ihr und Johannes Müller noch Prinz Louis Ferdinand.

Ich sah sie seitdem öfter bei mir. Sie hatte kaum August Wilhelm Schlegel kennen gelernt, als der Wunsch daß er sich ihr auschließe und sie begleite sehr rege in ihr ward, und da Schlegel demselben Anfangs nicht entsprechen wollte, so bat sie mich ihn dazu zu bestimmen. – »Vous avez quelque ascendant sur lui!« sagte sie mir. – »Ich will ja nichts von ihm, als daß er meinen Sohn und meine Tochter im Deutschen unterrichte, alle übrige Zeit soll ihm ja bleiben! – Er schützt die Uebersetzung des Shakespeare vor. Aber ich sehe die Nothwendigkeit nicht ein«, rief sie[202] mit großer Lebhaftigkeit, »den englischen Dichter eben in der Hauptstadt Preußens zu übersetzen!« –

Es konnte ihr jedoch nicht lange verborgen bleiben, daß es in der That nicht der englische Dichter, sondern eine berlinische Dame war, was ihn an Berlin fesselte. Schlegel hing mit zärtlicher Freundschaft an Sophie Bernhardi, geb. Tieck, nachherigen Frau v. Knorring. Sobald Frau vou Staël dies erfahren hatte, drang sie in mich, Schlegel und seine Freundin zu mir einzuladen, damit sie die Letztere kennen lerne. Vergebens stellte ich ihr vor, daß Frau Bernhardi nicht französisch spreche, während sie das gesprochene Deutsch nicht verstehe. »Je la verrai parler!« – rief sie mit ihrer überwältigenden Lebhaftigkeit. – Ich mußte nun eine größere Gesellschaft einladen, um durch sie die Absicht der Frau von Staël möglichst zu maskiren.

Ein Wunder wäre es jedoch gewesen, hätte Frau Bernhardi nicht bemerken sollen worauf es abgesehen war. Denn kaum hatte sie irgend etwas gesprochen, so rief Frau von Staël Schlegeln auf's Lebhafteste zu: »qu'est ce-qu'elle dit?« – und Dieser, der hinter ihrem Stuhle stand, mußte das Gesagte übersetzen. Dabei verfuhr er denn aber aus Treue so treulos als möglich. Denn hatte Frau Bernhardi irgend etwas gesagt was möglicherweise der Staël nicht behagen konnte, so gab er etwas Anderes dafür. Dies erregte dann in der Gesellschaft ein Lächeln, von welchem ich befürchten mußte, daß es der Frau vou Staël, weil sie es eben nicht zu deuten wußte, befremdlich werden könnte. Um daher einer möglichen größeren Unannehmlichkeit vorzubeugen, benutzte ich eine Gelegenheit, dem trügerischen Dolmetscher in scherzendem Tone das Handwerk zu[203] legen. Als nämlich Frau Bernhardi einmal behauptete, die französische Sprache sei eine durchaus unmusikalische, und für den Gesang im Geringsten nicht geeignet, Schlegel aber auf das: qu'est-cequ'elle dit? der Frau von Staël, der Anderen eine Aeußerung in den Mund legte, welche einem Lobspruch auf das melodische Element in der französischen Sprache ziemlich ähnlich sah, berichtigte ich den Uebersetzer, und machte so den Fragen der Frau von Staël ein Ende, die sich alsdann in der That hinsichts der Frau Bernhardi mit dem voir parler begnügte. –

Frau von Staël gab während ihres Anfenthalts in Berlin an jedem Freitage eine Soirée, aber sie lud jedesmal nur drei Damen dazu ein. Ich gehörte öfter zu den Eingeladenen, und erinnere mich des letzten dieser Abende als eines vorzugsweise geistvollen und anregenden. Die drei weiblichen Mitglieder der Gesellschaft waren diesmal, außer der Wirthin, die Herzogin von Kurland, Frau von Berg und ich. Besonders geistreich und liebenswürdig erwies sich an diesem Abende Prinz Louis Ferdinand; wie er denn überhaupt einer der liebenswürdigsten Fürsten war. Es ist wahr, daß er bei alledem einen gewissen Ton de corps de garde nie völlig unterdrücken konnte. Doch machte ihn dieser nicht irgend unangenehm, er diente nur dazu ihm eine bestimmte, eigenthümliche Färbung zu verleihen. So verfuhr er eben an jenem Abende hinsichts meiner auf eine Weise, die von jedem anderen geübt, unzart ja verletzend gewesen wäre, bei ihm jedoch sich wie gemüthliche Theilnahme darstellte. Er faßte mich nämlich bei der Hand, und führte mich vor die Herzogin von Kurland. »Betrachten Sie diese Frau!« – rief er. »Und diese Frau[204] ist nie geliebt worden wie sie es verdiente!« – Recht hatte er in Letzterem freilich. So unendlich gut mein Mann gegen mich war, so liebend er sich die Bildung meines Geistes angelegen sein ließ, so vertrauensvoll er mir alle Freiheit gewährte die mir das Leben verschönen konnte, eine Liebe wie ich sie im Herzen trug kannte er nicht, ja wenn ich sie äußerte, wies er sie gleich einer Kinderei zurück.

Schon vor dieser Scene hatte ich gegen den Prinzen geäußert, daß ich ihn noch nie spielen gehört hätte, und er war so freundlich, mir zu versprechen, daß er am nächsten Freitage sein Piano zu Frau von Staël bringen lassen wolle. Doch an diesem Freitage gab es keine Soirée bei dieser mehr. Sie hatte die Nachricht von der Krankheit Neckers, ihres Vaters, erhalten, und war eiligst abgereist, um ihn noch zu sehen. Aber sie fand ihn nicht mehr unter den Lebenden. –

Kurze Zeit darauf, bei der Anwesenheit Schillers in Berlin, wendete sich das Gespräch zwischen ihm und mir auf Frau von Staël. Er verhehlte mir seine Abneigung gegen sie nicht. An Anerkennung ihrer geistigen Vorzüge ließ er es zwar keinesweges fehlen. Er sagte mir in dieser Beziehung unter Anderem, daß er erstaunt über die Fortschritte gewesen sei, welche sie in kurzer Zeit in der deutschen Sprache gemacht habe. Sie habe Manuscripte, welche Göthe und er ihr zum Durchlesen gegeben, vollkommen verstanden, was sich aus ihren Aeußerungen über sie deutlich erwiesen habe. Aber von Schillers Ideal von Weiblichkeit war freilich Frau v. Staël weit genug entfernt. Und eben der Mangel an Weiblichkeit, von welchem ich meinerseits zwar glaube, daß ihr lebhaftes, rasches[205] Wesen ihn mehr voraussetzen machte als daß er wirklich vorhanden war, mochte ihn hauptsächlich gegen sie eingenommen haben. – Sie hatte in Jena in einem Hause gewohnt, welches wegen eines Spukes – eines Papiermännchens welches darin umgehen sollte – anrüchig war, und wußte sich etwas damit, daß während ihrer Anwesenheit sich von diesem nichts habe merken lassen. Schiller erzählte mir davon. »Aber« – schloß er – »hätte denn selber ein Geselle Satans mit Der zu schaffen haben mögen?« –

Wilhelm von Humboldt war bei seiner Anwesenheit in Paris im Jahre 1799 viel mit Frau vou Staël, ja mehr vielleicht als mit irgend Jemand Anderem. Aber es war doch auch nur ihr Geist der ihn zu ihr hinzog, einen Mangel ächter Weiblichkeit glaubte doch auch er, und zwar auf eine wenig wohlthuende Weise, bei ihr zu verspüren. Doch die übrigen Menschen in Paris genügten ihm damals so wenig, daß er sich vergleichsweise bei ihr wohl fühlte. Ihn erfreute überhaupt damals dort kaum etwas Anderes, als die Verehrung, welche man – in jener Zeit schon, noch vor dem Antritt der Reise, welche den Grund zu seiner Weltberühmtheit legte – für seinen Bruder Alexander hatte. Diese Verehrung eines ausgezeichneten Menschen, dessen Inneres er so ganz kannte, schien ihm ein besserer Kultus als der, welchen er damals in den Kirchen von Paris sah, »in diesen Kirchen mit ihren moralischen Inschriften, ihren gipsernen Statuen der Freiheit und den Paar Theophilanthropen, welche sich an jeder Dekade darin versammeln, um Gebote vorlesen zu hören, die nicht befolgt werden«, wie er mir schrieb. Ihm wurde erst wieder[206] wohl in dem Tempel der Natur, der sich ihm auf der Gränze Frankreichs, welches er ohne irgend ein Bedauern verließ, in den Pyrenäen aufthat. Madrid, wohin er von da ging, interessirte ihn unendlich mehr, als Paris es damals gethan hatte. Er schwelgte in den Kunstschätzen dieser Stadt, und besonders in denen des Escurials. Und konnte er auch viele der Motive nicht theilen, welche die herrlichen spanischen Kirchen füllten, immer gaben sie und ihre Besucher ihm ein schöneres, erhebenderes Gefühl, als jene französischen. So sprach er sich auch hierüber in seinen Briefen an mich aus. – Aber dennoch sehnte er sich, sobald er sich von seinem Bruder hatte trennen müssen, der von Corunna aus seine Reise um die Welt antrat, auf's lebhafteste von Spanien hinweg und wieder nach Deutschland. Er war durch und durch Deutscher. –

Doch zurück von dem theueren heimgegangenen Freunde zu Frau von Staël. Hatte diese geistreiche Frau den Nutzen welchen ihr August Wilhelm Schlegel bringen konnte sehr richtig erkannt, so hatte sie doch auch eingesehen, daß dieser sich seinerseits bei ihr wohl fühlen, daß das Leben, welches er bei und mit ihr führen werde, ihm ein anregendes und förderliches sein müsse. So war es auch in der That. Von eigenen Productionen war der »Jon« die letzte bedeutendere vor seiner Bekanntschaft mit der Staël, ein Werk ohne Eigenthümlichkeit und Leben. Er erhob sich wieder an dieser Frau, und was er während seines Zusammenlebens mit ihr theils ausführte theils concipirte gehört zu seinem Besten.

Am wenigsten an seiner Stelle war er als Universitätslehrer in Bonn. Er paßte nicht zu einem deutschen[207] Professor, er paßte nicht zu dem derben Wesen deutscher Studenten. Oft mußte er diesen lächerlich, seinen Collegen mindestens fremd vorkommen. Ich sah ihn auf meiner Rückkehr aus Italien im Jahre 1819 als Professor in Bonn wieder, wo er sich überaus freundlich gegen mich erwies. Wie war er schon äußerlich verändert! – das sonst so glänzende Auge war erloschen, der Teint bleich, verschossen, die früher schlanke Gestalt aufgedunsen, sein sonst so geistreiches Wesen war nur noch zu ahnen! – Wir machten eine Land- und Wasserpartie mit Bonner Professoren und ihren Frauen. Sie waren lustig und laut, aber je mehr sie dies wurden, desto ernster und stiller wurde Schlegel. Zuletzt saß er mit völliger aber anständiger Theilnahmlosigkeit da, ganz wie ein ältlicher Franzose der nicht deutsch versteht, in einer deutschen Gesellschaft dasäße, und auch sein Aeußeres widersprach diesem Bilde nicht. Eigentlich verstand er auch nicht, was um ihn her gesprochen ward, wenn er auch die Worte verstand. – Er machte einen schmerzlichen Eindruck auf mich. –

Fußnoten

1 S. Nr. XII.


Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 208.
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