Der Ballstaat des Herrn

[10] Als man Oskar Wilde einmal über seine Ansicht betreffs Herrenmoden befragte, meinte er: »Der Gentleman kleidet sich so, daß die Leute auf der Straße ihn übersehen – der Dandy so, daß sie stehen bleiben.« Beim Abenddreß, wo der gemeinsame Frack die Herrenwelt uniformiert, bedarf es schon einiger Schulung, um genaue Unterschiede machen zu können. Dem Frack, diesem vielgeschmähten Kleidungstück, will ich einmal ganz energisch die Stange halten. Ein wirklich gutsitzender Frack ist etwas ganz Entzückendes. Ich kann mir nicht helfen, ich denke immer, wenn einer über den Frack schimpft, daß sein eigener miserabel sitzt. Herrschaften, geht doch mal, wenn Ihr in London seid, am Rüssel Square in irgendeinen der dortigen Klubs und seht euch da die paar Dutzend Poolescher Fracks an; da muß sich selbst der ungläubigste Thomas bekehren. Oh – wir haben auch in Berlin eine große Menge gutsitzender Fracks – nur nicht so haufenweis! Nun arbeiten Poole & Co. allerdings nur für ihnen einwandfrei erscheinende Figuren oder für Fürstlichkeiten. Aber er macht keine Frackanzüge, sondern Fracks und keine Hosen dazu, sondern Beinkleider.

Die große Neuheit in Fracks bildet 1913, zum erstenmal seit vielen Jahren, ein Stoffwechsel.


Der Ballstaat des Herrn

An Stelle des üblichen rauhen Stoffes nimmt man vielfach einen glänzenden, ganz fein diagonal gestreiften. Die äußere Brusttasche für das Taschentuch ist geblieben, der Samtkragen geschwunden. Die Borten an den Beinkleidern haben an Breite eher noch zugenommen. Von den bunten Fracks ist man so gut wie endgültig abgekommen. Oder überläßt sie prominenten Persönlichkeiten, wie Harry Walden, Henry Ben der, Paul Lincke. Wir sahen welche in pflaumenbraun, flaschengrün und tiefviolett. Die Engländer erzählen davon wie von einem Märchen aus »Tausend und eine[11] Nacht«. Dafür schwingt man sich in Berlin vernünftigerweise zu mehreren Fracks auf: dem Bummelfrack für die Strapazen öffentlicher Bälle, für Nachtlokale, für Spielabende – den Gesellschaftsfrack für private Geselligkeit, Theater und Klub.

Die Westen! – Um mal bei der Gelegenheit ein energisches Wörtchen zu sprechen – in den tonangebenden und zugegebenermaßen kompetenten ersten Londoner Gesellschaftskreisen kennt man da nur ein Schema, und das heißt:

Frack – weiße Weste, weiße Krawatte, weiße Perlen im Oberhemd.

Smoking – schwarze Weste, schwarze Krawatte, schwarze oder graue Perlen im Hemd – und damit Schluß.

Lieber streng nach diesem Schema, als lila, rosa oder grüne Westen zum schwarzen Stoff eines Gesellschaftsanzuges. Leute von Geschmack werden in der Wahl ganz zarter Farben faux pas zu vermeiden wissen. Eine sehr hübsche Weste sah ich bei dem englischen Schauspieler Coyne, dem Giampietro Londons. Cremefarbiges Tuch mit schmaler silberner Borte eingefaßt und mit silbernen Knöpfen. Aber Coyne sowohl wie Giampietro gehören zur Kategorie der Dandys, weil sie des Guten immer etwas zu viel tun.

Die neueste zum Ballstaat des Herrn gehörige Errungenschaft der Londoner ist der »Apachenshawl«. Ein langes, weißseidenes, unten mit Fransen versehenes Umschlagetuch, das zur Hälfte, das Hemd bedeckend, unter dem Mantel getragen wird, während die andere Hälfte, um den Hals geschlungen, bis etwa zur Mitte des Rückens über den Mantel hinabfällt. Genau wie die Pariser Camelots ihre Halstücher schlingen. Zuerst gewöhnt man sich schwer an den eigenartigen Anblick, bis man den praktischen Wert der »Apachenshawls« erkannt hat.

Daß man abends nur stumpfe Zylinder (chapeau claque) trägt und die blanken dem Tage reserviert, braucht wohl nicht bemerkt zu werden. Dagegen muß über die Stiefelfrage etwas gesagt werden. Die Berliner wollen sich noch immer nicht an die Halbschuhe und die seidenen Strümpfe gewöhnen, die zum Tanzen doch gleicherweise bequem und elegant sind. Man braucht ja nicht gleich Palais de Danse-Strümpfe zu nehmen; es gibt da ja Mittelwege. Wenig schön sind die Dammwildschuhe für Herren. Die üblichen[12] sind Stiefel, mit schwarzem Tuch oder Ledereinsätzen. Wildleder wird bevorzugt.

Eine große Neuigkeit aber ist aus Paris zu melden. Dort tauchen seit ganz kurzem Hemden ohne Knopfloch auf. Man denke, eine öde, U-förmige, steifgeplättete, durch nichts unterbrochene Fläche. Ohne die lieblichen Oasen der kleinen, schmückenden Perlen. Erst die »Nachthemden« und dann die »knopflosen«! Ich kann mir nicht denken, daß diese Mode Bestand haben sollte.


Der Ballstaat des Herrn

Nachdem man angesichts der gemusterten, geblümten oder gefalteten Frackhemden das Lob des glatten gesungen hat, ist jetzt alles so glatt geworden, daß über haupt nichts mehr drauf ist. – Vielfach bevorzugt man für den Smoking ein Hemd mit einem Knopfloch, dem Frack bleiben stets zwei erhalten.

Als letzte Ballstaatrequisiten blieben dann die normalen, weißen Glacéhand-schuhe, der entweder als üblicher Havelock mit »Durchsteckärmeln« oder streng auf Taille gearbeitete Frackmantel und schließlich mit das wichtigste – das Glanzlicht auf dem Gemälde eines Kavaliers – die Krawatte. In Libellenform nach den Seiten hin stärker und im ganzen eher klein als groß. Eine schlecht gebundene Krawatte verdirbt auch den besten Frack, eine gut gebundene reißt viel heraus.

Als Frackstock wähle man für die Logen der Varietés und der leichteren Bühnen, in denen man Hut und Stock bei sich behält, ein dunkles Rohr mit glatter goldener Krücke. (Die einzige Gelegenheit, unauffällig einen goldenen Stock zu tragen.) Den Frack trägt man in den Berliner Theatern meist in den Logen, in der Oper und bei Gästen auf allen Plätzen, sonst genügt der Smoking. (Muß ich sagen, daß der Zylinder zum Smoking bei Leuten von Geschmack einen nervösen Ausschlag zur Folge hat?)

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 10-13.
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