20.

Kannst du, wenn die Turteltaube girret

Und der Sprosser singt, vom Wein dich trennen,

Kann ich dich nur durch das Brennen heilen:

Ist der Mittel Letztes doch das Brennen.

Lüftete die Rose ihren Schleier,

Liess der Vogel sein Hu Hu ertönen,

O dann gib das Glas nicht aus den Händen:

Wesshalb willst du stets Heï Heï nur stöhnen?

Fliesst der Lebensquell in deiner Nähe,

Sollst du dürstend mit dem Tod nicht ringen;

Nein, Unsterblichkeit sei dir beschieden:

Wasser gibt ja Leben allen Dingen.

Von der Farbe und dem Duft des Frühlings

Mach' dir einen Vorrath zum Genusse,

Denn die Wegelag'rer Herbst und Winter

Folgen Beiden leider auf dem Fusse.

Das Geschick pflegt kein Geschenk zu machen

Das es nicht gar bald zurück begehrte:

Ford're Hochsinn nicht vom nied'ren Manne;

Ohne Werth ist das was er bescheerte.

Hat das Anseh'n, das die Macht verleihet,

Hat die Herrschaft je Bestand gefunden?

Von dem Throne Dschem's blieb nur der Name,

Und die Krone Keï's auch ist verschwunden.

Wer da Schätze sammelt für die Erben,

Der verfällt des Ketzerglaubens Fluche

Nach dem Wort des Sängers und des Schenken,

Nach der Pauke und der Flöte Spruche.

Auf dem Lustgebäu des Paradieses,

Wo die Frommen wohnen, steht geschrieben:

»Wehe Jedem der von Leidenschaften

Ward zum Kaufe ird'scher Lust getrieben!«[57]

Es verschwand die Grossmuth; doch ich schweige;

Wo verweilst du mit dem Saft der Rebe?

Bring' ihn mir, auf dass ich Geist und Seele

Hatem Thai's durch ihn mit Lust belebe.

Gottes Duft erquickt den Kargen nimmer;

Komm, Hafis, lass uns nun weiter gehen,

Nimm den Becher, übe edle Thaten,

Und für alles will ich Bürge stehen.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 55-59.
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