52.

O du, vor dessen holder Wange

Vom Nass der Scham die Rose träuft,

Und dessen Onix gegenüber

Von Schweiss das Weinglas überläuft!

Ist es nicht Morgenthau auf Tulpen,

Auf Rosen Rosenwasser nicht?

Ist's Wasser nicht auf Feuer, oder

Ist's Schweiss auf deinem Angesicht?

Der Holde mit den Bogenbrauen

Entschwand dem Auge, und mein Herz,

Indem es seine Spur verfolgte,

Verlor die eig'ne Spur im Schmerz.

Ich trenne heute Nacht die Hände

Von seiner Locke nimmermehr;

Geh' Mūĕsīn, und ruf' die Worte:

»Der Alllebendige ist Er!«

Vertrau' die Harfe nur ein Weilchen

Der zarten Hand des Sängers an,

Dass er die Ader wund ihr reisse

Und seinen Sang beginne dann!

Leg' Aloe auf des Feuers Flamme,

Thu' Gluth in den Mănkāl hinein,

Und lass dann alle Sorge fahren,

Mag noch so kalt der Winter sein!

Gibt dich der ungerechte Himmel

In Zukunft der Verachtung Preis,

Magst bei'm Dărā du dich beklagen,

Dem Herrscher im Gebiete Rai's,

Dem Fürsten, der die Welt verschenket,

Und Grossmuth übt in solchem Mass,

Dass man bereits Hătēm's Geschichte

Und seinen Namen d'rob vergass.[157]

Dem Mann, dem für ein Bischen Hefe

Die Seele nicht zu theuer war,

Dem raube denn auch du die Seele,

Und reich' ihm einen Becher dar!

Nimm dir ein Glas, gefüllt mit Weine!

Hafisen gleich, soll's im Genuss

Dich nimmer stören, zu ergründen

Wann Dschem gelebt und wann Kjăwūs?

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 155-159.
Lizenz:
Kategorien: