54.

Des Freundes Wohlgeruch

Verhauchst du, sanfte Luft:

Hauchst du wohl desshalb nur

So süssen Moschusduft?

Hab' Acht und strecke doch

Nicht immer aus die Hand!

Was hast du denn zu thun

Mit seinem Lockenband?

Was bist, o Rose, du

Vor seinem Angesicht?

Er ist an Moschus reich;

Du trägst den Dorn, der sticht;

Was bist du, Königskraut,

Vor seines Flaumes Grün?

Er blühet zart und frisch,

Du welkst im Staube hin.

Was bist, Narcisse, du

Vor seinem Augenpaar?

Es hat ein Räuschchen nur,

Doch du besäuf'st dich gar;

Und du, Cipressenbaum?

Wenn seinen schlanken Bau

Man dir entgegenstellt,

Wer schätzt dich in der Au?

Wo's seine Liebe gilt,

O klügelnder Verstand,

Bleibt da die freie Wahl

Dir ferner in der Hand?

Du kommst an's Liebesziel

Einst sicher noch, Hafis,

Wenn dich nur Kraft und Muth

Beim Harren nicht verliess.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 161-163.
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