65.

Die Geschichte meiner Sehnsucht schrieb ich

Unter Thränen auf:

Komm, denn Gram droht, fern von dir, zu enden

Meinen Lebenslauf.

Mit dem eig'nen Augenpaare sprach ich

Viel von Sehnsuchtspein;

Wo wird jetzt, Ihr Stätten meiner Selma,

Eure Selma sein?

Wunderbar ist, was sich zugetragen,

Unerhört sogar:

Ich, das Opfer, schweige, und es klaget

Wer mein Mörder war.

Wer vermöcht' es deinen Saum, den reinen,

Einer Schmach zu zeih'n?

Ist der Tropfen auf dem Rosenblatte

Nimmer doch so rein!

Um mit Glanz die Tulpe und die Rose

Zu verseh'n, erkor

Deinen Fussstaub, als auf Staub und Wasser

Schrieb das Schöpfungsrohr.

Morgenwinde hauchen Ambradüfte:

D'rum, o Schenke, auf!

Bring' die reine dufterfüllte Traube

Mir in schnellem Lauf!

Säume nicht den Augenblick zu nützen,

Denn ein Sprüchwort lehrt:

»Die Gewandtheit ist's, von der ein Wand'rer

Auf dem Wege zehrt.«

Ohne dich und deine Güte schwände

Meine Spur. Fürwahr,

Nur in deinem Angesichte seh' ich

Meine Werke klar.

Ist Hafis zu schildern deine Schönheit

Jemals wohl im Stand?

Fasst dich doch, wie Gottes Eigenschaften,

Nimmer der Verstand.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 187-189.
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