77.

Du, dessen Mund voll holden Lächelns

Ein Kästchen ist voll Perlenzier,

Der Neumondflaum, der dich umringet,

Herr, wie so reizend steht er dir!

Es täuscht mich jetzt auf schöne Weise

Der Wahn mit dir vereint zu sein:

In was für sonderbare Spiele

Lässt doch dies Wahngebild sich ein!

Das Herz entfloh, das Auge blutet,

Der Leib ist wund, die Seele schwach:

Auf dem Gebiet der Liebe folget

Ein Wunder stets dem andern nach.

Mein Herzblut floss durch Seiner Hände

Und seines trunk'nen Auges Kraft;

Viel Unglück hab' ich schon erlitten:

Ist das der Lohn der Leidenschaft?

Wenn dein Gemüth sich nicht noch ändert,

So wandert sicherlich fortan

Kein Liebender nach dieser Gegend,

Nach diesem Land kein kluger Mann.

Du machst, o Reiter, dich vom Führer

Und auch von meinem Bunde frei;

Kömmt dir ein Mann aus Nedschd entgegen,

So sag' ihm, was mein Schicksal sei.

Mich, weil ich liebe, zu ermorden,

Stellt als erlaubt der Liebling dar;

Wie lautet das Fĕtwā der Liebe?

Erklär' es mir, du Richterschaar!

Ich sehne mich nach Nedschd's Bewohnern,

D'rum kennt mein Auge keinen Schlaf:

Der Kummer hat ein Herz geschmolzen

Das unheilbares Leiden traf.[223]

In Gottes Schutze steht der Hügel,

Bewohnt von dem geliebten Freund:

Gar schnell eilt der Verstand von hinnen,

Wenn sein Gazellenaug' erscheint.

Entsage ja vier Dingen nimmer,

Willst klug du heissen und gescheit:

Der Sicherheit, geklärtem Weine,

Dem Liebling und der Einsamkeit.

Bring' Wein! zwar bin ich schwarz bezeichnet

Vor aller Welt im Buch der Schuld,

Doch darf man nimmermehr verzweifeln

An eines ew'gen Gottes Huld.

Bring', Schenke, mir ein Glas und führe

Mich aus der Einsamkeit heraus:

Als Bettelmann und frei von Sorgen

Geh' ich sodann von Haus zu Haus.

Weil jedenfalls an fester Dauer

Dem Zeitenbilde es gebricht,

Hafis, so lass jetzt Wein uns trinken,

Und äuss're deine Klage nicht!

Zur Zeit des herrschenden Ăssāfes

Glänzt des Gemüthes Becher hell:

Auf! tränke uns mit Himmelsweine,

Der klarer sei als jeder Quell!

Das Reich ist stolz auf seine Liebe

Und seine edle Thätigkeit:

O Herr lass diese Macht und Grösse

Besteh'n in alle Ewigkeit!

Er ist der Glanz des Herrscherthrones,

Der Majestät und Würde Schacht,

Des Reiches und des Volkes Schimmer,

Des Sieges Vater und der Macht.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 221-225.
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