Judä Iscariothis eilfertige Flucht nach Jerusalem, allwo er bei Pilato die Stell' einer Hof-Katzen vertreten.

[195] Nachdem der gottlose Bösewicht durch Antrieb des Neid's den königlichen Prinzen ermordet, hat er für gut und rathsam gehalten, sich mit der unverzüglichen Flucht zu retten, aus Furcht, es möchte der höchstbeleidigte König dessenthalben mit ihm scharf verfahren, ja wohl gar das Haupt nehmen, weilen er ein solches Haupt-Laster freventlich begangen. Es gab ihm demnach das verletzte Gewissen selbst die Sporen, welche ihn zu schneller Flucht angetrieben, und ist wohl zu vermuthen, daß er im währenden Laufen oft ob dem geringsten Geräusch' der Blätter auf den Bäumen erbleichet sey, in furchtsamer Meinung, er werde von den Nachstellenden ertappet. Die finstern Wälder und hohlen Stein-Klippen gedunkten ihm noch nit sattsame Deck-Mäntel zu seyn; sondern er eilte zu[195] Land und Wasser ohne einigen Rast, bis er endlich die Gränzen von Judea erreicht, allwo er sich in etwas erholet, die abgematten Glieder erquicket und nachmals mit seinem eigenen Busen zu Rath gangen, sich etwann selbst bei stiller Nacht in allgemeiner Ruhezeit mit folgendem Rathschlag' beunruhiget: Nun, mein Judas, wer bist du gewest? ein Sohn eines Königs; was anjetzo? ein Sohn des Unglücks. Was hast du gehabt? alles: was hast du der Zeit? nichts. Was willst du anfangen? der Bettelstab ist kein Holz für dich, in der Arbeit hast du ein Haar gefunden, es graust dir darvor; ins Feld taugst du nicht, denn du zitterst, so man nur von der Scheid' redet, will geschweigen von dem Säbel; keine Kunst hast du gelernet, ausgenommen die freie Kunst zu essen und zu trinken, so ganz allgemein. So seye es, eines fällt mir ein: ich bin zu Hof auferzogen, ich weiß um die Hofbräuch' und Hofbäuch', ich kenn' die Hofweis' und die Hofspeis', ich kann mich richten nach dem Hoflust und Hofgust, ich kann umspringen mit den Hofleuten und Höflichkeiten. Ich will es denn herzhaft probieren, ob ich nicht bey dem Hof Pilati möchte unterkommen, allda die Stelle eines Hof-Dieners zu vertreten! Solcher Anschlag hat bald einen gewünschten Ausgang gewonnen und ist Judas Iscarioth vom Pilato ganz willfährig in seine Hofdienst' aufgenommen worden, in welchen er also auf Katzen-Art dem Pilato sich beliebt gemacht, daß er ihm durch sein gewissenloses Heuchlen und Schmeichlen das Herz völlig eingenommen, nach dessen Pfeifen getanzt und nach dessen Tanzen gepfiffen, alles was beliebig war, geredet, ausgenommen[196] die Wahrheit, als die bei den Schmeichlern ganz frisch und nagelneu, um weilen sie bei ihnen gar selten gebraucht wird; sondern die Suppen mit Lügen pfeffern nach den Appetit ihres Herrn, welches allerseits höchst schädlich fällt.

Es ist einmal der gebenedeite Herr und Heiland also matt und müd gewesen, daß er in etwas zu ruhen, sich bei einem Brunnen niedergesetzet und sehr heilsame Reden geführt mit der Samariterinn. Ich armer Tropf bin auch auf ein' Zeit so müd worden, daß mir sogar die Füß' das weitere Gehen und Stehen rund haben abgeschlagen. Die Ursach' aber meiner Mattigkeit war, weilen ich etwas gesucht und nicht gefunden. Sonst lautet wohl das Sprichwort: Wer suchtder find't. Joseph hat seine Brüder gesucht und hat's gefunden; Joseph und Maria haben den zwölfjährigen Jesum gesucht, und haben ihn gefunden; der gute Hirt' hat das verlorne Lämm'l gesucht, und hats gefunden, wie auch auf seine Achsel genommen; das Weib im Evangelio hat den verlornen Groschen gesucht und hat ihn gefunden; ich aber hab' lang etwas gesucht, und nicht gefunden: ich habe die Wahrheit gesucht, allermassen dieselbe der große Kirchenlehrer und Vater Augustinus weit schöner hervorstreichet, als Helenam aus Griechenland, und war doch diese eine edelschöne Dama, an dero die Natur ein Meisterstück erwiesen: die Rosen auf ihren rothen Wangen,[197] die Narcissen auf ihrer schneeweißen Stirn, die Lilien auf ihren Händen, die Hyacinthen in ihren Augen stellten vor, als biete die schöne Helena dem reichblühenden Frühling einen Trutz. Wer gesehen hat das Gold in ihren gelben Haaren, die Perl' in ihren weißen Zähnen, die Korallen in ihren rothen Lefzen, den Alabaster in ihrem schneeweißen Hals, den Rubin in ihren rösleten Wangen, den Carfunkel in ihren Augen, der hat geschworen, Helena sey ein Raub vom gesammleten kostbaren Schatz des ganzen Erdbodens. Ihr Angesicht hat zeigt in den Augen die Stern', ihre Stirn hat vorgestellt die Sonne, ihre Haar' gleicheten denen Strahlen, ihre Wangen bildeten ab die Morgenröthe; konnte demnach wohl genennt werden die himmel-schöne Helena, und dannoch unvergleichlich schöner ist die Wahrheit. Ja die Helena aus Griechenland muß sich verkriechen vor ihr': eine Trampel, ein Mistfink, ein Kothkübel, ein Luder-Sack, ein grober Rülps, ein Flank ist Helena gegen die schöne Wahrheit. Und diese hab' ich lang hin und her gesucht, endlich habe ich sie antroffen, aber in einem wunderseltsamen Aufzug. Sie hatte erstlich einen großen und langen Mantel mit allerlei Blumen gestickt und gespickt und gestrickt; wann der Mantel wäre schwarz gewesen, so hätte ich unfehlbar gemuthmasset,[198] sie ging in der Klag'. Sie hatte sich ganz und gar in den Mantel eingebauscht, fast wie der Seiden-Wurm in seine Hülsen. Mehr trägt sie anstatt des modiprächtigen Ueberschlag's einen langen und dicken Fuchs-Schweif um den Hals, und – was mich am meisten in Verwunderung gezogen, war dieß, daß sie so übel in ihrem schönen englischen Gesicht war zugericht: der korallene Mund und forderst die obere Purpur-Lefze waren stark geschwollen, die Wangen also verwund't und zerkratzet, zerrissen, zerbissen, daß mir schier eingefallen, sie habe mit den Katzen duellirt, oder sie hätte eine Weile mit der Dornstaude gescherzet. Madame! sprach ich, Frau Wahrheit, wie treff' ich euch allhier an, kommt ihr dann von Hof, weilen ihr mir nächst der Burg begegnet? (es war in einem Land', wo man nit deutsch redet). Hierauf hat sie mir mit untermengten Seufzern geantwortet, daß sie zwar nach Hof habe wollen gehen, sey aber von der trutzigen Hof-Wacht ganz ungestümm abgewiesen worden. Ist wahr und klar, sagte ich, jetzt ersinne ich mich erst, was dem gebenedeiten JESU begegnet!

Es hatte Pilatus Christo einst gar ein freundliches Gsicht geweist und ihm gar glimpflich vortragen, wie daß die Hebräer wider ihn sehr viel und scharfe Klagen eingeben, wie daß er ein Aufrührer des[199] Volks sey, auch eine neue Lehr' und grundlosen Glauben aussträhe, sogar mit Zauber- und Teufels-Künsten gewichst sey, ja des Lands Ruhestand merklich mit seiner Lehr' zu stürzen trachte. Und was noch mehr? er gebe sich aus vor einen gesalbten König der Juden! Mein, sagte Pilatus zu Christo, siehe ich meins gar gut mit dir, werde auch allweg' mich emsig befleißen, deine Person vor fernerer Ungelegenheit zu schützen, bekenne es denn mir mit unverfälschter Vertraulichkeit: bist du ein König der Juden? Du hast weder Land noch Pfand, du hast weder Güter noch Hüter, du hast weder Gesandte noch Trabanten, du hast weder Kron' noch Thron, du bist ein armer Tropf, man kennt gewiß deinen Vater nit? welcher nichts als Bretter gehoblet, und wann er noch so viel Leitern hätte gemacht, so ist er dennoch nicht hoch gestiegen, sondern ein Zimmermann verblieben; wie kann es denn seyn, daß dir solche königliche Concept einfallen? hast du es denn gesagt und sagst es noch, bist du der Juden König? Worauf der Heiland geantwortet: Ich bin darzu geboren und bin darzu in die Welt kommen, daß ich der Wahrheit Zeugnuß gebe. Darauf geschwind Pilatus: was ist die Wahrheit? – Laß mir das eine seltsame Frag' seyn! Pilatus ein solcher vornehmer Herr, dem Land und Leut' unterworfen, in dessen Gewalt war, allenthalben[200] anzuschaffen, abzuschaffen, auszuschaffen, einzuschaffen, fortzuschaffen, ein Herr mit ziemlicher Zahl der Bedienten, mit großer Menge der Aufwärter, mit häufiger Begleitung des Adels umgeben, ein Herr von absonderlichem Verstand und reifem Witz soll nit wissen, was die Wahrheit sey? Nein, er wußte es nicht: dessentwegen begunnte er zu fragen; quid est Veritas? »was ist die Wahr heit?« – Das ist kein Wunder aber; denn er war ein vornehmer Herr, hielt einen großen Hof, und zu Hof, wo die Politica den Vor-Tanz hat, allda hat die Wahrheit den Fort-Tanz. Pilatus war ein Franzos, und dessentwegen kam ihm die Wahrheit spanisch vor, und zu Hof, wo die Politici nisten, ist die liebe Wahrheit verbandisiert, als[201] habe sie die Pest, und so sie auch ein Föde vom Himmel hätte, so läßt man's dannoch kaum ein.

In Indien seynd die Gläser etwas Seltsames, in Egypten ist der Schnee etwas Seltsames, in Nordwegen ist der Wein etwas Seltsames, in Mauritania ist ein weiß Gesicht etwas Seltsames, in Italien seynd die gelben Haar' etwas Seltsames, in Deutschland seynd die Elephanten etwas Seltsames, in Amerika seynd die Hund' etwas Seltsames, in Asia seynd die Büchsen etwas Seltsames, in China seynd die Pferd' etwas Seltsames, bei Höfen und großen Herren ist die Wahrheit etwas Seltsames.

Friederikus mit dem Namen der Aeltere, Herzog in Oesterreich hat gar oft und vielmalen seine stattlichen und standmäßigen Kleider hintan gelegt und schlechte Bauern-Kleider angezogen, den Sammet mit groben Zwilch, den Castor-Hut mit einer Schmeerkappen, die seidene Strümpf' mit Bauern-Stiefel verwechselt, und also unbekannt bei manchen Bauren den ganzen Tag um das Geld gearbeitet, in der Scheu'r oder Stadel gedroschen und andere harte Arbeit verricht', mit der groben Speis' und gemeiner Dorf-Tafel vorlieb genommen. Es hat zwar mancher Bau'r dessen zarte Händ' beschnarcht und oft bäurisch angefahren: Du Kerl, du hast gar weiche Tatzen, du mußt dein Lebtag nicht viel Haber ausgedroschen haben! Wann er demnach in solcher Bauren-Arbeit begriffen, hat er[202] angefangen zu reden und zu fragen, was man von Herzog Friedrich halte? dem zuweilen ein Bau'r geantwort': der Herzog sey ein liebreicher Herr, aber seine Apostel seynd nicht weit her, er schaue ihnen gar zu viel durch die Finger, braucht dessenthalben wenig Brillen, er läßt die Edel-Leut' hausen nach dero Wohlgefallen, die gehen mit uns um, wie wir Bauren mit den Felberbäumen im Stutzen; unser mehrestes Gebet ist für die Pferd' unserer gnädigen Herrn, damit dieselbigen lang dauren, denn sofern solche sollten umstehen, würden die Edel-Leut' auf uns Bauren herumreiten; wir arme Narren seynd nit mehr so glückselig wie zu David's Zeiten, allwo man die Schaf-Hirten und gemeine Leut' auf die Bank der Edel-Leut gesetzt hat; es ist zwar der Zeiten ein jeder Bau'r ein Her, aber nur mit einem r; denn es heißt: Bau'r gib' her, Bau'r geh' her, Bau'r trag' her! etc. Dem Herzog Friederich war ein solcher Bau'r mit seiner subtilen Grobheit und einfältigem Witz nicht ungenehm und konnte gar leicht abnehmen, daß Bauren und Lauren in eine Haut genähet seyn. – Ein anderer Bau'r, bei dem der Herzog knechtweis gedienet und gearbeitet, thäte andere Glocken leuten fast dieses Klangs: Mein lieber Knecht, unser Herzog verschenkt gar viel unnützlich, er gibt dem nächsten Seiltänzer gleich 50 Thaler, für den vielmehr ein Strick gehörte, und uns Bauren sieht er nicht einen Kreuzer nach, er[203] bringt eine Steu'r um die andere auf, wie erst verwichen die Kopf-Steu'r, es möchte einer schier wünschen – wann einem der Schädel nit so lieb wäre – daß er keinen Kopf hätte? und wo kommt das Geld hin? er läßt auch die Pracht gar zu weit einschleichen, und fährt schon eine jedwede Nestl-Krämmerinn in der Carossen. Unser Herr Pfarrer hat einmal geprediget, wie daß einer mit Namen Atlas die ganze Welt getragen; ich kanns dermalen schier glauben, weilen unser Edelmann, der doch ziemlich schwach, fünf und sechs Dörfer auf dem Buckel trägt; denn seine Kleider also kostbar und theu'r geschätzet werden. – Dergleichen allerlei Reden hat der Herzog in seinem Baurenkittel und Dorf-Joppen vernommen. Wann er nun wieder nach Hof kommen und sich mit seinem hochfürstlichen Aufputz bekleidet sehen ließ, wurde er mehrmalen gefragt, um was Ursachen er in solchen groben Lumpen die Bauren-Hütte betrete? Denen gab er jedesmal mit ernsthaftem Angesicht diese Antwort: [204] alio modo verum audire non possum: Ich kann auf kein andere Manier die Wahrheit hören, denn Meine Hof-Leut' sagen mir die Wahrheit nicht. Sh. Schmeichler, Sh. Schmarotzer, Sh. Schwätzer, Sh. Schnarcher, Sh. Schwiermer, Sh. Schlicker, Sh. Schlemmer, Sh. sag' ich nicht gern, hab' ich genug um mich, aber keinen, aber keinen, der mir die Wahrheit ohne Scheu redete. So heiklich ist zu Hof die Wahrheit.

Wo hat Petrus zum allerersten die Wahrheit vergessen? unter was Gesellschaft? etwann unter den Fischern als seine Kammeraden? denn sie haben sonst dieses Lob: was der Fischer gewinnt beim Fisch, das versauft er wieder bei dem Tisch. Bei wem hat Petrus die Wahrheit gezett? etwann bei Zimmerleuten oder Maurer? denn von diesem ist fast ein Sprichwort: Zimmerleut' und Maurer seynd rechte Laurer; ehe sie essen, messen, stehen und sich besinnen, so ist der Tag von hinnen. – Wo hat Petrus der Wahrheit einen Schimpf angethan? etwann bei denen Soldaten? von diesen hat einer auf eine Zeit gesagt also: Zigeuner und Soldaten,[205] wann sie schmecken einen Braten, so thun sie solchen wegtragen, wann sie auch sollten die Beiner auf dem Galgen abnagen. Wo ist dem Petro die Wahrheit entfallen? etwann bei den Fuhrleuten? von denen eine gemeine Red': Kutscher und Fuhrleut' seynd nichts nutz zu aller Zeit, bei Esel und Roßen treiben sie die größten Possen, auf dem Esel- und Pferd-Mist selten ein guter Vogel ist. Wo hat Petrus die Wahrheit gespart? wo? – Verzeiht mir's, ihr Hof-Herren, Hof-Leut', Hof-Beamte, Hof-Diener, daß ich euch dermalen keinen Hofmann abgib und sein die Wahrheit als ein edles Bissel auf euer Teller lege, bin schon verg'wißt, daß ihr euch daran und darinn keinen Zahn werdet ausbeißen, weilen euch die Zähn' nit so sehr darnach wässern: Petrus hat die liebe Wahrheit an keinem andern Ort vergessen, verloren, verscherzet, verzett', als zu Hof; allda hat er einmal (das ist grob), allda hat er zweimal (das ist grob) allda hat er dreimal (das ist gar aus der Weis') die eingefleischte Wahrheit verläugnet.

Der König Balthasar hielt auf eine Zeit ein sehr prächtiges Banquet, wobei auch tausend vornehme Obristen gastirt worden. Diese Mahlzeit war mehrist angestellt wegen seiner Concubinen, welche lauter schöne Rosimundä waren, aber nicht Rosae mundae.[206]

Nachdem nun der rothe Wein, der weiße Wein, der goldgelbe Wein fast einen vielfärbigen Regenbogen auf der Tafel vorstellte, ist also folgsam kein schönes Wetter erfolgt, absonderlich in dem Gewissen des Königs, allermassen er befohlen, man solle alsobalden die guldenen Geschirr' und kostbaren Gefäß', welche sein Vater Nabuchodonosor aus dem Tempel der Israeliten geraubt, herbei bringen, damit er seinen Kebs-Weibern eines möchte daraus zubringen. O König Balthasar! da wird es nicht heißen, Geseng Gott! – Soll dann nicht ein einiger Cavalier aus tausend anwesenden dem König gesagt haben! Euer Majestät, diese Sachen werden einen schlechten Ausgang gewinnen; Sie wissen sich ja gnädigist zu erinnern, wasgestalten ihr verstorbener Herr Vater so großes Unglück ausgestanden, daß er sogar in ein wildes Thier verkehrt worden, um willen er den Gott der Israeliten verachtet! etc. Keiner, keiner, keiner aus tausend gegenwärtigen Edel-Leuten- und Hof-Leuten hat ihm getrauet die Wahrheit zu sagen, bis endlich eine Hand an der Wand sein offne Schand ihm verwiesen.

Ich frage mehrmalen die Frau Wahrheit: Madame! um Gottes willen, warum daß euere korallene Lefzen also geschwollen? Ich (war die Antwort) ich habe das nächste Mal geigt, und da hat man mir[207] den Fiedelbogen um das Maul geschlagen und mich sehr schmählich traktiret. Wohl recht fängt das Wörtl Wahrheit mit einem w an, zumalen es lauter w ausbrütet. Der stattliche Hof-Prediger Joannes Baptista hat es wohl erfahren bei dem König Herodes. – Etliche Ausleger göttlicher Schrift – unter welchen nicht der mindeste Della Nuza – sagen, daß der allmächtige Gott habe dergestalten das Paradeis gepflanzet, daß alle stattlichen Obst-Bäume darinnen so nieder waren, daß dem Adam und der Eva die Aepfel und Birn' und andere Früchte in das Maul gehangen, außer des verbotenen Baums, welcher um ein ziemliches höher, also daß dessen Früchte die Eva nicht wohl kunnte erlangen, wessentwegen die Schlang' von dem Teufel schon besessen sich um der Eva Füß' gewicklet und ihr also geholfen, daß sie in die Höhe gehupfet und gesprungen und einen Apfel erlangt. Wann dem also soll seyn, so glaube ich, daß von dannen der Weiber ihr beliebiges Tanzen und Springen herrühre, zumalen ihnen der Gehorsam sehr schwer fällt, außer im Tanzen, worinnen sie gern, nur gar zu gern nach dem Pfeifen und Geigen des Spielmanns springen. Sie glauben aber nicht, leider! daß Danzig und Leipzig nicht weit von einander seynd, und ist nichts Neues, daß gute Seiten die guten Sitten verderbt haben, absonderlich beim Tanzen, bei welchem Springen die Ehr' nicht selten gestolpert. Eine Tänzerinn aller Tänzerinn' war des Herodis Tochter, welche dergestalten künstlich und köstlich getanzet, daß ihr auch[208] um solches der König das halbe Königreich anerboten, sie aber anstatt dessen hat begehrt das Haupt Joannis Baptistä. Solche Reliquien waren auch mehr werth, als das halbe Königreich, und zwar dieß hat sie gethan aus Anleitung ihrer Frau Mutter. Aber woher? warum? wessentwegen ist diese dem heiligen Mann so feind gewest? Frag' nit lang, wegen der Wahrheit, die er gered't hat. Non licet etc. Die Wahr heit war der Zundl, so dieses Feuer erwecket hat; die Wahrheit war der Letten, so dieses Wasser trüb gemacht hat; die Wahrheit war der Hammer, so also Larma geschlagen.

Es seynd fünfzehn Wörtl, welche von dem Buchstaben W anfangen und nach dem A, E, I, O, U gestellt wunderlich können zusammen gereimt werden.


Wahrheit, Weib, Wirth, Wort, Wunden,

Wald, Weber, Wirfl, Wolf, Wurst,

Wag', Weg, Wind, Woll', Wurm,


Nunmehr zurück reim' es also:


Ein Wurm der kriecht hin und her,

Ein' Woll' ist dem Schaf ein' Ehr',

Ein Wind der macht ei'm das Maul gar sper,

Ein' Weg den tritt jedermann sehr,

Ein' Wag' die zeigt was gering oder schwer.
[209]

Item:


Ein' Wurst thut den Hunger stillen,

Ein Wolf will sein' Wagen füllen,

Ein Wirft macht im Spiel viel Grillen,

Ein Weber tanzt und gumpt über Willen,

Ein Wald thut oft manchen Dieb verhüllen.


Item:


Die Wunden thut man verbinden,

Die Wort' verursachen viel Sünden,

Die Wirth' können die Kreiden doppelt finden,

Der Weiber List ist hart zu ergründen,

Die Wahrheit thut man schinden.


Das hat erfahren jener bei Hof Henrici des Vierten Königs zu Castella, welcher ohne Scheu mit löblicher Freiheit kein Blättl für das Maul genommen, sondern ganz rund und klar, unvermantlet die Wahrheit heraus geredet, welches aber den König also verbittert gemacht, daß er alsobald befohlen, diesem die Zung' heraus zu schneiden, welchen tyrannischen Befehl man auch unverzüglich vollzogen. Aber Gott wollte auch durch ein scheinbares Wunderwerk zeigen, wie angenehm vor seinen göttlichen Augen seynd diejenigen, welche unerschrocken großen Herren die Wahrheit vortragen. Da man besagte ausgeschnittene Zung'[210] an den lichten Galgen gehenket, geheft', hat dieser unschuldige Tropf ohne Zungen in Beiwesenheit einer großen Menge Volks anfangen zu reden und höchst protestirt wider diese Unschuld, daß eine so wahrhafte Zung' solle an ein so unehrliches Holz geheftet seyn. – Das hat erfahren auch jener Prediger in Italia, welcher einst ganz reisfertig mit Stiefel und Sporn auf die Kanzel kommen, das Pferd aber auswendig an die Kirchen gebunden. Ueber welchen Aufzug entfremdeten sich alle Zuhörer nit ein wenig, und machten hierüber allerlei seltsame Gedanken. Besagter Pater aber fängt an mit einem apostolischen Eifer die Wahrheit einem großen Herrn zu predigen, nicht ungleich einem tarsensischen Paulo zu Rom. Nach solcher vollbrachter Predigt aber war schon ein Lakey bei der Stiege der Kanzel, welcher dem herabsteigenden Patri aus Befehl seines Herrn augekünd't: er soll sich alsobald und unverzüglich hintan machen, wofern er einem großen Unglück entgehen will. Gut! gut! sagt der Prediger, das hab' ich wohl vorgesehen, daß mir die Wahrheit werde das Quartier aufsagen und einen schnellen Marsch verursachen, wessentwegen ich mich fein vorhero reisfertig gemacht hab'. A Dio! so behüt' euch Gott! Und ihr Herren Prediger, werft lieber einem großen Herrn einen Stein' in den Buckel als die Wahrheit, ihr werdet nicht also grob einbüßen![211] O wie wahr ist es von der Wahrheit, was der Poet sagt:


Fugit potentum limina veritas

Quamquam salutis nuntia.


(Auf deutsch weiß ich nicht, wie es heißt.)

Mein Jehu, wie ist es dir ergangen bei dem König Baasa, wie du das Maul gar zu weit hast aufgethan und die Wahrheit gered't? Antw. Das Leben hab' ich dessenthalben verloren.

Mein Michäas, wie ist dir geschehen, als du dem Achab die Wahrheit unter die Nasen gerieben? Antw. Ich hab' mich nicht mehr dürfen sehen lassen.

Mein Hanan, was ist dir begegnet, wie du dem König Asa die Wahrheit vorgetragen? Antw. Uebel, übel, übel.

Mein Zacharias, was hast du müssen ausstehen von dem König Joas, da du ihm ohne Scheu die Wahrheit vorgelegt? Antw. Ich bin versteiniget worden.

Mein Jeremias, was hat dir die Wahrheit auf[212] den Rucken geladen als du selbige nach dem Hof Sedechiä des Königs gebracht? Antw. In den finstern Kerker bin ich geworfen worden.

Mein Baruch, was hast du dazumalen ausgestanden, wie du die Wahrheit bei dem König Joachim aus Tags-Licht gebracht? Antw. Wann er mich dazumalen erwischt hätte, hätte es meinen Kopf golten; aber Gott wollte es nicht haben.

Mein Daniel, was haben dir die Herren von Babylon für einen Lohn erstattet, als du ihnen die Wahrheit als eine kostbare Waar' verkaufet? Antw. In die Löwen-Gruben bin ich gestürzet worden.

Nicht änderst ist es ergangen denen zwölf Aposteln, nicht änderst 27 römischen Päbsten, nicht anderst der Kaiserinn Serenä, nicht anderst dem König Olano, nicht anderst der königlichen Prinzessin Dimpna, nicht anderst dem königlichen Prinzen Hermenegildo, nicht anderst dem Fürsten Gallicano, nicht anderst denen Edel-Leuten Sebastiane, Mauritio, nicht anderst dem Raths-Herrn Apollonio, nicht anderst ist es ergangen eilf Millionen Menschen, welche alle der Wahrheit wegen umgebracht worden. Und du, Gottes Sohn Jesu Christe, selbst bist versucht worden wie Job, bist verfolgt worden wie David, bist verachtet worden wie Gedeon, bist verkauft worden wie Joseph, bist übergeben worden wie Amasa, bist gebunden worden wie Samson, bist angeklagt worden wie Abner, bist verspott'[213] worden wie Elisäus, bist entblößt worden wie Jeremias, bist geschlagen worden wie Michäas, bist gekreuziget worden wie die Machabäer, bist aufgehenkt worden wie die eherne Schlang', bist umgebracht worden wie Abel, bist durchstochen worden wie Absalon, hast mehr gelitten als die eilf Millionen Menschen – um keiner andern Ursach' willen als wegen der Wahrheit. Prediger, was geschleht dir? Was ist dem heil. Paulo begegnet? Den haben die Herren Galater für einen irdischen Engel gehalten, haben seine Predigten mit solcher Lust angehöret, daß sie ihn eine Posaune des Himmels benamset; die Kinder auf der Gassen haben mit Fingern gedeut' auf Paulum und ihn allerseits gepriesen. Der Paulus, des Pauli, dem Paulo, den Paulum, o Paule, vom Paulo: Vom Paulo war keine andere Red' als Lob; o Paule, sagt ein jeder, gebenedeit ist deine Zung'! den Paulum hat man wegen seines Predigen für ein Wunderwerk ausgeschrien; dem Paulo hat man aller Orten Ehr' und Reverenz erzeiget; des Pauli Wörter waren lauter Magnet, so die Herzen gezogen; der Paulus war bei den Galatern so angenehm, daß sie ihn, wie ihre eigene Seel' liebten. Wie er dann selbsten sagt: Testimonium enim perhibeo, quia si fieri posset, oculos[214] vestros eruissetis et dedissetis mihi: »Ich bekenne es selbsten, meine Herren Galater, daß ihr hättet euere Augen ausgestochen und mir geben aus lauter Lieb«. – Ihr Herren Galater seyd halt galante Leut'! Gemach! nachdem Paulus hat angefangen scharf zu predigen: »O insensati Galatae! o ihr sinnlosen Galater, sagt er, wer hat euch verzaubert, der Wahrheit zu widerstreben? seyd ihr Thoren, daß ihr mit dem Geist habt angefangt und nunmehr mit dem Fleisch endet?« Wie Paulus solche scharfe Saiten aufgezogen, da hat ihm kein einiger mehr mit dem Fuß Reverenz gemacht, ja man hätt' ihn lieber mit Füßen treten; keiner hat ihm mehr eine Ehr' erzeigt, man hat ihm davor den Rucken zeigt; keiner hat ihn mehr angelacht, sondern nur ausgelacht, keiner hat ihm mehr die Herberg' anerboten, sondern die Herberg' aufgesagt; alle waren wider ihn: »Inimicus factus sum vobis veritatem dicens

So lang ein Prediger eine schöne, zierliche, wohlbered'te, eine aufgeputzte, mit Fabeln und sinnreichen Sprüchen unterspickte Predigt macht, da ist jedermann gut Freund: Vivat der Pater Prediger! ein wackerer Mann, ich hör' ihm mit Lust zu! etc. Wenn er aber einen scharfen Ernst anfängt zu zeigen mit Paulo: O insensati Germani, o insensati Christiani! etc. wann[215] er anfängt großen Herren die Wahrheit zu sagen: sie sollen doch einmal die Brillen brauchen und nit allzeit durch die Finger schauen! sie sollen doch mit der Justiz nicht umgehen als mit einem Spinnen-Geweb', allwo die großen Vögel durchbrechen, die kleinen Mücken hangen bleiben; sie sollen doch nicht seyn wie die Destillir-Kolben, welche aus den Blumen den letzten Tropfen heraus saugen; – wann er anfängt, die Wahrheit zu predigen denen hohen Ministris und Räthen: sie sollen lernen, drei zählen, sie sollen jene Lektion recht lernen, welche Christus seinen Geheimsten gegeben: visionem, quam vidistis, nemini dexeritis! – wann er anfängt, den Edel-Leuten die Wahrheit zu predigen, daß sie denen Barbierern in ihre Profession eingreifen, und ihr mehristes Einkommen nicht im Wein oder Treib, sondern in Zwieblen stehe, weilen sie die Bauren gar zu stark zwieblen; – wann er die Wahrheit sagt denen Geistlichen, daß sie gar oft seynd wie die Glocken, welche andern in die Kirchen leuten und sie selber bleiben daraus; daß sie gar oft seynd wie die Zimmerleut' des Noe, welche anderen die Arche gebauet, daß sie sich salviret, und sie selbsten seynd zu Grund gangen; daß viel Geistliche seynd wie die Nacht-Eulen, welche das Oel bei nächtlicher[216] Weil aus denen Lampem aussaufen und sich von der Kirche erhalten und sonst nichts nutzen; – wann er die Wahrheit sagt denen Soldaten, daß sie halsstärriger Meinung seynd als sey ihr Gewissen auch privilegirt! – aber da heißt es Privilegia Brief-Lügen; die Wahrheit dem Magistrat und Obrigkeiten, daß sie gar oft seynd wie eine Spital-Suppen, worauf wenig Augen; die Wahrheit denen Mautnern und Beamten, daß sie gar zu barmherzig seynd, nicht zwar in Beherbergung der Fremdling', wohl aber des fremden Guts; die Wahrheit denen Zimmerleuten, daß man bei ihnen allzeit frische Spän', aber zugleich faule Gespän' finde; die Wahrheit denen Bäckern, daß sie gar oft solche Leut' seyn, welche Mehl genug, aber zu wenig Teig zu den Semmeln nehmen; die Wahrheit denen Gärtnern, daß sie gar oft den Garten säubern, aber das Gewissen lassen verwachsen, und nichts mehrers pflanzen, als das Weinkräutl; die Wahrheit denen Wirthen, daß sie gar oft Kein-Wein für Rhein-Wein, Lugenberger für Lutenberger ausgeben und öfters auch dem Tuchscheerer in die Arbeit greifen; die Wahrheit den Bauern, daß sie sich zwar einfältig stellen, aber so einfältig, wie die Schweizer-Hosen, so hundert Falten haben; die Wahrheit denen Kindern, daß sie denen Passauer-Klingen nicht nacharten, dero beste Prob' ist, wann sie sich biegen lassen;[217] die Wahrheit den Frauen-Zimmern, daß sie gar zu viel ziehen an dem Schweif des Rocks, zu wenig um den Hals tragen; die Wahrheit den gemeinen Weibern, daß sie fast die Natur einer Uhr an sich haben, welche nie ohne Unruh, etc.; – wann dergestalten der Prediger den Scharfhobel brauchen wird, wann er auf solche Weis' wird die Wahrheit reden, so bringt ihm solches Reden Rädern, so bringen ihm solche Wörter Schwerter, so bringt ihm solches Sagen Klagen: Inimicus factus sum dicens, er verfeindet sich allenthalben, sein Auditorium wird bald die Schwindsucht leiden, die Kirchen-Stühl' werden bald lauter Quartier' der alten Weiber werden, die Kirche wird bald werden wie ein abgebrochener Jahrmarkt, an allen Orten wird man hören: Was key ich mich um den Prediger! Sic facta est veritas in aversionem.

Madame, fragte ich weiter, meine Frau Wahrheit, wie, daß ihr ein' solchen langen mit Blumen gestickten Mantel tragt, und was soll heißen der lange Fuchsschweif um den Hals? habt ihr denn einen Katarrh, daß ihr also den Hals warm haltet? Nein, antwortet sie mir, mein Pater, den geblümten Mantel trag' ich schon lang, denn man thut mich Wahrheit allenthalben vermantlen und verblümen; den[218] Fuchsschweif trag' ich aber um den Hals, weilen das Schmeichlen gemeiniglich nicht weit von hohen Häuptern. – Ueber dieß, muß ich bekennen, bin ich zornig vorden, reiß ihr die Kleider vom Leib, hab's gleich dem nächsten nothleidenden Bettler, welcher diesem ganzen Handel zugeschauet, geschenket. – Der Fuchsschweif hat ihm gar wohl getaugt, denn ich hörte, daß er gleich die nächste vorbeigehende Frau, welche eines sehr häßlichen Gesicht's war, mit seinen bettlerschen Complimenten angeredet: »Meine schöne, hübsche, wackere, guldene Frau!« etc. Ich aber erkenne für recht, daß die Wahrheit durch mich ausgezogen und ausgemantlet worden; denn also soll sie seyn, muß seyn, darf seyn bloß.

Wie der eifervolle Prophet Elias durch einen feurigen Wagen ins Paradeis verzucket worden, hat er seinem liebsten Elisäo seinen Mantel herunter geworfen. Ich glaube schier, der heilige Mann hab' sich mit dem Mantel nicht vor Gott getrauet, wenigst ist das wahr, daß ein Prediger schwer vor Gottes Angesicht bestehen werde, wann er die Wahrheit vermantlet; sondern es ist eine starke, verpflichte Schuldigkeit allen, allezeit, allemal, allerseits die bloße Wahrheit zu predigen, predigen sein ernstlich mit dem Propheten Osea wider das Laster der Vollheit, predigen fein eifrig mit dem hl. Paulo wider die Sünd' des Neids, predigen fein unerschrocken mit dem Tod wider das Laster des Zorns, predigen fein scharf mit dem Propheten Amos wider das Laster der Geilheit, predigen fein klar mit dem Propheten Malachias wider das Laster der Hoffart. Petrus, aus Befehl des Herrn,[219] greift einem Fisch in das Maul und findet darinnen eine schöne Münz': nicht weniger soll in eines Prediger Mund eine solche schöne, schneeweiße, silberne Münz, verstehe die unversehrte Wahrheit, gefunden werden. Der Prophet Nathan hat sich kein Blatt vor das Maul genommen, wie er vor den König David getreten und ihm seine große Schandthat unter die Augen gestellt; der Prophet Jonas hat das Maul ziemlich aufgemacht, wie er denen Ninivitern ihr leichtfertiges, lasterhaftes Leben vorgeworfen: Alle rechtschaffenen Diener Gottes scheuen sich nicht, die Wahrheit zu sagen, und wollen lieber zu Verona bleiben, als nach Placenza reisen. So hat gethan der hl. Ambrosius dem Theodosio, so hat gethan Puppo dem Henrico, so hat gethan Dunstanus dem Edgaro, so hat gethan Franziskus Paulanus dem König zu Neapel, welcher ihm ein kloster zu bauen auerboten, solches aber der heilige Mann nicht allein geweigert, sondern ihm noch seine tyrannischen Exactiones; und Anlagen der Unterthanen scharf verwiesen,[220] auch einen Ducaten mitten von einander gebrochen, woraus das helle Blut geflossen, anzuzeigen, daß solches von denen armen Unterthanen erzwungenes Geld, ein Blut der Armen seye. Nicht unrecht hat gethan jener Prediger, welcher einen großen Herrn auf der Kanzel ziemlich getroffen, und als ihm dessenthalben solcher mit lachendem Mund vorrupfte, sprechend: Herr Pater, heut' habt Ihr mir ein gutes im Pelz gegeben! Es ist mir Leid, sagt hinwieder der Pater, daß ich Euer Gnaden nur den Pelz getroffen, es war meine Meinung, Ihnen gar das Herz zu berühren. Deßgleichen muß auch nicht schmeichlen im Beichtstuhl der Beichtvater. – Des Davids seine Abgesandte haben es sehr hart empfunden, wie ihnen der amonitische König mit ihren Bärten also schmählich und schmerzlich verfahren: also wird es freilich wohl diesem oder jenem Herrn verschmähen, wann du ihm, will nit sagen, wirst den Bart abschneiden, sondern die Wahrheit wohl in Bart reiben. Da wird er dich für einen ungesalzenen Seelenfischer taufen; schadet aber nicht! gedenke nur, die Wahrheit pflegt man mit keinen andern Complimenten zu empfangen. Es beichtet dir dein Ordinari-Beichtkind, ein wackerer Herr: er habe mehrmalen dem sechsten Gebot ein Ziemliches versetzt; dem sag' du fein die Wahrheit: Mein lieber Mensch, Er verheißt allemalen die Besserung, seyd aber eine Ratz', welche[221] das Mausen nicht lasset! schafft mir das heimliche Wildpret aus Eurem Haus, damit die Gelegenheit vermeidet seye, oder ich absolvire euch nit, nit, nit! – Ey! das ist ein grober Schnitt, Pater, das thut dem Herrn wehe! er ist ein solcher, der beim Brett sitzet; dergestalten wird er sich einen andern Beichtvater suchen und nachmals dir und deinem Kloster merklich zu einem Nachtheil werden! Schad't nit, sagt ein rechtschaffener Mann, mit dem Fuchsschweif kann der Meßner oder Kirchen-Diener wohl den Beichtstuhl abstauben, aber bei mir hat solcher nit Statt; schmeichlen mag ich nit, damit nicht etwann seine Seel' (o theurer Schatz!) und meine Seel' (o einiges Kleinod!) einen unglückseligen Schiffbruch leiden.

Ein mancher wird nicht ohne sondere Verwunderung bald reich, der vorhero mit Codro in Gesellschaft war. Daß der Kürbiß des Jonas sobald aufgewachsen, ist ein Mirakul gewest, daß Petrus auf einmal so viel Fisch' gefangen, ist ein Mirakul gewest; daß solcher aber aus einem armen so bald ein reicher Herr wird, ist etwann kein Mirakul, sondern eine Makul. Dieser kommt in Beichtstuhl, sagt neben anderm: er habe in seinem Amt das serve[222] nequam gespielt, er wolle aber sehen, daß er hinfüro mit größerem Fleiß das Amt verwalte und also seinem Herrn zu fernerem Nutzen gereiche. Was soll hierinfalls der Pater thun? Heraus mit der Wahrheit! redde, gibs wieder, oder ich absolvir euch nicht! denn also hat das Reddo den Zachäum gerechtfertiget. Holla Pater! der Herr hat dem Kloster viel gedienet, schickt und schenkt, schenkt und schickt oft einen guten Wein! etc. Schad't nicht, sagt ein gewissenhafter Mann, die Wahrheit, und zwar die unverfälschte, die Wahrheit, und zwar die unverblümte, die Wahrheit, und zwar die unvermantlete, gebührt mir zu reden! Christus der Herr ist auch von den Pharisäern zu Gast geladen worden: unangesehen dieß hat er auf keine Weis' schmeichlen wollen, sondern ihnen die bloße Wahrheit unter die Augen gestellt, da er von Ochsen und Eseln die Gleichnuß geben, welche sie auch an dem Sabbath aus dem Brunn' ziehen. Der gebenedeite Heiland hat den Aposteln und uns Priestern allen den Titul geben: Von estis Sal terrae: Ihr seyd das Salz der Erden. Er hat nicht gesagt: Ihr seyd ein Zucker, sondern ein Salz, welches beißt, muß also ein Prediger, ein Beichtvater sich wohl herum beißen und die Wahrheit reden. Wenn er dießfalls den Todten-G'sang singt: Placebo domino, so stürzt er auch seine eigene Seel' in den Tod. Er muß nicht fragen, was er für ein Liedel[223] soll aufmachen, sondern was ihm der Geist Gottes und die liebe Wahrheit vorbildet. Wollte Gott, es gescheheten hierinfalls keine Fehler! aber wie mancher Beichtvater gibt seinem Patienten das Geleit' in die Höll'! – Es konnten allhier dergleichen Geschichten wohl beigesetzt werden, welche ich aber Kürze halber umgehe und auch nicht begehre, den Beichtvater zu unterrichten, weilen ich glaube, er werde ohne das mit sattsamer Wissenschaft versehen seyn.

Es klagten vor diesem nicht ein wenig die Philistäer, daß ihnen der Samson mit den Fuchsschweifen so großen Schaden ihren Treid-Feldern zugefügt; aber in aller Wahrheit ist um ein ziemliches merklicher der Schaden, den viel der Zeiten von dem Fuchsschweif ihrer Schmeichler leiden, welche Ohren-Titler, Achsel-Träger, Lock-Vögel, Tafel-Hansen, Maulmacher, Zungen-Drescher, Schüssel-Geiger, Kuchel-Mucken, Hof-Katzen sich mehrist bei großen Herren einfinden.

Ein solcher war jener Edlmann, Franziskus Brianus, welcher alles golten, da er doch nichts werth war, bei Henriko dem Achten, König in England, indem dieser engeländische König gar nit englisch lebte, und nit allein Annam Bolenam, sondern auch ihre Mutter in seine lasterhaften Begierden gezogen. Dieser stinkende Heliogabolus fragte einst gedachten seinen Zuschmeichler, ob es ein große Sünd'[224] sey, die Mutter samt der Tochter erkennen? worauf diese Hof-Katz' geantwortet: es sey eben so viel, als die Henn' sammt dem Hühnlein essen. Solche Vögel gehören auf keine andere Leim-Ruthe, als wo die Raben sitzen, solche Wäsch' muß kein anderer aufhenken, als der Meister Knüpfauf, solche Häls' verdienen keinen andern Kragen, als die der Seiler spendiret, ja solche Mäuler und Maul-Schmied' gehören in keine andere Schmiede, als dort, wo es heißt: Ite in ignem aeternum, gehet hin in das ewige Feu'r! – Fast desgleichen G'lichters war jener Hof-Herr zu Paris, welcher in allen Dingen dem König das Placebo gesungen. Da er auf eine Zeit vermerkte, daß Ihre Majestät wegen Geld-Mangel in etwas betrübet, hat er dem König allerlei Rathschläg' an die Hand geben: Was? sagte er, die Bauren seynd Lauren, so lang sie dauren, wann sie auch wohnten hinter hundert marmorsteinernen Mauren; diese Trampel muß man darbieten wie die Lämbel, diese Kälber muß man stutzen wie die Felder, diese Blöck' muß man beschneiden wie die Weinstöck', diese Kegel muß man rupfen wie die Vögel, diese Aas muß man schaben wie den Käs; Ihro Majestät thun eins und schlagen eine Maut auf Butter und Schmalz, auf Pfeffer und Salz, auf Linsen und Brein, auf Vier und Wein, auf Vögel und Tauben, auf Pfersich und Trauben, auf Arbeiß und Bohnen, auf Ruben und Rannen, was die Bauren auf den Markt tragen, und dieß[225] nur zwei Jahr' hindurch; allergnädigster Herr, Sie werden handgreiflich spüren, was Mittel kann bringen ein Bauren-Kittel!' – Diesen Rath hat er dessentwegen dem König eingerieben, damit er ein Frater Placidus bei Hof seye. Der König war hierinfalls leicht beweglich, folget dem schlimmen Schmutz-Engel und vermerkt bald, daß zweihundert und vierzig Pfennig auch einen Gulden machen, welches ihm noch mehrern Anlaß gemacht, größere Mauten aufzurichten. Dieß hat dem Hof-Fuchsen einen solchen Gewissens-Wurm eingejaget und im Balg gesetzet, daß er derenthalben öfters geseufzet und in seinem letzten Willen, in seinem Testament, ernstlich verschafft, daß man nach seinem Tod' den Körper in kein anderes Ort begraben solle, als in jene Senkgruben, wohin aller Unflat rinnet von jenem Markt, aus dem er solche Maut aufgebracht.

Solche Gesellen gehören in die Luft, denn sie seynd wie die Luft. Dieses Element ist ein natürlicher Entwurf eines Schmeichlers; denn die Luft ist in sich selber weder warm, weder kalt, weder licht, weder finster, weder trocken, weder feucht, sondern sie accommodirt sich, wie der Himmel ist: ist solcher kalt, so ist auch die Luft kalt, ist solcher warm, so ist auch die Luft warm. Diese Eigenschaften find't man und gründ't man bei den Schmeichlern, welche sich[226] ganz und gar richten und schlichten nach ihrer Herrn Neigung. Ist der Herr geneigt zum Löfflen, so wird der Schmeichler nichts anderst reden, als von lauter Löffelanden; sagt der Herr! mir gefallen diese Geistlichen nicht, so schwätzt der Schmeichler: ja! ja Herr, sie seynd nie weit her; sagt der Herr: ich glaub', die Prediger machen den Teufel gar zu schwarz, was plaudert anderst der Schmeichler darauf, als das: der Himmel ist ja nit für die Gäns' gebauet? sagt der Herr: das sechste Gebot biegen ist keine so große Sünd' nit; mein' wohl, schwätzet der Schmeichler, in Italien und anderen Orten ist es auch der Brauch; sagt der Herr: mich schläfert, so thut sich der Schmeichler ranzen; sagt der Herr: es frieret mich, so thut der Schmeichler zitteren, wann es auch im Julio ist; thut der Herr hinken, so geht der Schmeichler krumm, ist der Herr einem passioniret, so hilft diesen der Schmeichler verfolgen, etc. Die Luft hat noch eine andere Eigenschaft, daß sie nemlich Alles zutraget: Wann man allhier im Grätzer-Schloß die große Glocke läutet, so hört sie der Bauer und Hauer oft eine Stund' weit: wer trägt ihm einen solchen Klang zu? niemand anderer als die Luft; diese ist ein allgemeiner Zutrager aller Hall, Schall und Knall und Fall etc. Nicht viel anderst ist gesitt' und gesinnt der Schmeichler,[227] welcher auch alles, was er sieht, hört, greift, schmeckt, kost', fühlt, merkt, liest, etc. seinem Herrn zuträgt und noch dasselbe vergrößert, verkleinert, verweißt, verschwärzet, vermehrt, verringert, verengelt, verteufelt etc. nach seines Herrn Neigen, Lust und Gust. O Schelm!

Solche Schelmen seynd sie wie die Goldmacher oder Chemici, die wollen aus Blei und Kupfer Gold machen: Also pflegen auch die Schmeichler die größten Schelmstuck zu beschönen. Solche Gesellen seynd sie wie ein Spiegel: dieser gläserne Aff' thut alles nach, was er sieht, mit dem Lachenden schmutzt er, mit dem Weinenden hat er nasse Augen. Im gleichen Model ist gossen, nach gleichen Modell ist geformt der Schmeichler. Solche Gesellen seynd gleich der Blume Solsequium oder Sonnenwend': diese wend't sich und lehnt sich und blendt sich dorthin, wo die Sonnen ist; also tanzt auch der Schmeichler das Liedel, welches sein Herr geigt. Solche Gesellen seynd wie die Geiß', welche einen Baum lecken und schlecken, aber mit solcher Zung' ihm die Kräften nehmen, daß er nachmals verdirbt. Solche Gesellen seynd wie das Wintergrün, welches den Baum umfängt, umhalst, umarmt, aber zugleich ihm die Kraft und Saft nimmt, daß er verdirbt. O wie viel Schmeichler-Zungen haben andere in das Verderben gebracht! Was dem Raben begegegnet, ist oft manchen Menschen und vornehmen Herrn widerfahren. Der Rab' hatte einst ein ziemlich gutes und großes Stück Käs entfremdet und darmit[228] im Schnabel auf einen Baum geflogen. Als solches der arge Fuchs wahrgenommen, ist er ganz hurtig dahin geloffen und den Raben angefangen zu loben. Ey! ey! ey! sagt er, das ist ein Vogel, laß mir diesen einen schönen Vogel seyn, hab' mein Lebenlang keinen dergleichen Vogel gesehen! du bist gewiß der Paradeis-Vogel oder der berühmte Phönix? deine Mutter muß sich an dem Sammet ersehen haben, wie sie auf den Eiern gesessen! hast du doch ein Paar Augen, welche gleichsam den Glanz von der Sonne zu leihen genommen! deine Klauen, als so wunderlich erschaffene Waffen, verrathen dich, daß du von einem martialischen Geblüt herstammest! deines gleichen wird wohl nicht unter dem adelichen Geschlecht der Vögel zu finden seyn! o du schöne Kreatur! wie recht ist es geschehen, daß man die berühmte Festung in Ungarn nach deinem Namen Raab genennet hat! Ein Ding, mein auserwählter Vogel, möcht' ich doch gern wissen, weilen in allem die Natur gegen dich so freigebig gewest, was du nemlich für eine Stimm' wirst haben? wann ich dich nur, ansehnlicher Vogel, hörte singen, so wollte ich mich für den glückseligsten Fuchsten erkennen! Ey, ey, ey, das ist in Vogel! – Der Rab' glaubt dem Schmeichler in allem, übernimmt[229] nimmt sich des großen Lob's, sperrt den Schnabel in alle Weit' auf, zu singen. Unterdessen fällt ihm das große Stück Käs aus dem Schnabel. Der Fuchs schnappt und tappt darauf und lauft mit dieser Collation darvon. – O wie oft geschicht, was da ist gedicht! wie mancher Schmeichler hält sich bei Haus und Hof, auf eines reichen und vornehmen Herrn, bei dem er Wein und Brein willen, Schüssel und Bissel halber, Fisch und Tisch wegen nichts anderst im Maul führt als lauter Lob! der Galgen-Vogel gibt eine Lerche ab, das ist Alaudam, ein Lob-Vogel; ja er nimmt die Art an sich eines Fisches im Meer, mit Namen Fasten, von dem Belluacensis schreibt, daß in dessen Maul das gesalzene und bittere Meer-Masser in süßes verkehrt werde, wordurch er die unbehutsamen Fischel zu sich locket und nachmalens verschlucket. Ein solcher Zungen-Drescher wird öfters in seinem verlogenen Maul das bittere Wasser in ein süßes verwandlen, das Böse gut machen, die Laster für Tugenden taufen und Maus-Koth für Anis-Zucker verkaufen, damit er nur seinen Herrn nit aus der Wiege und sich selber nit aus der Schmarotz-Kost werfe: Ist der Herr ein lauterer Ehebrecher, so nennt ihn der Schmeichler einen galanten freundlichen Mann; ist der Herr ein Geizhals, so tauft ihn der Ohren-Titler[230] einen guten Wirth; ist der Herr ein verlogener und falscher Bösewicht, so heißt ihn der Schmeichler einen Hofmann; ist der Herr ein Dieb und Partitenmacher, so nennt ihn der Zungen-Drescher einen wachsamen Mann, der auf das Seinige wohl Achtung gibt; ist der Herr ein stolzer Feder-Hans, der fast keinen grüßt, so heißt ihn der Schmeichler einen ehrbaren Signor etc.; ist der Herr ein rothnasiger Weingrill und versoffener Badschwamm, so nennt ihn der Schmeichler einen lustigen Mann, der ein Gläsel Wein bescheid thut. Seithero die Schmeichler im Gang und Klang und Prang seynd, so ist die Leichtfertigkeit eine Freundlichkeit, der Zorn ein Ernst, der Diebstahl eine Wirthschaft, die Schmeichlerei eine Politica, die Unzucht eine Vertraulichkeit, die Hoffart eine Modi, die Rachgierigkeit eine Bravada, der Teufel ein Engel worden. Saubere Gesellen!

David der König bittet mit folgsamen Worten: Oleum autem Peccatoris non impinguet caput meum: das Oel des Sünders soll meinen Kopf nicht feist machen. Was versteht David allhier für ein Oel? Scorpion-Oel? Nein; Mandel-Oel? Nein; Rosen-Oel? Nein; Lilien-Oel? Nein; sondern er verstehet hierdurch die Schmeichlerei. Denn solche ganz lind und glimpflich, und sich mehresttheil nur[231] beim Haupt aufhaltet, beim Haupt im Land, beim Haupt in der Stadt, beim Haupt im Kloster, beim Haupt im Haus. Dieß ist ein Oel, welches gar oft und vielfältig das Hauptwehe verursachet.

In dem Leben des hl. Nikolai wird verzeichnet, wie daß einst etliche andächtige Kirch- und Wallfahrter auf dem Meer' sich befunden, Willens die Kirchen des hl. Nikolai zu besuchen. Wie sie nun mit glücklichem Wind fortgeseglet, so begegnet ihnen eine wackere ansehnliche Dama in einem kleinen Schiffel, redet die Pilgrim ganz freundlich an, wie daß sie doch wollten ihr die Gnad' und dem hl. Nikolao die Ehr' erweisen und dieses Geschirr, welches sie darreichte, mit sich nach St. Nikola nehmen, daselbsten mit dem kostbaren Oel, so in dieser Büchse verwahrt, die Kirchen-Wänd bestreichen; auf das hierdurch dem hl. Patron eine Ehr' und denen anwesenden Kirchfahrern eine Erquickung möchte geschehen. Die guten frommen Leut' nehmen solches Oel an, mit gewissem Verheißen, daß sie dero Willen in allem emsig vollziehen werden. Nachdem solche edle Frau wieder ihren Rückweg genommen, so erscheint ihnen der heil. Nikolaus selbst und' offenbaret, wie daß diese Frau der vermaskirte Teufel sey gewest, welcher gedachte Kirchen mit diesem ihnen gegebenen Oel in Aschen zu legen gesinnt seye, sollen demnach das verfluchte Oel in das Meer werfen, dafern sie großem Uebel entgehen wollen. Als sie nun solchen Befehl nachkommen, hat das Oel eine so ungeheurige Feuersbrunst in mitten der Meerwellen erweckt, daß sie alle wären, so nit der heil. Nikolaus hätte gnädige Beihilf' geleist', zu Grund gangen. –[232]

Diesem verdammtem Oel gleicht auch eine Schmeichlerei, Oleum peccatoris, durch welches schon so große Unglück' entstanden. Was das Schmeichlen verursacht hat der Dalilä, das hat Samson erfahren, was das Schmeichlen des Ammons hat ausgebrüt', das hat die Thamar erfahren, was das Schmeichlen der Jahel hat zugefügt, das hat Sisara erfahren, was das Schmeichlen eines Jakobs hat ausgezüchtet, das hat Esau erfahren, was das Schmeichlen eines Joab hat ausgezüglet, das hat Amasa erfahren, was das Schmeichlen der Schlangen im Paradeis hat zugericht, das hat Eva und alle Adams-Kinder erfahren; was Unglücks-Frucht von diesem Baum, was Unglücks-Wasser von diesem Brunn, was Unglücks-Brut von dieser Bestia, was Unglücks-Kraut von dieser Wurzel, was Unglücks-Kinder von dieser Mutter herkommen, haben's erfahren und erfahren es noch ganze hochfürstliche Höf', ganze Magistrat', ganze Republik', Klöster, Gemeinschaften und Wirthschaften. So verjagt denn solche Hof-Katze, ihr großen Herren, so vertreibt denn solche Haus-Füchs', ihr großen Häupter, so verwirft dann solche Ohren-Titler, ihr Magistrat, so verbandisirt denn solches Haus-Uebel, ihr Prälaten, Priores, Guardiani und Obrigkeiten aus denen Klöstern, und liebt dafür die schöne und bloße Wahrheit, welche eine Tochter des Himmels, eine Verwandte der göttlichen Majestät, ein Kleinod der Tugenden und eine Grundfest alles Guten ist! Das Wort [233] Veritas hat sieben Buchstaben. Gleichwie nun Gott der Allmächtige am siebenten Tag' in Erschaffung der Welt geruhet hat, also find't er auch eine beliebige Ruhe in diesen sieben Buchstaben Veritas. Gedenkt, daß unser gebenedeiter Heiland Jesus das Wörtl Amen hundertmal aus seinem göttlichen Mund' gelassen, wie die Evangelisten von ihm registriren; daß also bei ihm solches fast zu einem Sprichwort worden, aus Ursachen, weilen Amen so viel als Wahrheit heißt; ja sogar nennte er sich die Wahrheit selbst: Ego sum Veritas. Dessenthalben wollte er auf dem hohen Berg Calvariä ganz nackend und bloß sterben, zu zeigen, die Wahrheit muß bloß seyn und nicht vermantlet, wie bei den Schmeichlern, dergleichen gewest Judas der Erz Schelm bei dem Hof des Pilati, etc.

Quelle:
Abraham a Sancta Clara: Judas der Erzschelm für ehrliche Leutߣ. Sämmtliche Werke, Passau 1834–1836, Band 1, S. 195-234.
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