Judas der verruchte Mensch verzweifelt an der Barmherzigkeit Gottes.

[394] Nachdem Judas zu dem Fischthor hinaus kommen, hat er den geraden Weg genommen nach dem Bach Gion, unweit demselben ist ein kleiner Wald[394] entlegen, wohin er sich ganz rasend begeben, massen er ein Ort gesucht, wo er von keinem Menschen möchte gesehen werden, ja es waren ihm nit allein die Menschen-Augen zuwider, sondern er glaubte, daß alle Kreaturen und Geschöpfe ihn thäten anfeinden, den geringsten Ast an dem Baum, so von dem Wind gebogen wurde, ehielt er schon vor eine Ruthe oder Geißel, die ihm der Himmel drohe; als er nun besagten Wald erreicht, da hat er sich auf einen großen Stein niedergesetzt, mit den Zähnen die Nägel seiner Finger zerbissen, und eine ziemliche Zeit in ganz stillen doch verwirrten Gedanken also gesessen, endlich in diese Worte ausgebrochen: O ich unglückseliger Mensch, ja ich bin nit werth, daß ich soll ein Mensch genennt werden, ich hab wider allen Glauben, Treue und Gewissen meinen Meister, meinen größten Gutthäter verrathen, und bin Ursach, daß diese Unschuld selbst an den unverdienten Kreuz-Galgen kommt, o was hab ich gethan? Meine Seele ist hin, die hat keine Hoffnung mehr einiger Nachlaß oder Verzeihung, die Missethat ist zu groß, massen ich nach so viel ergangener Ermahnung in meiner Bosheit verharret, nun ist mein Amt hin, mein guter Name hin, das Geld hin, die Seel hin, alles hin, ei so soll auch der Leib hin seyn, der nächste Baum soll mir ein Galgen seyn. O verzweifelter Schelm!

Willkomm, willkomm du tausend Schatz, du guldener Engel, du Herrscherin meines Herzens, du Theil meiner Seelen, du Aufenthalt meiner Gedanken. (Ich rede mit einer schönen Jungfrau.) Wie[395] vor diesem unser lieber Herr mit der Samaritanin bei dem Brunn ganz allein geredt, ist es den Aposteln fast bald was fremd vorkommen, etwa rümpft auch hierüber einer die Nase, daß ich mit einer Jungfrau also eine freie Ansprach verführe, aber ich achte höse Zungen wenig, die auch der Sonne, diesem so hellen Weltlicht, zuweilen einen Fehler ausstellen. Willkomm, sag ich noch einmal, du meine einige Begnügung, wann ich nur von dir höre reden, so ergötzt sich mein Herz, wann ich dich nur anschaue, so wird mein Herz verzucket, ach, ach es ist mein einiger Wunsch, in deinen Armen zu leben und zu sterben. Wer ist diese? fragst du, es ist eine, sag ich, überaus wohlgeschaffne und wunderschöne Jungfrau, in einem grünen Kleid und Aufzug, so ihr über alle Massen wohl anstehet, leint sich auf einen großen Schiff-Anker, in einer Hand haltet sie eine Lilie, mit der andern wirft sie ein Treid aus; ihr adelicher Nam heißt Spes, Jungfrau Speranza oder die Hoffnung. O guldener Schatz! in dich bin ich ganz verschamorirt, kein Teufel in der Höll, kein Mensch auf Erden, keine Kreatur in der Welt soll mich von dir können absondern; auch wann ich mit Juda meinen Heiland hätte verrathen, mit Kaipha meinen Erlöser hätte verfolget, mit Herode meinen Jesum hätte verspott, mit Malcho meinen Seligmacher hätte geschlagen, mit Pilato meinen Tröster hätte zum Tod verurtheilt, mit den Henkern und Hebräern meinen Gott an das Kreuz genaglet, so laß ich mich gleichwohl nit von dir, verzweifle auf keine einige Weis, sondern habe noch die Hoffnung, o edle Jungfrau[396] Speranza, trag noch die Hoffnung zu der grundlosen Barmherzigkeit Gottes, daß sie wolle, und thue mir meine Sünden verzeihen.

Gehet her, ihr Sünder in der ganzen Welt, deren Ich der größte Trost bin, kommt her, ich will zu eurem Trost einen einigen Buchstaben verändern in eurem Namen, anstatt des Buchstaben d setze ich den Buchstaben g, sodann heißt ihr nit mehr Sünder, sondern Singer. Singt eins mit mir, und zwar aus den musikalischen Noten, ut, re, mi, fa, sol, la, nur zwei einige, nämlich das Mi, und RE. Da werdet ihr Wunder hören, daß der barmherzigste Gott Euch auch mit zweien trostreichen Noten, Re, Mi, wird entgegen singen, fangt an mit dem büßenden David, MiseRERE mei etc. Sodann wird Gottes Stimm gleich erfolgen KEMIttuntur tibi peccata tua. Gottes Barmherzigkeit verwirft keinen Sünder, der sich zu Ihr wendet, und von der Hoffnung, von der Jungfrau Speranza nicht weichet.

Ich sehe meinen Heiland Jesum auf dem hohen Berg Thabor zwischen dem Moses und Elias, so allda erschienen, und mit Ihm redeten; nun ist allbekannt, wer und wie Elias gewest ein strenger, ein harter, ein eiferiger Verfechter der göttlichen Ehr, sogar hat Er das Feuer vom Himmel berufen, damit dasselbige die Sünder verzehre und in Asche lege, so gar hat Er den Himmel allerseits eingeschlossen, daß nit ein Tropfen Wasser auf die dürre durstige Erde herab können fallen etc. Wer und wie Moses gewest, ist auch keinem verborgen, Moses der allersanftmüthigste Mann in der ganzen Welt, Vir mitissimus,[397] dieser thät immerzu nichts anderst, als den göttlichen Zorn stillen. Elias thät anzünden, Moses aber löschen. Moses hat mehrmalen Gott dem Allmächtigen die Hände gebunden, daß Er das boshafte Volk nit hat können strafen, der gütigste Mann, der hat seyn können, war Moses. Dieser war also ein Entwurf der göttlichen Barmherzigkeit. Elias aber eine Abbildung der göttlichen Gerechtigkeit; wer aber gilt mehr aus diesen? Moses, Moses, der stehet auf der rechten Hand Christi Jesu auf dem Berg Thabor; die Barmherzigkeit Gottes, merke wohl, o Sünder! hat den Vorzug, die Gerechtigkeit Gottes, sey getrost, o Sünder, muß weichen, die Barmherzigkeit Gottes ist über alle seine Werke, solche Wort wiederholt der König David in einem Psalm sieben und zwanzigmal, o Jungfrau Speranza, deiner vergiß ich nimmermehr.

Petrus und Joannes, bezeugt das Evangelium, liefen alle beede gar stark und eilends nach dem Grab des Herrn Jesu, Joannes aber, der lief vor, weit schneller dann Petrus; Jungfrau Speranza das freuet mich von Herzen, Joannes lauft schneller, kommt eher, Petrus bleibt hinten; Petrus hat den Namen von Petra, dem harten Felsen, aber Joannes wird verdolmetschet Gratia, die Gnade; Gottes Gnad, Gottes Barmherzigkeit kommt seiner Gerechtigkeit weit vor, lauft ihr vor; das Adam schon erfahren, gleich bei Anbeginn der Welt, sobald er das verbotene Konfekt hat kost; o vorwitziges Kosten! du bist dran schuldig, das hat nachmals meinem Heiland sein Leben kost, sobald Adam das Gebot übertreten, hat er sich,[398] aus Antrieb des nagenden Gewissens, hinter dem Gesträuß verborgen; der allmächtige Gott steigt derenthalben vom hohen Himmel herab; die Gerechtigkeit war bereits da, und wollte Ihm das Schwerdt in die Hand geben, aber die Barmherzigkeit kommt Jhr vor, und gibt Ihm einen Oelzweig in die Hand, darum sagt die heilige Schrift, daß dazumalen Gott der Herr im Paradeis in der kühlen Luft gespazieret, als wolle Er gleichsam sich in etwas abkühlen, der im gerechten Zorn erhitzt war, und nachgehends den Adam selbst gesucht, der von Rechtswegen Ihn hätte sollen suchen, Ihn noch bei seinem Namen genennet, dem sonst ein anderer Titel hätte gebühret, auch sogar gegrüßt, dann aus den Anfangs-Buchstaben der drei Wort: Adam Ubi Es, das AVE heraus kommt, ja zuvor, wie Gott der Herr im Paradeis gespazieret, hat er Ihm einen Baum schon auserlesen, an dem er nach vier tausend Jahren mit seiner angenommenen Menschheit wolle für den Adam, und das gesamte menschliche Geschlecht, gekreuziget werden. O göttliche Barmherzigkeit, du hast keinen Grund, du hast keine Zahl, du hast kein Ziel, du hast kein Maaß, deine Höhe kann Niemand messen, deine Tiefe Niemand, deine Länge Niemand, wann ich schon so viel Sünden auf mir, als Tröpfel Wasser im Meer, als Stern im Himmel, als Stäubel in der Luft, als Sand auf Erden, als Gräsel im Frühling, so soll mich doch alles dieses nit von meiner liebsten Speranza abschrecken, welche sich so wohl verstehet auf die Barmherzigkeit Gottes, mit Zuversicht[399] sing ich MIseRERE. Mit Trost hör ich, et tu REMIsisti impietatem peccati mei.

Jungfrau Speranza, sie hat ja einmal gelesen, was Pepinus schreibt von Einem? dieser führte einen sehr üblen und lasterhaften Wandel, und, welches seine Bosheit vergrößert, hat er niemals solche Sünden in dem Beichtstuhl entdeckt, sondern je und allemal mit sträflicher Verschwiegenheit solche verhüllt. Wie er aber in eine tödtliche Krankheit gefallen, und man ihm bereits das Leben abgesprochen, da hat er unverweilt nach einem Beichtvater geschickt, dem er zwar einige Laster entdeckt, aber mehrmal eine Sünde, welche ihm die abscheulichste dünkte, verschwiegen, es nähert sich allgemach der Tod herbei, vier Teufel erschienen sichtbar in der Kammer vor seinem Bett, und fangen ein Gezank unter einander an, wer aus ihnen soll diese Seele in die Hölle führen, und ihrem Obristen Luzifer präsentiren? Mir, sagt der Erste, gebührt es auf alle Weis', dann ich hab ihn zu allererst zum Fall gebracht. Ho, ho, sagt der Andere, gemach mit der Braut, ich hab dießfalls einen weit bessern Zuspruch, dann ich mit meinem Fleiß und emsiger Versuchung bin Ursach gewest, daß er in der Sünde verharret. Was, sagt der Dritte, ihr Bärnhäuter! komme ich zu unserm Obristen, ich will euch eins aufriemen, indem ihr wider alle Billigkeit und Fug wollet diese Ehre mir abspannen, wem gebühret sie mehr als mir, diese Seele hinunter zu führen, indem ich und kein Anderer ihm die Anleitung gegeben, daß er so oft unwürdig zur Kommunion und höchsten Altarsgeheimnuß getreten. Der Vierte hatte[400] hierinfalls wenig Recht dazu, dahero er aus Neid gesagt: Ihr seyd große Narren, und unwitzige Phantasten, daß ihr um diese Seel schon streitet, indem sie doch noch im Leib, er kann noch beichten, kann noch Reu und Leid erwecken, da werdet ihr müssen mit der langen Nase abweichen. Wie das der Kranke vernommen, daß noch die Barmherzigkeit Gottes zu finden sey, so schickt er alsobald nach dem Beichtvater, legt mit absonderlicher Reue eine vollkommene Beicht ab, stirbt und wird ein Kind der Seligkeit. O Jungfrau Speranza! mit dergleichen Geschichten, weiß ich, ist ihr gar wohl gedient, so ist dann keine Zeit, auch so die Seele schon sich will auf den Weg nach der Ewigkeit machen, keine Zeit, sprich ich, ist zu spät, da die Barmherzigkeit Gottes nit kann angetroffen werden, keine Sünde so groß, die die Barmherzigkeit Gottes nit kann auslöschen. Nimm alle Sünden der ganzen Welt, die schon geschehen, die noch geschehen und inskünftig geschehen werden, so seynd sie so viel gegen die Barmherzigkeit Gottes, als ein kleiner Funken gegen das unergründliche Meer.

Wie der alte und betagte Isaak vermerkt, daß bereits die Zeit herzukommen, da er die Pilgerfahrt seines Lebens soll enden, da hat er seinen ältern Sohn, den Esau, angeredt, er soll doch die Mühe auf sich nehmen, bevor er ihm den letzten Segen ertheile, und mit seinem Bogen sich in Wald hinaus begeben, ein Wildprät fällen, dann er habe einen sondern Appetit hiezu. O mein lieber alter Tättel, hätte einer können sagen, ein Wildprät ist eine zu harte Speis' für deinen schwachen Magen, ein junger[401] starker Mensch hat zu thun, daß er dergleichen Fleisch verdaue, für dich, mein Isaac, pan Cotto, oder ein Kopaunersulz, oder ein Eierküchel taugt besser; ein Wildprät, ein Wildprät will ich haben, sagt Isaac. Es hat ihm aber nachmals die Rebecca ein Böckelfleisch zugericht. Alles dieß war eine Figur und Vorbedeutung. Isaac, den auch sein Vater Abraham hat auf dem Berg wollen aufopfern, war eine Figur Christi des Herrn, dem auch vor seinem bittern Tod kein größerer Appetit ankommen, als zum Wildprät, zum Böckelfleisch, verstehe hiedurch die Sünder. Seine göttliche Barmherzigkeit suchte die drei und dreißig Jahr nichts anders als Sünder, ja seine meiste Konversation war mit den Sündern, mit den Publikanern und offenen Sündern, mit Magdalena der Sünderin, mit Matthäo dem Sünder, mit Zachäo dem Sünder, mit der Samaritanin der Sünderin, mit Disma dem Schächerer und Sünder. Am Oelberg hat ihn ein Engel getröst, da er so häufig Blut geschwitzt, am Kreuz hat ihn kein Engel getröst, da er wohl mehr gelitten, weißt warum? darum, am Kreuz hat ers nit vonnöthen gehabt, dann wie er gesehen, daß seine göttliche Barmherzigkeit den großen Sünder Dismas bekommen, so war ihm dieß schon Trost genug. O Jungfrau Speranza, mir ist das Herz noch so leicht, indem ich sehe, daß mein Heiland Jesus keinen Sünder verwirft, sondern noch denselbigen sucht und umarmet. Ein frecher Soldat fragt einst einen frommen und heiligen Mann, ob sich Gott der Herr auch erbarme über einen Sünder? Worauf der Geistliche ihm entgegen gefragt, ob er seinen Rock, wann er[402] einen Riß bekomme, hinweg werfe? als solcher mit Nein geantwortet, also, sagte dieser, thut Gott auch den Menschen nit verwerfen, den er zu seinem göttlichen Ebenbild erschaffen.

Moses wollte auf eine Zeit, da er gar zu stark in Gott verliebt war, sein göttliches Angesicht sehen. Mein allmächtiger Erschöpfer, sagte er, ich hab schon eine geraume Zeit so viel und große Gutthaten von dir empfangen, auch so vielfältig mit dir umgangen, ich, als dein unwürdigster Diener, wanns halt seyn könnte, daß ich dein herrliches Angesicht könnte sehen, deine Glorie, deine Glorie möchte ich gerne anschauen? Ostende mihi gloriam tuam. Das kann nit seyn, sagte der Allmächtige, daß meine Gottheit mit leiblichen Augen könne angesehen werden, aber anstatt meiner Glorie will ich dir den Rücken zeigen, posteriora mea videbis. Ich muß bekennen, daß ich mich nit ein wenig befremdt über solche Antwort, die der gütigste Gott seinem so treuen Diener Mosi gegeben, soll dann der Allerhöchste auch eine Glorie auf dem Rücken haben? Ja, ja, ja, Gott wollte hiedurch sagen, daß er künftiger Zeit die Menschheit werde annehmen, und da werde er seine Glorie auf dem Rücken haben. Dann er werde das verlorne Lämmlein so lang suchen, bis ers finde, und nachmals werde er solches auf seine Achsel nehmen, wie dann dieser gute Hirt also abgebildet wird und dieses verlorne Lamm, verstehe den Sünder, werde seine Glorie seyn, posteriora mea videbis.

O gütigster Heiland der Welt, so schätzt dirs deine göttliche Barmherzigkeit für eine Ehre, für eine[403] Glorie, wann sie einen Sünder bekommt, der schon verloren war, so fällest du, barmherzigster Vater, dem verlornen Sohn, so von seinem liederlichen Wandel zurück kehret, wieder um den Hals; so sucht deine grundlose Barmherzigkeit mit dem evangelischen Weibel den verlornen Groschen, bis sie ihn wieder finde; so verliebst du dich, wie ein anderer Moses, in eine schwarze Sephora, in eine sündige ungestalte Seele; so residirst du in einem rauhen und hart stechenden Dornbusch, so ein Sinnbild der Sünder, so stellst du deinen Triumph nach Jerusalem an auf einer unbändigen Eselin, auf dero noch Niemand gesessen, so gleichfalls ein Entwurf der Sünder, so hab ich und kein Sünder in der Welt Ursach zu verzweifeln an deiner grundlosen Barmherzigkeit, dann ich sing MIseRERE, und du liebster Jesu thust mir antworten RE MIttuntur tibi etc.

Jungfrau Speranza, sie sey wohl auf, und laß ihr die Weil nit lang seyn, dann wann sie melancholisch ist, so bin ich bis in Tod betrübt, ich will ihr etwas erzählen, warob sie ein absonderliches Wohlgefallen schöpfen wird, mit dero Erlaubniß fang ich an. An. 1149 war zu Salerno ein Teufelsbanner und Hauptzauberer, welcher dem Doktor Faust gar nichts nachgeben, dessen Name war Petrus Abailardus, wie dieser 93 Jahr erreicht, da seynd ungefähr in seiner Abwesenheit zwei seiner liebsten Enkel über die verruchten Bücher kommen, Kraft derer er so lange Zeit die höllischen Larven in seinem Gehorsam hatte und weil sie der Zauberkunst unerfahren, also seynd sie von den Teufeln umgebracht worden, welcher[404] unverhoffte Tod dem Abailardo also zu Herzen gangen, daß er etliche Stund fast verstandlos dahin gelegen, endlich, nachdem er die entwichenen Lebens-Geister wieder erholt, machte er sich ganz schleunig auf, aber was glaubt sie Speranza, daß er angefangen? etwan, wie in dergleichen Zufällen öfters geschehen, hat er einen Strick ertappt, wormit er seinen alten Brod-Sack zugebunden? diese Gedanken seynd meiner liebsten Speranza nit! Abailardus wird von der göttlichen Barmherzigkeit getroffen, sein Herz wird ihm durch einen göttlichen Gnaden-Pfeil also berühret, daß er den geraden Weg geloffen nach der Kirche des H. Benedicti, allwo er mit gebogenen Knien vor einem an der Wand gemalten Krucifix-Bild drey Tag und Nacht aneinander geweint, geseufzt, und seine großen Sünden bereuet, daß endlich den dritten Tag den 25 März, damalen der Charfreytag, das Krucifix-Bild gegen ihm das Haupt geneigt, dadurch zu verstehen gegeben, daß nunmehr ihm seine Sünden seynd vergeben, worauf er alsobald den Geist aufgeben, das Bild aber auf den heutigen Tag wird mit geneigtem Haupt also gesehen, und leuchtet mit großem Mirakul und Wunder-Werken.

O Speranza, was doch meine bisweilen kleinmüthigen Gedanken mehr vertreiben, als dergleichen Geschichten; wann ich liese, wie der Laban so sorgfältig seine guldenen Götter gesucht, und derenthalben den Jakob für einen Dieb gehalten, da unterdessen die arglistige Rachel solche unter dem Stroh verborgen, so muß ich lachen, daß der bethörte Tropf, jene guldenen Talken für Götter gehalten, die von den[405] Diebs-Händen haben können entfremdet werden, aber der, der GOtt, den mir Niemand nehmen kann, auf dessen Barmherzigkeit ich mich gänzlich verlasse, der, der ist wohl ein guldener Gott; scheinet es doch, daß er wie der ausgewaidte Fisch Tobiä gar keine Gall habe: Cui proprium est semper misereri et parcere. Nichts als Gültigkeit ist an ihm, und wann ich nit wüßte, daß Ihn die übergebenedeite Jungfrau Maria hätte gesäuget, so glaubte ich gänzlich, die Barmherzigkeit wäre seine Ammel gewest, aber, aber, ist doch Maria auch eine Mutter der Barmherzigkeit.

Petrus tritt auf eine Zeit zu unserm lieben Herrn, und sprach zu Ihm: Mein Herr, wann einer sündiget! wie oft soll ich ihm vergeben? bis siebenmal? O mein Peter, auf solche Weise wärest du gar ein scharfer und scrupuloser Beicht-Vater, möchte einer schier ihm noch einbilden, der Himmel wäre für die Gäns gebauet, dann wer würde solcher Gestalten denselben erlangen? wir seynd ja elende zerbrechliche Menschen. Jesus aber sprach zu dem Petro, nit nur siebenmal, mein Peter, das wäre meiner Barmherzigkeit gar zu wenig, sondern auch bis siebenzigmal siebenmal; gibt hierauf die Gleichnuß von dem König, dem sein Knecht zehen tausend Pfund schuldig war, weil er aber nit hatte zu bezahlen, und den König derenthalben um Vergebung und Nachlaß gebeten, so hat er ihm die ganze Schuld geschenkt. Es ist keine Zahl der Sünden, keine Schwere der Sünden, keine Menge der Sünden, keine Größe der Sünden, von der sich die Barmherzigkeit Gottes laßt überwinden. 10000000000 mal gesündiget, wider das erste Gebot.[406] 200000000000 mal gesündiget wieder das andere Gebot. 30000000000 mal gesündiget wider das dritte Gebot. 40000000000 mal gesündiget wider das vierte Gebot. 50000000000 mal gesündiget wider das fünfte Gebot. 60000000000 mal gesündiget wider das sechste Gebot. 700000000000 mal gesündiget wider das siebente Gebot. 80000000000 mal gesündiget wider das achte Gebot. 90000000000 mal gesündiget wider das neunte Gebot. 100000000000 mal wider das zehente Gebot, ist alles, alles, gegen der Barmherzigkeit Gottes, wie ein Senf-Körnlein gegen den großen Berg Olymp. Getrost o Sünder dahero, sing nur MI se RERE, so wird dir nit ausbleiben das REMIttuntur.

Jungfrau Speranza, beliebt ihr ein wenig ins Feld hinaus zu spazieren und eine frische Luft zu schöpfen, es wird sie gar nit reuen, absonderlich wann wir auf den Acker kommen, von dem der Evangelist Matthäus gar ausführliche Meldung thut, da er sagte, daß ein Hausvater einen sehr guten Samen habe ausgesäet auf seinen Acker, als aber die Leute im sanften Schlaf begriffen, da kam der Feind und säete. Unkraut unter den Waizen, wie nun solcher nachmals in die Höhe gewachsen, da ließ sich auch das Unkraut sehen, wie solches die Knechte wahrgenommen, konnten sie sich nit genugsam darüber verwundern, wo Teixel das Unkraut herkomme, indem sie vergewißt waren, daß ihr Herr, als ein trefflicher Wirth, lauter des besten Waizen auf den Acker geworfen, thun sich derohalben selbst und freiwillig anerbieten, daß sie hierinfalls ihren Fleiß und Arbeit nit wollen sparen, sondern[407] gleich jetzt hinaus gehen, und das Unkraut ausraufen. Das nit, sagte der Hausvater, das will ich nit haben, es gefällt mir zwar eure Emsigkeit, aber diese Arbeit laßt unterwegs, ich will haben, daß das Unkraut mit samt dem Waizen aufwachse etc. Warum, mein Herr, warum? darum, dieser Hausvater ist unser lieber Herr, ob solcher schon siehet, daß unter seinem Waizen viel Unkraut, unter den frommen Menschen viel Böse und Lasterhafte gefunden werden, wann ihm schon die göttliche Gerechtigkeit immerzu in den Ohren liegt, er soll das Unkraut lassen ausrotten, so läßt er, aus Antrieb seiner grundlosen Barmherzigkeit, solches nit zu, sondern vergönnt dem Unkraut, daß es mit dem Waizen aufschieße, aus Ursachen, weil aus dem Unkraut gar oft der beste Waizen wird. Das ist ein anders, o Speranza! Ein Unkraut ist gewest Magdalena, ein Unkraut Maria aus Egypten, ein Unkraut Pelagia, ein Unkraut Thais, ein Unkraut Theodora, ein Unkraut Affra, ein Unkraut Manasses, ein Unkraut David, ein Unkraut Bonifacius, ein Unkraut Cyprianus, ein Unkraut Genesius, ein Unkraut Ardelio, ein Unkraut Moses ein Mörder, ein Unkraut Landelinus, ein Unkraut Onesimus, ein Unkraut Valerianus, ein Unkraut Theobaldus, ein Unkraut Bononius, ein Unkraut Nasatius, ein Unkraut Theodolus, ein Unkraut Theophilus, ein Unkraut Augustinus, ein Unkraut Guilelmus und gleichwohl dieß Unkraut samt tausend und tausend und aber tausend ist durch die Barmherzigkeit Gottes in den edelsten Waizen verkehrt worden. Aus gemeinen Bettlern, aus Schelmen, aus Dieben, aus Mördern, aus Zauberern, aus Gotteslästerern, aus[408] Ketzern, aus größten Bösewichtern die größten Heiligen worden.

Vor dem großen ungeheuren Großschädel Goliath hat sich das ganze Volk Israel gefürchtet, endlich meldet sich ein rothkopfeter junger Schafhirt an, mit Namen David, daß er wolle mit dem großen Flegellanten eines wagen, so zwar anfangs von dem meisten Volk ausgelacht worden, welches für unmöglich gehalten, daß ein solches kleines Bürschel soll den ungeheuren Fleischthurm überwältigen. Der Saul selbst glaubte, daß eine solche Mucke wider den Elephanten wenig werde ausrichten: aber David brach endlich hervor mit der Prob und sagte dem König ins Gesicht, daß er zwar ein Hirt seye, aber schon manche heroische That begangen, denn, wenn ein Löw, oder ein Bär, oder ein anders Thier, sagt er, ist kommen, und mir ein Lämml, einen Widder hinweggetragen, da bin ich ihm nachgejagt, hab ihn erwürgt und hab ihm den Raub wieder aus dem Maul herausgerissen.

Was David gethan, das thut noch alle Tag die Barmherzigkeit Gottes. Der höllische Löw, dieser brüllende Räuber, solches verdammte Unthier, reißt da und dort ein Lämml hinweg von der Heerde Christi, aber die göttliche Barmherzigkeit jagt ihm nach und reißt ihm solchen Brocken wieder aus dem Rachen heraus. In diesem Rachen bin ich schon gesteckt, sagt jener vornehme Herr, von dem der hl. Brigittä geoffenbaret worden, indem ich 60 ganze Jahr einen Pakt mit dem Satan gehabt, und mich ihm schriftlich und mündlich ergeben, endlich gleichwohl durch Vorbitt der Mutter Gottes, mit dero Schmerzen[409] ich bisweilen ein Mitleiden gehabt, habe noch vor meinem Tod eine vollkommene Reue und Leid erweckt, und also ein Kind der Seligkeit worden. In diesem Rachen bin ich schon gesteckt, sagt Neanias, der ich ein blutgieriger Verfolger der Christen unter dem unmenschlichen Diokletiano gewest, aber die Barmherzigkeit Gottes hat mich wieder herausgerissen, dann Christus Jesus selbst vom Himmel gestiegen, mich mit eignen Händen getauft, und den Namen Prokopi geben. In diesem Rachen bin ich schon gesteckt, sagt Mutius, weil ich viel Jahr ein Mörder, ein Räuber gewest, aber Gottes Barmherzigkeit hat mich wieder herausgerissen, und mich zu einem so vollkommenen Wandel gebracht, daß ich neben andern Wunderwerken, sogar auch die Sonne, wie ein anderer Josue, hab von ihrem Lauf zuruck gehalten. In diesem Rachen bin ich schon gesteckt, sagt Andreas Naddini, dann ich mein Leben in den größten Lastern und Gotteslästerung zugebracht, auch nit einmal in die Kirche gangen, viel weniger ein Vater unser gebet, hab sogar aus Grimm und Zorn das Bildnuß Christi und seiner gebenedeiten Mutter Mariä in das Feuer geworfen, bin aber gleichwohl kurz vor meinem Tod wieder aus solchem Rachen von der Barmherzigkeit Gottes gerissen worden, indem ich durch Vorbitt der hl. Katharinä Senensis eine rechte vollkommene Beicht abgelegt und als ein Kind der Seligkeit von dannen geschieden. In diesem Rachen bin ich schon gesteckt, sagt die Baas oder Maim des heil. Eremiten Abraham, dann ich eine lange Zeit in einem öffentlichen Wirthshaus einen öffentlichen Schleppsack[410] abgeben und mich in allen Lastern herumgewälzt; aber die Barmherzigkeit Gottes hat mich wieder herausgerissen, und bin ich durch Anleitung meines Vetters Abraham zu solcher Vollkommenheit gelangt, daß nachmals Gott durch mich viel Wunderwerke gewirket. In solchem Rachen bin ich schon gesteckt, sagt jener Jüngling bei Discipulo, dann ich mit meiner eigenen Schwester gesündiget, meinen eignen Vater ermordet, aber die Barmherzigkeit Gottes hat mich wieder herausgezogen, daß ich durch eine Predigt, worin Gottes Barmherzigkeit hervorgestrichen worden, bewegt, meine Sünden gebeicht und solche vor einem marianischen Vesperbild dergestalt bereuet, daß mir das Herz zersprungen, da aber das Volk für meine Seele wollte beten, ist vom Himmel eine schneeweiße Taube herabgestiegen, einen Zettel aus dem Schnabel fallen lassen, worin mit goldenen Buchstaben geschrieben gewest, daß ich bereits das Angesicht Gottes anschaue. In solchem Rachen bin ich schon gesteckt, sagt die große Stadt Ninive etc. Still, still mit dergleichen Exempel und Beweisthümer der göttlichen Barmherzigkeit; Speranza mein einiger Schatz, dafern ich mehrere dergleichen sollte anhören, so würde mir mein Herz zerschmelzen, wie der Schnee vor der Sonne, o Herz weit härter, als der Felsen, woraus Moses das Wasser erweckt. O Gemüth weit unempfindlicher als der Ambos, worauf Tubalkain das Eisen geschmiedet. O Mensch weit kälter als das Eis, auf dem die muthwillige Herodias getanzt; wann du an der Barmherzigkeit Gottes verzweiflest, wann du deine Missethaten größer haltest, als die Barmherzigkeit Gottes,[411] hätte ich die Sünden auf mir aller Verdammten in der Höll, hätte ich alle Laster, zu denen der böse Feind könne anreizen; hätte ich so viel Missethaten, was nit nur diese Welt, sondern noch tausend andere Welten können begehen, so würde ich dannoch mit meiner liebsten Speranza bei der Barmherzigkeit Gottes anklopfen, bin versichert, daß sie mich nicht werde ausschließen; dann ich behalt noch wohl bei mir jene Wort, welche der Herr und Heiland der St. Katharinä Senensi gesagt, daß ihn nämlich mehr schmerze, und mehr mißfalle, wann ein Sünder in seinem letzten Sterb-Stündel an seiner Barmherzigkeit verzweiflet, als alle seine vorhero unzählbaren begangenen Sünden, daher sehr rathsam, daß man den Sterbenden nichts so eifrig, nichts so oft vortrage, als die grundlose Gute Gottes.

O mein Herr Jesu! die Hebräer haben insgegemein schon dahin geredt von dir, daß du gar zu gut seyest, und so gar nit weigerest die Gesellschaft der Pharisäer, welche von männiglich für Haupt-Schelmen seynd gehalten worden. Einmal wollten sie noch die Prob nehmen, und erfahren, ob dann gar keine Gall in dir, zu solchem End sie ein Weibsbild, welche in wirklichem Ehebruch ertappt worden, vor deine heiligste Person geführet, du sollest auch deine Meinung beilegen, ob sie soll nach dem Gesetz Mosis versteiniget werden? Du aber, o Heiland! hast die Augen auf die Erde gewendt, auf die Erde geschrieben, und sodann dir arme Haut frei und los gelassen; hätte dann nit sollen dieser Schleppsack billig gestraft werden? Dann die allzugroße Gültigkeit den Lastern mehr[412] Unterschleif gibt. Ich, ich, sagt mein guldener Jesus, auf die Erd hab ich geschaut, hab die Erd betracht, und anbei zu Gemüth geführt, daß der Mensch aus der Erde, und folgsam ein gebrechliches Geschirr, dahero ein herzliches, Mitleiden getragen mit dieser Sünderin, und trage noch ein Mitleiden mit allen Sündern.

O mein Heiland! auf solche Weis kommt jetzt her aus, was du einmal dem Himmels-Portner Petro in einer Figur gezeigt hast, da er nämlich gesehen ein großes leinenes Tuch vom Himmel herablassen mit den vier Züpfen; in dem Tuch aber waren allerlei wilde Thier, sogar Schlangen und Kröten, auch allerlei Vögel, worauf dem Petro gesagt worden, dieses sey seine Speis, nach solchen ist das leinene Tuch, samt den Thieren, wieder in Himmel genommen worden: Merks Peter! hat es geheißen, du wirst die Schlüssel zum Himmel haben, du mußt dir aber nit einbilden, daß du lauter unschuldige Lämmlein und Tauben werdest einlassen, sondern auch andere Thier, auch leichtfertige Kröten, auch verstohlene Galgen-Vögel, auch allerlei gottlose Bestien! Dann meine göttliche Barmherzigkeit erstreckt sich zu allen, absonderlich aber zu den Sündern, mit denen ich wegen ihrer Gebrechlichkeit und Schwachheit ein Mitleiden trage.

Herzige Speranza, sie muß es mir nit für ungut aufnehmen, wann ich noch einige Geschicht beisetze, woran wir beide eine sattsame Begnügung haben werden! Ich kann nit genug preisen die unendliche Lieb, welche der gütigste Gott zu uns sündigen Menschen trägt; ich hab einmal in einem sehr weisen Naturkündiger gelesen, wie man könne in Erfahrenheit bringen, ob[413] Einer oder Eine verliebt seye? Man solle, lehret Er, zum Exempel dem Ferdinand an die Puls greifen, und etliche Namen nacheinander daher sagen v.g. Anna! die Puls alterirt sich nit. Christina! die Puls gehet wie zuvor; Eleonora! die Puls ändert sich nit; Sabina! die Puls lauft wie allezeit; Theresia! da zapplet die Puls, schlägt schneller, verrath die Lieb, welche der Ferdinand trägt zu der Theresel etc. Wann ich hätte armseligste Kreatur bei dem Ochsen dürfen stehen im Stall zu Bethlehemn, und dem goldenen Jesus-Kindl die Puls greifen, auch nachmals auf den Berg Calvariä bei dem Schächer hätte dürfen stehen, und gleichfalls die Puls greifen an dem ausgespannten Arm meines Heilands Jesu; wann ich beider Orten gesagt hätte. V.g. Engel! so hätte sich die Puls nit alterirt: Erz-Engel! so wäre die Puls gangen wie zuvor: Cherubin! so hätte ich keine Aenderung an der Puls gespüret; Seraphin! so hätte die Puls den Ordinari-Lauf gehabt: Aber wann ich hätte angefangen zu schreien, Mensch, Mensch! Sünder, Sünder! so bin ich versichert, die Puls meines Erlösers hätte sich merklich alterirt, vor Freuden zapplet, und die unendliche Lieb gegen die Sünder offenbaret, und gegen den Menschen, die Ihn so oft und vielfältig beleidiget, nit aber gegen die Engel, massen Er die Menschen erlöst, so mehr gesündiget, nit aber bis Engel erlöst, so weniger gesündiget. Meine Speranza aber, ich will noch meinem Versprechen nachkommen, und die angefangene Hist. in Kürze beitragen.

Ein Weib hat einen harten Mann gehabt, der fast genaturt war, wie der Esau, Hispidus, rauh und[414] grob, da doch ein Mann darum ein Mann genennt wird, damit er soll lernen eine Manier zu gebrauchen, aber etliche seynd dergestalten grobe Holz, daß auch der Henker kaum möchte Scheiter daraus klieben: Dieser tractirte sein armes Weib öfters am Tag mit harten Streichen. Erstgedachtes bedrängtes Weib wußte nicht, wie sie doch möcht solche Tyrannei vermeiden, sucht endlich einen Rath bei einer alten Vettel und geschimmleten Rotzgeschirr, sie woll ihr ein Mittel an die Hand geben, womit sie machen könne, daß ihr Mann sie lieb habe. Die alte verspricht es, und citirt alsobald den Teufel, trägt ihm vor, er solle ohne Verzug zuwegen bringen, auf daß der Mann dieses Weib hinfüro lieb und werth halte. Ja antwortet der Schwarze, aber sie muß zuvor das einige Kind und Söhnlein, so sie hat, umbringen, welches auch geschehen. Der Satan war noch mit diesem nit zufrieden, sondern begehrt noch, daß sie Gott, die Tauf, den Glauben, die Anrufung der Heiligen gänzlich verläugne und absage, welches sie alles gethan, damit sie nur sicher von ferneren Streichen seyn möge, als diese aber nach Haus kommen, hat sie der im Wirthshaus berauschte Mann noch härter als einmal empfangen. Weil sie nun gesehen, daß auch des Teufels Hilf ihr zu keiner Besserung gedeihet, also hat sie sich in die Flucht begeben, da sie aber kaum eine Meil von Haus, ist ihr der böse Feind in der Gestalt ihres Mannes begegnet, und ihr die besten Wort geben, mit kräftiger Versprechung, daß er ihr hinfüro das geringste Leid nit wolle anthun, weil sie nun solchen Worten Glauben geben und ziemlich getrost nach Haus kommen,[415] da hat der rechte Mann mit mehrmaligen Schlägen also mit ihr verfahren, daß sie nicht gewußt, wohin sie sich wenden solle, und weil er aus ihren Worten wahrgenommen, daß sie habe fliehen wollen, also hat er sie dergestalten traktirt, daß man augenblicklich vermeint, sie werde den Geist aufgeben, wessentwegen sie um Gottes willen gebeten und geschrien um einen Beichtvater, welches er ihr in allweg geweigert. Endlich ist jemand, unwissend seiner, um den Geistlichen geloffen, so auch gar bald samt dem höchsten Gut erschienen, dem aber der tyrannische Mann die Hausthür verriegelt. Jetzt Speranza, merke sie wohl auf, was sich ferners zugetragen. Diese hat Gott verläugnet, die Mutter Gottes verläugnet, alle Heiligen verläugnet, alle Sakrament verläugnet, und hatte noch über alles dieß keinen Beichtvater an der Hand; soll dann hier die Barmherzigkeit Gottes auch noch etwas wirken können? Freilich, freilich, weil sie den Beichtvater nit bei Ihr konnte haben, so hatte sie nach Möglichkeit geschrien, er solle sie doch durch die hölzerne Wand hören: Herr, ich klag mich an, sagte sie, ich hab gesündiget, ich hab mein einiges Kind ermordet, ich hab mich mit Leib und Seel dem bösen Feind verschrieben; ich hab Christum meinen Erlöser verläugnet, worauf ihr der Priester die Absolution geben, sie aber alsobald Tods verschieden, und merks wohl, o guldene Speranza, und sowohl der Priester, der Mann, als andere Gegenwärtige haben gesehen, daß ihre Seel in großem Glanz von den Engeln in Himmel getragen worden. Also schreibt Discipulus.

Gelobet und gebenedeiet seye nunmehr die göttliche[416] Barmherzigkeit, jetzt schreckt mich nit mehr die Auslegung, als ob gar wenig zur Seligkeit gelangen; um weilen aus so viel tausend, tausend Menschen nur zwei ins gelobte Land kommen. Es schreckt mich nit mehr die Aussag, als ob die Hälfte der katholischen Christen sollen aus dem Himmel verschlossen werden, um weil auch die Hälfte der 10 Jungfrauen von dannen bannisirt worden; es schreckt mich nit mehr die Lehr, als solle der Theil der Seligen und Auserwählten gar klein seyn, indem nur acht Personen in der Arche salvirt worden, die andern alle im Sündfluß ertrunken. Es schreckt mich nit mehr jene Glossa über das Buch Apokal., allwo mehr Bücher, worin die Verlornen gezeichnet seynd, auf- und vortragen werden; nur ein Buch aber, worin die Namen der Auserwählten gestanden; dieß alles schreckt mich nit, um weil ich weiß, nach Aussag des Königs David, daß seine Barmherzigkeit sey über alle Werke, daß mit seiner Barmherzigkeit der ganze Erdboden sey angefüllt, daß er so wenig unserer nit erbarmen kann, als da nit kann ein Vater, eine Mutter sich nit erbarmen über sein Kind, daß einer allein aus so vielen eingeladenen Gästen nur ist ausgeschlossen worden, um weil er kein hochzeitliches Kleid angetragen. Ich meinestheils halt für glaublich, daß drei Theil der katholischen Kirche durch die Barmherzigkeit Gottes, und seine grundlose Gütigkeit, die unzergänzliche Kron der ewigen Seligkeit erlangen; anderst, anderst läßt mich eine holdselige Speranza nit reden. Wohlan, o herzigste Jungfrau! sie gebe mir ihre schneeweißen Händlein, jetzt, jetzt, laß ich sie nimmermehr[417] von mir, jetzt und allemal, wird sie mit mir singen. O was hat sie für eine englische Stimm! Singen wollen wir beide MIseRERE MIseRERE mei Deus! Der Gnadenton kommt schon wieder zuruck: REMIttuntur REMIttuntur tibi peccata tua!

Quelle:
Abraham a Sancta Clara: Judas der Erzschelm für ehrliche Leutߣ. Sämmtliche Werke, Passau 1834–1836, Band 5, S. 394-418.
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