Die schwere Wahl

[295] Wie Hercules im Zweifel stand/

Auff welchem Weg er solte treten/

Da Tugend auff der rechten Hand

Und Lust zur Lincken ihn gebeten/

So stehen auch izt meine Sinnen

In Furcht und Hoffnung mitten innen.


Doch sah er ihren Unterscheid/

Und konte nicht im Urtheil fehlen/

Ihm für die Bahn der Sinnligkeit

Den Pfad der Ehre zu erwehlen:

Wer aber lehret mich ergründen

Wo ich das beste Theil soll finden.


Ich sehe gleichen Stand für mir/

Und frische Blüthe gleicher Jugend/

Den Augen weist sich gleiche Zier/

Dem Hertzen gleiche Frucht der Tugend:

Wer hier den Unterscheid kan kennen/

Ist wohl ein Oedipus zu nennen.


Verblendet einer Sonne Licht/

Was soll von mehrern nicht geschehen?

Wenn man dort braune Nägeln bricht/

Läst sich der Liljen Schnee hier sehen/

Die beyderseits den Liebes-Bienen

Zu angenehmer Nahrung dienen.[295]


Diß ist des Zweiflers ärgste Qual/

Wenn er ihm keinen Schluß kan fassen.

Ich muß dem Hertzen schon die Wahl

Nach seiner Neigung überlassen/

Und nachzufolgen mich bemühen

Wohin mich Glück und Sternen ziehen.


Vielleichte weist sich der Magnet/

Der meiner Seele Stahl gezogen/

(Wie mein getreues Hoffen steht/)

Auch desto eher mir gewogen.

Ich wag' es drauff: Verhängnis schicke

Zu meinem Fürsatz Heyl und Glücke!


Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 1, S. 295-296.
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