[Der frühe Morgen zeiget sich]

[71] Der frühe Morgen zeiget sich/

Auff/ meine Seel/ und finde dich

Zu Jesu Grab und Füssen wieder!

Hier legte man vons Creutzes Stamm

Am Freytag deinen Bräutigam

Zur stillen Todten-Ruhe nieder.


Was fürchtestu den schweren Stein

Der dir im Wege möchte seyn/

Des Herren blassen Mund zu küssen:

Er ist durch unbekandte Macht

Bereits von seiner Stätte bracht/

Und kan das Grab nicht mehr verschliessen.


Nun meine Seele/ du bist hier/

Doch fällt ein neuer Kummer für/

Wer weiß dich dessen zu entbinden?

Begieb dich in diß Todten-Hauß/

Such alle Winkel drinnen aus:

Dein Jesus ist hier nicht zu finden.


Er ward in Tücher eingehüllt/

Mit Myrrh und Aloe gefüllt/

Der gantze Cörper war umwunden.

Hier zeiget sich des Lagers Platz/

Wo aber ist der beste Schatz/

Der theure Heyland hin verschwunden?


Wer ist der mich berichten kan/

Wo man den Herren hingethan/

Den meine Seele sucht und liebet?

Find ich des Hertzens Trost und Licht/

Das Leben meiner Seele nicht/

So bin ich biß in Tod betrübet.


Was aber such ich den der lebt/

Wo man die todte Schaar begräbt?[71]

Mein Jesus ist ja aufferstanden.

Was scheu ich nunmehr Tod und Grab/

Nachdem ich die Gewißheit hab/

Mein Aufferwecker ist verhanden!


Ich seh ihn schon von ferne stehn/

Und mir mit Trost entgegen gehn/

In angenommnem Gärtner-Kleide/

Damit ich fortan sicher weiß/

Daß mich vom frohen Paradeiß

Und ihm nicht Tod/ nicht Hölle scheide!


Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 2, S. 71-72.
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