[Nun werff ich ab das Joch der stillen Einsamkeit]

[122] Nun werff ich ab das Joch der stillen Einsamkeit/

Und suche mehr vergnügt zu schlüssen meine Zeit;

Der falschen Freyheit Schein

Soll über meine Sinnen/

Die selber herrschen können/

Nicht mehr Tyranne seyn.


Wer unverehligt lebt/ nennt sein Gemütte frey:

Urtheilet/ wer von uns doch mehr gebunden sey!

Mich hat mein freyer Schluß

Zu einer Wahl verbunden/

Um die er alle Stunden

In Sorgen stehen muß.


Was er verlieren will/ hebt er mit Sorgen auff/

Erwartet offtermahls dafür den schlechtsten Kauff:

Er weiß nicht was er kriegt/

Denckt/ iedes sey das Seine;

Ich habe schon das Meine

Und bin damit vergnügt.


Jedweder Gegenstand ist seiner Liebe Ziel/

Er muß ein Sclave seyn/ wo er nicht herrschen will:

Ich lebe wo ich lieb/

Und liebe wo ich lebe;

Was ich empfang und gebe

Ist freyer Sinnen Trieb.[122]


Die Augen aller Welt sind auff ihn zugericht;

Seht/ wie ihm jederman ein scharffes Untheil spricht.

Bald lebet er zu frey/

Bald will man übel deuten/

Daß er zu stoltz bey Leuten/

Zu blöd und traurig sey.


Was bringt ihm nicht für Furcht der heißen Liebe Macht/

Wenn manch Lieb-reitzend Blick nach seiner Freyheit tracht/

Wenn manche Venus ihn/

An der ihm nichts gelegen/

Auff unbekandten Wegen

Will in ihr Netze ziehn!


Löscht wohl der Seelen Brand ein abgestohlner Kuß/

Wenn man für Augen sieht der andern Uberfluß/

Wenn andre nehmen ein

Mit ungezählten Zahlen/

Was uns zu vielen mahlen

Muß abgeschlagen seyn?


Der Ehre Rauch verfliegt/ ein Zufall raubt das Gutt/

Die Wissenschafft verführt/ das Alter schwächt den Mutt/

Der Freundschafft Glutt wird Eyß

Darvon man offt die Asche

Bey ausgeleerter Tasche

Nicht mehr zu finden weiß.


Was reine Brunst verknüpfft das bleibt unauffgelöst/

Durch dieses werden wir erfreuet und getröst:

Getreue Liebe steht/

Wenn wir von hinnen müssen/

Und unter unsern Füssen

Die Welt zu Drümmern geht.


Drum sag ich gutte Nacht der bangen Einsamkeit/

Und suche mehr vergnügt zu schlüssen meine Zeit/

Der Freyheit danck ich ab/

Und will sie izt verschlüssen

In dieser sanfften Küssen

Gewünschtes Feder-Grab.[123]


Ihr Nimphen lebet wohl/ und denckt nicht mehr an mich!

Wem gutts zu rathen steht/ der mach es so wie ich!

Du angenehmer Tod

Der Freyheit/ sey willkommen!

Wer dich in Arm genommen

Empfindet keine Noth.


Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 4, S. 122-124.
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