Die verkleidete Schäferinnen

[120] Hier schauet uns die Nimphen von dem Lande/

Die wohl vergnügt mit ihrem freyen Stande/

Durch schlaue List und falsche Pracht

Niemand zu fangen seyn bedacht.

Kein stoltzes Band muß unser Haubt beziehn/

Kein theurer Staub berühret unser Haar/

Gold/ Liljen/ Rosen die ihr nehmet wahr/

Pflanzt die Natur mit eigner Hand dahin:

Der Mäyen-Thau/ der reine Bronnen/

Die Flutt der Spiegel-hellen Bach

Muß unsrer frischen Wangen Anstrich seyn.

Weil fauler Schlaff verdunckelt andre Sonnen

Die ihrer Wollust hengen nach/[120]

Und schöner Wangen Purpur bleicht/

Beschämen wir durch unsern Schein

Der Morgenröthe frühes Licht/

Daß sich entfärbt der Erd entbricht:

Dem klaren Antlitz gleicht die Reinigkeit der Sinnen.

Kein trüglich Wort/ kein abgestohlner Blick/

Kein Zucker falscher Höffligkeit

Ist fremder Freyheit Fall und junger Hertzen Strick.

Der Buhler Kunst/ die diese Zeit

An Höfen treibt/ wird man bey uns nicht innen.

Ein treues Hertz/ ein freyer Mutt

Ist unsrer keuschen Seele gutt.

Um Geld und Pracht stehn wir nicht feil/

Betrug und List hat hier kein Theil.

Wer unser Hertze will erheben

Muß seines um das unsre geben.


Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 4, S. 120-121.
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