XII

[38] Auguste war eine Freundin und Gehülfin des Hauses. Frau von Willfried, der sorgsamsten und ununterbrochensten Pflege bedürfend, hatte sie, ehe Erna allein ihr diese leisten konnte, und um sie ihr späterhin zu erleichtern, zu sich genommen, und ihr die Aufsicht über die Dienstboten und das Hauswesen, und Erna's Unterricht in den feineren weiblichen Arbeiten übertragen.

Auguste, die Tochter eines Predigers, war eine jener zarten, früh verblühenden Gestalten, die verschlossen, aber in tiefen Frieden mit sich selbst und andern ihren Lebensweg dahin gehen, ohne daß der aufmerksame Beobachter dem ihre früheren Verhältnisse fremd sind, zu entscheiden vermag, ob der Wurm der Kränklichkeit, oder eines durch Unglück erschütterten Gemüths an ihrer vor der Zeit gewelkten Blüthe nagt.

Hier hatte beides sich vereinigt, sie rasch über die Gränzlinie feuriger, genußvoller Jugend in jenen sinnigen, ruhigen Zustand reiferer Jahre hinüber zu führen, in welchem ein weibliches Wesen das leidenschaftliche Getriebe der Welt nicht mehr als eine Bühne des Handelns, sondern nur des Zuschauens betrachtet.

So lag schon in ihrem acht und zwanzigsten Jahr das Daseyn beschlossen, und geendet in[38] seinen innigsten Beziehungen hinter ihr. Doch hatte sie die Schätze eines reinen Gewissens, der Geistesklarheit, und einer nun nicht mehr zu untergrabenden Ruhe aus dem Schiffbruch einer trüben Vergangenheit gerettet, und gelassen, klaglos und zufrieden widmete sie sich in stiller Geduld dem ganzen Umfang ihres Berufs, dankbar, daß Frau von Willfrieds Sanftmuth und Erna's himmlische Güte ihren Pfad freundlich ebneten, indem beide ihren sittlichen Werth erkannten, und höher ehrten, als ihrer Bescheidenheit eigentlich gerecht schien.

Erna zählte erst sieben Jahr, als Auguste ihre Hausgenossin ward. Sie fühlte sich schnell mit herzlicher Liebe zu dem holden Kinde hingezogen, das schon früh in allen seinem Denken und Thun den Keim einer seltenen Vortrefflichkeit ahnen ließ, und es ward ihr bald die heiligste und süßeste Angelegenheit ihres Lebens ihre Anlagen zu entwickeln, und dem zu wahrer Frömmigkeit sich hinneigenden Gemüth die Richtung zu geben, die – wie sie aus Erfahrung wußte – in allen Freuden und Leiden welche das Schicksal bietet, nur in sich Schutz und Schirm und Gleichgewicht findet.

Sie lehrte sie, mehr durch Beispiel als durch Worte, in Freude an der Natur, in stillen nützlichen Beschäftigungen und in der Erfüllung ihrer Pflichten den Zweck, so wie die Würze ihres Daseyns suchen. Auch waren Erna's Verhältnisse[39] ganz geeignet, um mit ihrem Plan im Bunde sie zur ernsten Einkehr in sich selbst, zur frühen Reife des Geistes, zur sanften Mäßigung ihrer lebhaften Gefühle hinzuleiten. Denn die stets leidende Mutter, die gleichsam das ganze Leben ihrer Erna als ein Opfer kindlicher Liebe hinnahm, das ihr gebührte, und die das früh resignirte Kind aus der Sphäre fröhlicher Jugendlust, die ihren Jahren angemessen war, an den engen Kreis bannte, welcher ihr Schmerzenslager umgab, half durch den Anblick ihres langsamen Dahinschmachtens ihre Phantasie von dem Irrdischen abziehen, und zu jener höheren Ansicht empor richten, die wie ein Stern in dunkler Nacht den Blick des Geistes aufwärts hebt.

Nichts bildet die moralischen Fähigkeiten edler aus, nichts wirkt herrlicher auf das weibliche Gemüth, als wenn es ganz von dem Beruf der Krankenpflege durchdrungen, ihn als eine heilige Pflicht anerkennt und übt. Sanftmuth, Geduld, frommer Glaube an eine Hand, die jedes Leiden lindert, wäre es auch erst jenseits, Ergebung und himmlischer Friede entkeimen der Saat, welche Selbstverläugnung in den steinigen Boden des Entbehrens streut, und lohnen jeden hingegebenen Genuß der Welt durch die reiche Fülle des Bewußtseyns.

So glaubte Auguste in Erna's Fortschreiten im stillen Versagen bunter Jugendfreuden, und in[40] einer sich selbst vergessenden Thätigkeit die stärksten Waffen gegen alle feindlichen Angriffe eines künftigen Geschicks ihr in die Hand gegeben zu haben, und als sie die sanfte Morgenröthe einer – wie sie hoffte – glücklichen Neigung in ihrer Seele anbrechen, und diese durch die Wünsche der Familie geheiligt, so wie durch Alexanders auch sie bestechende Aussenseite gerechtfertigt sah, wähnte sie ihren Liebling nahe an der Schwelle des Tempels der höchsten irdischen Glückseligkeit, und freute sich der immer wärmer werdenden Innigkeit, die sie bemerkte.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 38-41.
Lizenz:
Kategorien: