XVII

[134] Anfangs hatte Alexander schüchtern nur von ferne Erna's Züge und ihre Stimmung beobachtet, und so lange er sie in sich gekehrt, nachdenkend und schweigend erblickte, fand der Frohsinn den Weg zu seinem Herzen nicht.

Doch bald klärte sich der trübe Nebel auf, der ihre Stirn umwölkte, und das schöne Auge hing nicht mehr, durch die gesenkten Wimpern verschleiert, am Boden, oder erhob sich ernst, von schmerzlicher Gedankenfülle umdüstert. Freier schaute es um sich her, in seiner eigenthümlichen, reinen, überirrdischen Klarheit strahlend, wie ein milder Stern, der aus höheren Regionen den Glauben an das Heilige und Ewige unauslöschlich in jede Seele senkt.

Kindlichen Sinnes, und die zarten Saiten ihrer Gefühle leicht bewegt, wie die vom leisesten Hauch bewegte Aeolsharfe, war ihr der Uebergang von tiefem Ernst zu mittheilender Fröhlichkeit[134] nicht schwer, und sie kehrte nur dann erst wieder zu der ihr von den Bemerkungen der Gräfin aufgedrungenen, einsylbigen Förmlichkeit zurück, als diese Letztere, die mit der Gesandtin in ein sie lebhaft interessirendes Gespräch gerathen war, beim Wegfahren plötzlich erklärte, daß sie den Platz bei derselben im Schlitten einzunehmen und den ihrigen Erna zu übertragen wünsche.

Ich werde Ihnen untreu, sagte sie zu Alexandern, aber ich mache Ihnen keine Entschuldigung, sondern ich erwarte Ihren Dank, da ich meine Stelle so würdig besetze.

Eben so ahnungslos, wie sie ihn vorhin beleidigt hatte, versöhnte sie ihn jetzt durch die Gelegenheit, die sie ihm gab, während der Stunde des Heimwegs Erna nahe zu seyn.

Ehe sie aber noch einstiegen, brachte ein heimlich von ihm beauftragter Gärtnerbursche einen Korb voll der lieblichsten Blumensträuße, die er unter die Damen vertheilte.

Eine wunderschöne Rose hatte sich der leichten Fessel entrissen, und war vereinzelt im Korbe zurück geblieben. Er wagte es, sie Erna noch insbesondere anzubieten, und streifte sorglich vorher die Dornen ab, die sie verletzen konnten.

Die Gräfin bemerkte es. Was thun Sie? rief sie aus. Sie rauben ja dem armen Röslein Wehr und Waffen, und machen es zu einem unnatürlichen[135] Unding. Denn eine Rose ohne Dornen – ist das nicht gerade, wie Liebe ohne Schmerz? Beides ist auf dieser prosaischen Erde nicht zu finden, und wer weiß, ob es sogar in den elisäischen Feldern, oder in Oschinnistan, und wie die sonstigen Domainen und Residenzen der Feen und Zauberer heißen mögen, zu Hause ist.

Der Natur nachzuhelfen, ist ja das schöne Vorrecht der Kunst, erwiederte er, wie nicht vielmehr der Verehrung, die dem zarteren Geschlecht so gern in der Liebe den Schmerz und an der Rose die Dornen sparen möchte.

Er reichte hierauf die nicht mehr verwundende Blume Erna ehrerbietig hin. Sie nahm sie an, und er hatte die süße Genugthuung, gewahr zu werden, daß sie, als sie sich unbeobachtet glaubte, sie tief in ihrem Zobelpelz verbarg, um sie vor dem kalten Athem der Winterluft zu schützen.

Jetzt mahnte das schallende Glockengeläute der Schlitten, das kunstmäßige Klatschen der Peitschen in den geübten Händen der Vorreuter, und der Schein der Fackeln, die den dunkeln Winterabend verklärten, an die Heimkehr.

Er bot Erna den Arm, sie in seinen Schlitten zu führen, und hüllte sie sorgsam in die reichen Tygerdecken desselben, die zum Schutz gegen die Kälte dienten. Der Gedanke, sie so gewissermaßen[136] für einige Zeit in seiner Gewalt zu haben, und sie furchtlos und ruhig der Leitung seiner Zügel sich hingeben zu sehen, durchzuckte ihn mit süßem Schauer, und weckte eine Reihe wehmüthig seliger Bilder in seiner Seele.

Ach – dürfte er so ihr künftiges Schicksal lenken, wie jetzt den Schlitten, der die theuerste Bürde trug! Gewiß – diese Ueberzeugung war ihm klar – sollte sie es nimmer bereuen, es ihm anvertraut zu haben.

Denn er fühlte sich ein ganz anderer Mensch geworden, als vormals. Sein vergangenes Leben paßte durchaus nicht mehr zu der inneren Welt seiner jetzigen Gesinnung, und er mochte kein doppeltes Daseyn in sich ahnen, wie so mancher in sich trägt, sondern glaubte fest, daß ein Herz, in dem ihr Bild herrsche, unwillkührlich sich zum Tempel der Reinheit und der moralischen Würde veredlen müsse.

Zuerst war die Unterhaltung zwischen ihnen sehr wortkarg. Ihm genügte es, sich stumm der Gewißheit zu überlassen, daß sie es sei, die er fuhr, und dies Gefühl, verbunden mit der eigenen Blödigkeit, die ihn in ihrer Nähe zu befallen pflegte, verschloß seine Lippen. Es schien ihm unbescheiden, hier, wo sie ihm nicht entrinnen konnte, die Rechte einer älteren Bekanntschaft geltend zu machen, und ihr irgend etwas[137] zu sagen, was sie an die Vergangenheit erinnern, und so in Verlegenheit setzen, oder ihren Unwillen reizen könnte. Er wagte es daher nur, von der Schönheit des Abends zu reden, der, trotz der Kälte, aus dem tiefen Blau des sternbesäeten Himmels, und aus dem blitzenden Schneegewand der Erde, durch den Fackelglanz röthlich erhellt, mit streng nordischer Anmuth sie ansprach.

Erna erwiederte einiges auf seine Bemerkungen. Der Ton ihrer Stimme war sanft und milde, und sie schien sich allmählig zu einer freiwilligeren Mittheilung zu bequemen, wenn diese gleich stets innerhalb der Schranken fremdartiger Zurückgezogenheit sich erhielt. So sprach und fragte sie manches, unter andern wollte sie wissen, wem das Landhaus gehöre, das, als sie den Weg zurückgelegt hatten, aus einer entblätterten Baumgruppe heiter mit seinen hellerleuchteten Fenstern von einer kleinen Anhöhe dicht am Wege ihnen entgegen schaute.

Er antwortete ihr, daß der Besitzer einer seiner Jugendfreunde sei, der früher bei seinem Regiment gestanden, seit Jahr und Tag aber seinen Abschied genommen, sich verheirathet, und diesen kleinen halb ländlichen halb städtischen Besitz, den er Sorgenfrei nenne, zu seinem beständigen Aufenthalt gewählt habe. Sie versetzte[138] hierauf, daß schon beim früheren Vorüberfahren die simple Eleganz der Bauart und die schöne Lage dieses Hauses ihr aufgefallen sei, und daß sie begreife, wie man recht gern an einer so lieblichen Stelle sich zeitlebens ansiedlen möge.

Unter diesem Gespräch hatten sie die Thore der Residenz erreicht, und nach wenig Minuten hielten sie vor dem Hotel des Gesandten still.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 134-139.
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