XXIII

[167] Kaum konnte er seine Ungeduld zügeln, bis die Zeit, die ihm nie so langsam, als gerade heute zu schleichen schien, die Stunde herauf führte, wo es die Schicklichkeit erlaubte, Erna seinen Glückwunsch und zugleich diesen Brief zu überbringen.

Denn er selbst wollte ihn ihr übergeben – keiner fremden Hand das Blatt vertrauen, das die Veranlassung der Entscheidung über seine ganze Zukunft werden mußte. Wie diese ausfallen werde – er wagte nicht, sich es klar und deutlich zu denken. Ihm war, als risse er in frechem Uebermuth den Schleier von einem Heiligenbilde, wenn er mit kühn der Zeit vorgreifenden Wünschen und Hoffnungen in das Dunkel seines Schicksals dränge. Kindlich fromm, und dem Himmel vertrauend, der ja in die Tiefe seiner Seele zu blicken vermochte, und den Ernst des Entschlusses kannte, die Geliebte verdienen zu wollen, erwartete er Erna's Ausspruch – aber menschlich wars, daß er in zitternder Ungewißheit[167] bangte, und daß er sich nach dem Augenblicke sehnte, der ihn von dieser Quaal befreien werde.

Er überschaute die duftende Reihe seiner blühenden Gewächse, um durch Blumen, diese zartesten aller Gaben, ihren Tag ehrerbietig zu verherrlichen; aber alle schienen ihm gemein und unwürdig, um zur Feier desselben zu dienen, bis eine Daphne durch ihren süß berauschenden Duft ihn fest hielt, und neben ihr ein Rhododendrum ponticum mit seinen reichen Blüthenbüscheln in der schönsten Farbenpracht sein Auge auf sich zog. Von jeder derselben, eben so selten als schön in ihrer Art, wählte er die vollste, jugendlichste Blüthe, und sie, während er hinging, an seinem Herzen vor dem Frost der noch rauhen Luft bergend, erbat er sich von Gott als ein geistiges Zeichen für seine Wünsche, sie den Abend auf dem Ball an dem ihrigen blühen zu sehen.

Er hörte beim Eintritt in das Haus des Gesandten, daß das Fräulein auf ihrem Zimmer sei.

Noch nie war es ihm gelungen, dies Heiligthum zu betreten – aber oft schon hatte eine süße Sehnsucht ihn mächtig dahin gezogen, oft seine glühende Phantasie sich träumend innerhalb der Wände versetzt, die so glücklich waren, sie in ihren einsamen Stunden zu umgeben. Er[168] hatte auch wohl dann und wann den Muth gehabt, wenigstens den Versuch wagen zu wollen, ob es nicht möglich sei, in ihr stilles, ihm so bedeutungsvolles Asyl einzudringen – aber immer wars, als werde ihre Schwelle von unüberwindlichen Geistern bewacht, die ihm auf mancherlei Weise den Zutritt wehrten. Heute aber fühlte er die Kraft in sich, jedem Hindernis Trotz zu bieten. Und hätten feurige Drachen den Eingang gehüthet – ritterlich würde er sich durchgeschlagen, und dem mächtigen Zug gefolgt haben, der in der exaltirten Aufregung seines ganzen Wesens ihm den Gang zu ihr als den Weg seines eigentlichen Berufs zeigte.

Ein Bedienter meldete ihn an. Er sei willkommen, war die freundliche Antwort. Es war eilf Uhr Vormittags, und Erna allein. Sie saß in einem einfachen Morgenkleid, das schöne Haar nachläßig geordnet, auf dem Sopha der Thür gegenüber, und erhob sich, als er sie öffnete, sanft, jedoch nicht ohne einen kleinen Anstrich von Verlegenheit, ihn zu begrüßen.

Im zarten Wechsel ihrer Farbe, in der hold ihm entgegen geneigten Stellung und in der liebreichen Verwirrung des unsicher von ihm abgleitenden und auf die Erde sich senkenden Blicks sprach ihn ein geheimer, Muth erweckender Antheil[169] an, denn er fühlte, so könne sie keinen Fremden, keinen Gleichgültigen empfangen.

Mächtig dadurch gehoben, näherte er sich ihr, ihr seinen Glückwunsch auszusprechen, und die Blumen ihr zu überreichen. Da auf einmal ward es dunkel vor seinen Augen – das frische Roth seiner Wangen verlor sich in Todesblässe – seine Kniee bebten, und hätte er nicht schnell nach dem Tisch gegriffen, sich auf ihn, der eine Scheidewand zwischen ihm und Erna bildete, stützend – wer weiß, ob er nicht niedergeschmettert durch die Gewalt eines ungeahneten Eindrucks umgesunken wäre!

Denn die Gräber schienen sich ihm aufgethan zu haben, und feierlicher Ernst, so wie bitterer Vorwurf im stummen, strafenden Blicke schauten von der Wand über dem Sopha die Portraite seiner Tante und der Frau von Willfried, in Lebensgröße und täuschender Aehnlichkeit, auf ihn herab.

Was ist Ihnen? fragte Erna besorgt, als sie sein Zittern bemerkte. Er vermochte nichts zu erwiedern. Aengstlich leitete sie ihn zu dem Sopha, und ihm einen Flacon reichend, und eiligst aus ihrer kleinen Hausapotheke stärkende Tropfen herbeiholend, bemühte sie sich auf die liebreichste Weise ihm beizustehen.

Ihm that es so wohl, sie so theilnehmend[170] um sich beschäftigt zu schen. Seinen verworrenen Sinnen dünkte diese Scene ein Vorausgenuß der Zukunft, wo eheliches Beisammenleben die Geliebte auch in häuslicher Sorge freundlich um ihn bemühen werde, und diese selige Vorstellung rief seine Lebensgeister kräftiger zurück, als der Liquor es vermochte, den sie ihm eingab.

Er schützte eine Anwandelung von Schwindel, vielleicht weil er zu rasch gegangen sei, als Ursach des plötzlichen Nichtwohlbefindens vor, das ihm angewandelt sei, und da er die furchtbar mahnenden Bilder jetzt im Rücken hatte, ermannte er sich, sich dem Entzücken hingebend, mit Erna allein zu seyn, und aus ihrem sorgsam bekümmerten Benehmen so erquickliche Hoffnungen schöpfen zu dürfen.

Schon zog er – die Blumen hatte sie bereits freundlich angenommen – das verhängnisvolle Blatt aus seinem Busen, um es hinzuzufügen, als ein Geräusch im Vorzimmer entstand, die Thüren stürmisch aufgerissen wurden, und die Gräfin, von der Gesandtin begleitet, herein trat, Erna glückwünschend zu umarmen, und sie für den Abend zu sich einzuladen.

Sehr bewegt, und fast der Fassung beraubt, hielt Erna den Brief noch in der Hand, doch strebte sie, ihn den Blicken der Kommenden zu verbergen, und auch dies, daß sie ein Geheimnis[171] mit ihm theilen zu wollen sich herabließ, schien ihm ein seinen Glauben aufmunterndes Kennzeichen der zu hoffenden Erhörung.

Aber schon hatte die überlebhafte Gräfin es wahrgenommen. Vermuthlich ein Gedicht zur Feier dieses schönen Tages! rief sie aus, das versiegelte Papier schalkhaft fixirend. O lassen Sie uns Alle daran Theil nehmen, Erna! Lesen Sie uns vor! Von dieser Seite kannte ich unseren Freund noch nicht. Ich wußte freilich längst, daß er, uns Frauen gegenüber, wenn von seinen Gefühlen die Rede war, manches zu er dichten im Stande sei, aber das geschah immer in Prosa; wie er dichtet, ist mir noch fremd.

Es ziemt mir nicht, versetzte Erna mit gezwungenem Lächeln, der Neugier Preis zu geben, was Zutrauen in meine Hände niederlegte. Wenn es ein Gedicht ist, darf nur der Dichter entscheiden, ob ein größeres Publicum als das, das er sich erkohren, es hören soll.

Durch das unzeitige Dazwischenkommen der Gräfin aus allen seinen Himmeln gestürzt, konnte Alexander sich des bittersten Verdrusses nicht erwehren.

Für Sie allein ward geschrieben, was dieses Blatt enthält, erwiederte er, und sich stumm verbeugend verließ er das Zimmer, da ein sehr[172] richtiges Gefühl ihm sagte, daß – einmal verscheucht – die vorhergehende beglückende Stimmung eben so wenig wiederkehren werde, als das vorhin durch die Gunst des Zufalls erlangte einsame Zusammenseyn mit Erna.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 167-173.
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