4. Scene.

[58] Gerlind. Münzer.


GERLIND allein. Ist sie toll oder weiß sie in den Seelen zu lesen? Wer sagt ihr, ich liebte nicht, ich könne nicht lieben, mich leitete nur der Ehrgeiz? Ich liebe ihn, liebe ihn glühend, aber ich will mich meiner Liebe auch vor Niemandem zu schämen haben! – Wo nur die Eltern bleiben. Ach, hätt' ich Alles erst hinter mir – die Erklärung, den Zorn! – – Wo mag er jetzt sein? Bei seinem Heer, sich vorbereitend auf den Kampf? Hei, wenn ich erst im Kriegslager sein werde, in seinem Lager! Wenn ich die Reihen seiner Schaaren durchreiten werde! Einen Zelter will ich haben, milchweiß, der sich wiehernd bäumt – ich will ihm selbst die Schabracke sticken. Und ein Reitkleid von Sammet mit Blumen bestickt und mit Edelsteinen übersäet, dessen Schleppe noch die Erde fegt – und einen Brustpanzer ganz von flimmerndem Gold und auf dem Haupt einen goldnen Helm mit einer Taube! Es ist Nacht geworden. Wie schwül es hier ist. Herein, kühlende Abendwinde; herein, silberfluthendes Mondlicht! Oeffnet das Fenster. Was ist das? Wer klettert hier die Mauer empor, an dieser höchsten und steilsten Stelle – ha –

MÜNZER. Erschrick nicht – ich bin es, Gerlind –

GERLIND. Wie, spiegelt mir mein Herz im Wahn Traumbilder vor – Thomas –

MÜNZER. Daß es kein Traumbild ist – Küßt sie. Geisterlippen sind kälter. Ja, hatt' ich dir nicht gesagt, daß ich in zweien Tagen käme, wenn du dein Wort nicht eingelöst, daß ich die Böschungen, die Mauern erklettern würde –[59]

GERLIND. Mein Vater war nicht zu Hause, er kehrte erst vor wenigen Stunden zurück, und in diesen wich Ritter Helldrungen nicht von seiner Seite. Noch habe ich ihn nicht gesprochen.

MÜNZER. Ich komme vom Luther. Es war umsonst, er ist ein Granit. Sich im Zimmer umblickend. Also ist das Rattennest wieder wohnlich gemacht?

GERLIND. So gut es in der Eile ging; die hinteren Theile der Burg wurden nicht sehr beschädigt. Pause.

MÜNZER Gerlind an sich ziehend. Ich hatte dir so viel zu sagen, mein Herz war übervoll ... da ich hierherging, schossen mir tausend Dinge durch den Kopf, jeder Hauch des Nachtwindes schien mir zuzuflüstern: Vergiß dies nicht, vergiß das nicht ... jedes Rauschen der Blätter bot einen Gruß, den ich dir bringen sollte – und nun, da ich bei dir bin, ist Alles fort, und ich meine, ich wüßte nichts besseres, als nur immerfort in dein Auge zu blicken, deß Glanz mir hell durch das nächtliche Dunkel strahlt. Pause. Sie gehen nach dem Fenster und halten sich innig umschlungen.

MÜNZER. Wie berauschend der üppige Duft der Frühlingsnacht hereinströmt. Ist's nicht, als läge ein Wonnenebel über der ganzen Natur? Tönt der Linden Flüstern dir nicht wie seliges Hochzeitslied entgegen, und fahren auf des Mondes weichen Strahlen nicht Geister des heimlichen Glücks zur Erde nieder? Senkt nicht die Rose schamhaft ihr Köpfchen wie die Braut vor der seligsten Stunde zitternd, und rauscht's nicht im Nachtwind beglückend: Liebe, Liebe! – Gerlind, so unermeßlich und endlos die Nacht auf den Bergen und Wäldern schlummert, so endlos ist meine Liebe, so unermeßlich, undurchdringlich. Wie dort die silberne Wolke festgesogen am Haupt des Hörselberges hängt, so laß mich unlöslich fest an deinen Lippen hängen und der Ewigkeit entgegenträumen ... Horch, wie süß! Ist's nicht der Ton der Nachtigall –[60]

GERLIND. Du schwärmst. Nicht für uns tönt ihr Lied, Thomas, nicht für uns – sie weiß nichts von unserer Liebe – und dein Werk, unser Werk weiß nichts von ihr –

MÜNZER. Gerlind –

GERLIND. Ich mag sie nicht leiden. Ist unsere Liebe nicht wie ein junges, feuriges Roß, das muthig hineinstürmt in die Welt mit dem Morgenglühen, und seinen Reiter dahinträgt über Klüfte und Schlüfte, daß der Fels donnernd unter dem Hufschlag aufstöhnt, immer weiter, dem Gluthball im Osten entgegen? Und Gründe und Thäler hallen wider vom Jubelruf des entzückten Reiters! So möcht' ich sitzen, den Falken auf der Faust, und in die Welt hineinstürmen – so wünscht' ich mich geliebt!

MÜNZER. Geliebt von deinem – wie war doch gleich das Wort, das du mir einst zuriefst –

GERLIND. Thomas!

MÜNZER. Stelle dich nicht, als wüßtest du es nicht mehr – ich will es hören – sprich – nun? – Ich helfe dir darauf – Mord ... nun ...

GERLIND. Quäle mich nicht um meiner Thorheit von damals –

MÜNZER. Nein, nein – im Ernst, es klang so süß von deinen Lippen ... Mord ... nun also ... ich bitte dich, sprich ...

GERLIND. Nun denn, wenn du mich peinigst! Mord –

MÜNZER küßt sie. Ei freilich, ich werde auch noch zuhören, wie du mich hier mit Schmähungen überhäufst – ich verschließe dir den Mund –

GERLIND. Du bist ein Kind –

MÜNZER. Wir sind nur glücklich, so lange wir Kinder sind –

GERLIND. O daß mein Vater jetzt erschiene, – jetzt fühlt' ich mich in der rechten Lust, ihm Alles zu erklären.[61]

MÜNZER. Er wird sprechen wie du ... du liebst den Mordbrenner –

GERLIND. Und ich werde ihm sagen: Nein, den künftigen Herrn unser Aller, den künftigen Herrscher in Deutschland ... der einst König sein wird ...

MÜNZER. Gerlind ... was heißt das ...

GERLIND. Nun ja ... wie denn? Wenn du ... wenn wir siegen natürlich, dann steigen wir auf Fittigen der Tapferkeit, des Ruhms, zum höchsten Gipfel menschlichen Erfolgs empor, dann ist auf Erden kein Ziel, das unserm Streben Halt geböte –

MÜNZER. Was höre ich ... welche Flammen hinter dieser weißen, glatten Stirn? Welche Furchtbarkeit in euch Frauen, und zugleich welche Einfalt. Wie spiegelt sich die Welt in euerm kleinen Kopfe? Verstehst du mich und mein Ziel so wenig? Nichts als das Glück Aller ist mein Glück, und nichts als das gleiche Recht Aller soll meine Größe sein.

GERLIND. Wie? der Bauernknecht, der Tag um Tag hinter'm Pfluge geht und nichts versteht, als das Paar der Stiere bald rechts, bald links zu wenden ... er sollte auf einem Boden mit dir stehen, der du das Leiden eines ganzen Volks erwägst und heilst? Die Magd, deren höchstes Sinnen ist, ob auch die Kuh gehörig Milch zur Butter geben werde – ich soll sie an meiner Seite einherschreiten lassen? Kannst du die Berge und Thäler aus der Natur schaffen und die Erde eben machen wie den Spiegel des beruhigten Meeres? Ein Thor, wenn du die Krone in Händen hast, und setzest sie nicht auf dein Haupt; wenn du dir den Zauberschlüssel errungen und rufst nicht: Schiboleth!

MÜNZER. Mädchen, wer spricht aus dir? So flammte dein Auge nie, so tönte dein Wort nie; das ist nicht die Gestalt einer Thüringer Jungfrau, der ihres Vaters Burg bisher die Welt gewesen – das ist eine Herrscherin ... Gerlind, so schön sah ich dich noch nie ...[62]

GERLIND. Wenn ich es wäre – willst du mich durch ein häßliches, zerlumptes Bettlergewand entstellen? Gieb mir das Kleid, das meiner würdig ist, den Kreis gieb mir, dessen Mittelpunkt ich bin. Glaubst du, ich trüge so heißen Begehr, die Frau des Bauern Thomas Münzer zu werden und zwischen Frankenhausen und Mühlhausen meine Zwiebeln zu bauen, meine Schweine zu füttern, indeß du das Brennholz zerkleinerst? Herrschen, gebieten will ich, sollst du; zur Sonne will ich mit dir emporsteigen, nicht ewig an diesem erbärmlichen Erdenstaub kleben – strahlen will ich in deinem Glanz, jubeln will ich in deiner Lust, aufrichten will ich mich an deiner Größe, und ragen wollen wir ob all dem Geschmeiß, das heut noch höhnend und verächtlich auf uns herabsieht, – wie der Inselsberg, wenn ihn bereits der Strahl der Sonne küßt, indeß ob den niedern Kuppen riugs um ihn noch die Schleier fahler Dämmerung wogen.

MÜNZER. Standst du nicht selbst dabei, als ich ihnen schwor, mich nie über sie zu erheben, in ihre Befreiung allein meinen Ehrgeiz zu setzen –

GERLIND. Ei, seid ihr Männer doch so leicht bereit, eure Schwüre zu brechen, mit denen ihr uns Frauen bethört, und hättet ihr alle Heiligen zu Zeugen gerufen – wenn euch auch nichts Höheres in Aussicht steht, als die Gunst einer armseligen Dirne für eine Stunde zu erringen. Nur wenn ihr für uns kämpfen, uns beglücken sollt und nicht den Muth dazu habt, gelten eure Eide? Ist nicht Alles, was ich will, um was ich dich flehe, nur für dich? Dich will ich mächtig, groß, den Mächtigsten und Größten sehen! Ich will dich lieben, wie noch kein Weib einen Mann geliebt, glücklich sollst du sein, wie noch kein Mensch das Glück gekannt; doch ich will auch einen Gatten besitzen, um den alle Frauen Europas mich beneiden sollen. Wärst du der Regenbogen, blind vertraute[63] ich dir und meinte, ich müßte darauf in den Himmel gelangen – wärst du das Meer, blind würfe ich mich in deine Wellen und sänke ohne Schrei in deine Tiefe: ich meinte, du müßtest mich in's Paradies tragen. Doch gleiche Liebe, gleiches Vertrauen verlange ich auch von dir! Dein Heil ist das meine, sei mein Streben auch das deine!

MÜNZER. Gerlind, du weißt ja nicht, was du verlangst, du redest ja wie ein Kind vom Tode, wie ein Engel vom Haß!

GERLIND. Ist's denn so schwer, was ich von dir verlange? Wie ein Teppich liegt Deutschland vor dir am Boden – ist's denn ein so ungeheures Werk, deinen Fuß darauf zu setzen? Der meine ist kleiner, und ich wagte es auf der Stelle. Der einzige Fürst, mit dem du um die Herrschaft hättest ringen mögen, ist todt. Als ich die Kunde vernahm, war dein Schicksal für mich entschieden.

MÜNZER. Schweig, schweig, ich bitte dich – Jacobe's Kopf wird für einen Augenblick in der Seitenthür sichtbar.

GERLIND. Du willst nicht? Du mußt! Liebst du denn dein Vaterland wahrhaft? Willst du es ewig in dieser Zerrissenheit lassen, auch nach deinem Siege? Soll ewig in Weimar darauf der Tod stehen, was in Gera mit der Bürgerkrone belohnt wird? Soll der Thüring den Franzosen immer lieber seinen Bruder nennen, als den Sachsen? Nie ein mächtiger, gewaltiger Herrscher aus all den kleinen, zerrissenen Stämmen ein großes in Liebe verbundenes Volk schaffen, untrennbar, unüberwindlich.

MÜNZER. Wer hat dich gelehrt, so tief in meiner Seele zu lesen? Was ziehst du hier in nächtlicher Schäferstunde Gedanken an das Zauberlicht des Mondes, die ich selbst als Keime kaum in der dunkelsten Ecke meines Herzens zu verbergen wagte?[64]

GERLIND. Du fühlst dich zu schwach, ein gewaltiges Schwert aus hundert Splittern zu schweißen und es in eine feste Hand zu nehmen? So wär' ich betrogen, so wärst du kein Siegfried, so wärst du nicht der Stern, zu dem ich emporgeschaut und der so hoch am Himmel steht, daß man ihn nur mit rückgewandtem Nacken schauen kann? So wärst du nur eine Flamme, die fern am Himmelsrand über einem Sumpfe tanzt, oder ein brennend Stück von einer fernen Welt, das fallend durch den Aether saust und meint, die Welt in Gluth zu setzen, indeß es die Erde berührend kläglich verlischt? Thomas, eh' ich das von dir glaubte – Wie sollte ich dich ferner lieben, wenn ich dich nicht mehr bewundern dürfte?

MÜNZER. Wenn du wüßtest, wie jedes deiner Worte in meiner Seele wühlt! Hundertmal hab' ich mir das Alles selbst gesagt, um es stets zu verwerfen, weil ich nichts Höheres kannte, als die Pflicht gegen mein Volk, als das Mitleid mit ihm. Gerlind, ich beschwöre dich, sprich nicht weiter – ich darf nicht – ich hab's doch geschworen – mein Wort war bis auf den Tag echt wie venedisches Gold, willst du mich zum Falschmünzer machen?

GERLIND. Wähle zwischen deinem todten, blinden Götzen, deinem Wahn von Volksbeglückung – und mir. Hast du nicht die Kraft, mir jenen zu opfern – liebst du mich nicht mehr als deinen Pöbel, liebst du mich nicht so wie ich dich liebe, um zu handeln, wie ich handeln würde, wäre ich ein Mann und du ein Weib – so geh', ich bitte dich, geh' ... so hat mein rasches Herz mir nur einen Fastnachtsstreich gespielt und mich einen Mann erblicken lassen, wo nur ein kleiner Schulknabe stand. Alsdann kein Wort des Vorwurfs – wir haben uns einer im andern getäuscht – wir wissen es jetzt ... geh' ... geh' ...

MÜNZER. Himmel, bin ich denn wirklich ein[65] Knabe, daß ich schwanke und nicht weiß, ob rechts, ob links, daß ich meine, das Hirn wäre mir von vorn nach hinten gewendet, daß ich fort möchte und kann den Fuß nicht vom Boden heben – mir scheint's, ich habe das Denken verlernt – soll ein Weib mein Meister werden ... bin ich denn noch ich? ...

GERLIND tritt zu ihm, seine Hand ergreifend, ihm tief in's Auge blickend. Hast du mich je geliebt? Dann bleib ... bleib, wie ich von heut an immer bei dir bleiben will – wenn nicht, so habe den Muth, und stoße dein Glück von dir, daß es zerbricht –

MÜNZER. Gerlind ... du ... sei ein Engel von Gottes Thron, sei ein Dämon aus dem tiefsten Ringe der Hölle – zieh' mich hinauf in die Kreise seligen Lichts, zieh' mich hinab in die Gluthen der brennenden See – ich kann dich nicht lassen, ich bin dir verfallen mit Seele und Leib.

GERLIND. Geliebter! Nun ist du mein und unser ist die Welt.


Quelle:
Conrad Alberti: Brot! Leipzig 1888, S. 58-66.
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