Zwölftes Kapitel.

Das Erwachen.

[125] Zwischen Mitternacht und dem ersten Hahnenschrei hatte es vor Hohen-Ziatz gewiehert, als verlange es Einlaß, und da der Thurmwart hinauslugte, sah er das Todtenroß, das unschuldig im Sande scharrte. Schnell hatte er die Lade zugeworfen und nichts mehr gesehen, aber das Wiehern hörte er noch lange fort. Auf der Sumpfwiese hatten Lichtflämmchen hin und hergehüpft, und am Morgen, als die Sonne blutig roth durch das zerrissene Gewölke aufstieg und Windstöße durch die Luft fuhren, hatte man ganze Schaaren von Raben um die Burg kreisen gesehen, und sie ließen sich nicht scheuchen, sondern setzten sich immer wieder auf die Giebel und Dachfirsten.

»Und dann hat auch ein wendisch Weib, die Liese aus Gütergotz, die von Golzow kam, auf dem ganzen Wege das Leichenhuhn gackern gehört, als wollte es ihr den Weg zeigen. Vor der Burg zum letzten Mal. Dann ist's verschwunden. Darum« – so schloß der Knecht Kasper seinen Vortrag von den Wundern der Nacht – »darum, Gestrenge, mein' ich, 's ist nicht so übel, daß die Hosen grade heute nicht da sind.«

»Und warum nicht?«

»Und wie gesagt, wenn's nicht auf Einem sitzen bleibt, so kommt's auf Viele. Bin nicht, wie der Ruprecht, aber wo so viele Zeichen sind, da hat's was auf sich, und der wäre kein Christ nicht, der nicht auf Warnungen hören thut.«

Was Kasper sprach, schien nur der Wiederhall der stillen Gedanken auf den Gesichtern der andern Burgbewohner. Als wäre ein wüstes Gelag vorhergegangen; machte doch auch die Frau von Bredow keine Ausnahme. »Kasper, Du meinst es gut, aber der Herr –«

»Nun ja, es wird ein Ungewitter setzen.«

»Ich mag's nicht vor den Mädels haben, er ist doch ihr Vater,« sagte sie halb vertraulich zum alten Knappen und Waffenträger ihres Herrn. Es war sehr selten, daß Frau von Bredow zu einem Dienstmann vertraulich sprach. »Auch die beiden Ziehkinder, es ist nicht gut, daß sie so etwas sehen.«

»Sie sind ja noch nicht zurück.«

»Ich selbst wollte schon mit ihm sprechen.«

»Nein, bei Leibe nicht, Gestrenge! Ihr könntet ja rüber[126] fahren, 's ist Sonntag, zur Kirche nach Ferch, dann wäre das Nest leer, und ich will's schon auf mich nehmen. Er schlägt auch jetzt nicht mehr, wie ehedem. Mit den Jahren ist er viel frommer geworden. Fahrt zur Kirche, gestrenge Frau, mit den Frölens; ich halt es aus.«

Aber die Frau wußte doch nicht, was das eigentlich helfen sollte.

»Unglück kommt nie allein, das ist wahr,« sagte Kasper. »Aber wenn er erst in den Kleidern sitzt, muß er ausreiten, und Gott weiß, was ihm da zustößt. Ich sage, man muß das Unglück nicht aufsuchen gehn, es kommt von selber gelaufen, und wer ausweichen kann, und 's nicht thut, der hat sich's zuzuschreiben.«

»Ist der Ruprecht denn noch nicht zurück?« Eva schüttelte den Kopf. »Ich sagt' es ja, Mutter, sie haben sich vergangen.«

»Dummes Mädchen, fang mir auch an zu flennen. Und wie siehst Du aus! Fix, mach Dich fertig. Ihr taugt hier nichts. Euch will ich zur Kirche schicken. Was schluchzt denn da?«

Agnes kam aus dem Thore; einige Leute aus dem Dorfe folgten, die ein in Schweiß gebadetes, von Staub und Schaum bedecktes Reitpferd führten, dessen in Unordnung gerathenem Geschirr man ansah, daß es schon lange ohne Herrn und Pflege umhergelaufen sein mußte. Es war Hans Jochems Pferd.

Das Mädchen setzte sich, still weinend, ihr blasses Gesicht mit den Händen bedeckend, auf den Stein an der Mauer: »Ich wußt' es!«

Die Burgleute schlugen die Augen nieder. Die Sache sprach von selbst von einem abgeworfenen Reiter.

»Das war kein Leichenpferd nicht; das war sein Pferd gewesen,« schluchzte das Mädchen. »Hätten sie nur gleich aufgethan und nachgeschickt, dann hätten sie ihn noch gerettet.«

»Wo ist Hans Jochem? Wo ist Peter Melchior.«

Es erfolgte keine Antwort.

»Was wird's weiter sein!« fuhr die Frau beruhigter fort. »Sie werden dem Herrn bis zur Fähre das Geleit gegeben haben. Da können sie noch nicht zurück sein.«

»Sie werden nie zurückkehren.«

»Macht mir den Kopf nicht warm, Mädchen! Wenn ihm ein Unglück begegnet, sind ja die andern Herren dabei. Werden ihn nicht dabei liegen lassen. Mir ist um den Hans Jürgen und Hans Jochem nicht bange. Unkraut vergeht nicht.«[127]

Und doch hörte man's dem Ton ihrer Stimme an, daß es nicht ihre gewöhnliche Ruhe war. Wer hält sich auf einem Schiffe fest, wenn Alles um ihn schwankt.

Da schlug ein Fenster auf im Giebel und eine Stimme, die man bis in's Dorf hörte, schrie: »Das Wetter noch mal! Kasper! Brigitte! wo sind meine Hosen?«

»Gleich, gleich, Götze!« rief die Edelfrau, und Edelfrau und Knecht stürzten in den Flur, die Treppen hinauf. Dem Knecht warf sie einen freundlichen, bittenden Blick zu. Der antwortete aber nur mit einem grämlichen Kopfnicken und einer Bewegung mit der Hand auf den Rücken. »Hab mir was untergestopft, da kann man's schon 'ne Weile aushalten,« brummte er für sich, ohne zu eilen, wie die Frau that, die ihm längst vorauf war. Vielmehr gab er seinen Gedanken in rechter Gemächlichkeit Gehör: »Der Dechant freilich, als ich's neulich im Beichtstuhl ihm sagte, meinte, das wär' auch Sünde, ich glaube, er sagte gegen den heiligen Geist. Jedermann sollte wahrhaftig sein, auch wenn's ihm an Haut und Haare ginge, daß er niemals, in welcher Lage des Lebens es sei, im Zustande der Unwahrhaftigkeit sich sollte betreffen lassen. Und das wär' also Unwahrhaftigkeit, weil ich der Liese ihren Friesrock untergestopft hatte, und der Herr dachte, es wäre meine Haut. Und gelobt hab ich's, das ist wahr, daß ich's nicht mehr thäte. Aber Leder ist Leder und Haut ist Haut. Und nun sollt's mich doch wundern, ob der Dechant das auch Sünde nennen wird, daß ich die alte Rehhaut unterm Koller trage. Denke so überhaupt, was das den heiligen Geist angeht, ob Einer Prügel kriegt oder nicht! Der Herr oder der Vater giebt sie, und der Knecht oder der Sohn kriegt sie, da hat doch kein Dritter was mit zu schaffen. Aber wenn ich's dem Dechanten sage, dann ist das schon wieder Sünde, daß ich's gedacht habe. Ueberhaupt, wenn nur nicht die Pfaffen wären, nämlich, daß man ihnen Alles beichten müßte. Die Prügel, nun die wären Prügel, der Regen macht naß und man trocknet wieder, Keiner stirbt davon; aber wenn man Prügel kriegt, daß man immer denken muß, warum man sie kriegt, und wie man sie kriegt, und wie man's im Beichtstuhl vortragen soll, man weiß oft selbst nicht warum und nun werden sie Einem vom Pfaffen erst recht eingeschmiert und eingebläut, und was vorher gar nichts war, das ist nun was, das eben ist die verfluchte Geschichte.«

Als die Frau von Bredow die Kammerthür zu ihrem Ehegemahl ein klein wenig aufthat, war der Anblick, den sie durch[128] die Spalte hatte, eben nicht angenehm. Herr Gottfried war aufgesprungen, wie er im Bette gelegen, und reckte die Arme, so weit er konnte, während seine Lippen auch so weit sie konnten, aufstanden, um den Morgenschlaf hinaus zu lassen. Vor ihm aber lag eine dicke Wolke, nämlich das Deckbett, was vorher auf ihm gelegen, und es schienen in den Sack von blauem Zwilch die Federn von drei Heerden Gänse gestopft, die von der Erschütterung des Wurfs nicht wenig durch die Kammer stäubten. Dieser Anblick war aber der Frau nicht ganz unangenehm; denn das Bette bildete eine natürliche Schanze zwischen ihr und dem Ehemann, falls es ihm eingefallen wäre, ihren Morgengruß durch die That zu erwidern; denn daß eine so nahe erste Berührung nicht in ihrer Absicht lag, verrieth ihre Stellung an der Thür. Sie woll te nur sehen, wie es stand, auf einen eiligen Rückzug, wenn er Noth that, vorbereitet.

»Grüß Dich Gott, Götz, bist Du aufgewacht?«

»Ja!«

»Das ist schön, Männchen, Deine Morgensuppe brodelt auch schon auf dem Heerd.«

Aber der Ritter schloß nur den Mund, um ihn wieder zu öffnen: »Wo sind sie?«

»Sind sie noch nicht hier? Warte nur, lieber Mann, werden gleich kommen.«

Seine Stirn runzelte sich und ein verdrießliches Roth lagerte über den nüchternen Augen, die ihre Strahlen erst zu einem stechenden Blick sammelten: »Brigitte, wo sind sie wieder?«

»Jemine, weißt Du nicht, wie Du sie auszogst, hast Du sie auf den Schemel gelegt; da auf die Lehne! Der Wind gestern hat das Fenster aufgemacht. Als ich's sah, war ich recht erschreckt, Du möchtest Dich verkühlen, aber der Kasper wollte mich nicht reinlassen. Da ist die Katze gekommen und sprang über'n Schemel auf's Fenster und riß sie mit. Ich sah's von unten, da hingen sie am Brett; aber eh' wir's uns versahen, kam wieder ein Windstoß, der warf sie auf's Dach. Da wollten wir sie eben holen, als der Sturm eben losging. Ach, Götze, Du wirst Dich wundern, was der Sturm alles angerichtet hat. Die drei großen Kiefern an der Lehmgrube, an der Wurzel rein abgebrochen sind sie. Das Dach vom Hinterhaus wirst Du neu decken müssen, eine Sparre ist eingeknickt. Das Storchnest ist auch runter, wie mit 'nem Messer abgeschnitten.«

»Ich friere ja. Wo sind sie geblieben?«[129]

»Ach, daß weißt Du auch nicht! Die Kinder glaubten, 's wär' ein Drache; so flogen sie über's Haus, über die Mauer, bis auf die Wiese. In den Ententeich sind sie gefallen. Die Entengrütze, Götzchen, mußte man doch ein bischen abspülen. Sind gewiß schon trocken. Hab' den Hans Jürgen nachgeschickt. Er kommt Dir gleich. Frieren sollst Du nicht, mein Herz. Hab' dir Ingber und Pfeffer in die Biersuppe gethan und Honig. Willst Du auch Eierschaum drauf schwimmen haben? Der Kasper macht auch's Wasser warm, daß er Dir den Bart scheert. Solltest Dich wieder ein Bischen in's Bett legen; ich bring's Dir 'rauf. Steige jetzt nur auf den Thurm und will nach dem Hans Jürgen rufen.«

Der Ritter rief, er wolle nicht mehr in's Bett; aber die Burgfrau hörte nicht mehr aus, was er sprach, sie hatte die Thür zugeschlagen, und schon war sie über das Brücklein oben, das aus dem Erker nach dem Thurme führte, als sie den Schemel krachen hörte, den Herr Gottfried gegen den Boden schleuderte, daß drei Beine ausfielen und die Lehne knackte: »das Weibervolk, sag ich's doch immer, das ist Weibervolk!«

Nur wenig Stufen waren's bis zur Thurmzinne, aber Frau Brigitten lag's in den Knieen, als wäre vor ihr die Treppe zum Münster in Straßburg. Sie war doch eine wahrhaftige Frau, wie nur eine zehn Meilen in der Runde, aber war's die Lüge, die wie Blei ihr in den Gliedern drückte? – Eine Nothlüge, und solche kleine Nothlüge! Der Dechant sollte ihr die Frau zeigen, die niemals ihren Mann belogen, und es war ja in so guter Absicht! Mit der Lüge hätte sie sich auch schon abgefunden, aber mit dem Dechanten und der Beichte! Die arme Frau von Bredow! – Nein, es war noch etwas anderes, das ihr in den Gliedern lag. Es war heut ein Unglückstag. – Auf der Mitte der Treppe war in der Blende ein kleines unscheinbares Marienbild. Sie ließ sich auf die Knie und faltete die Hände. Was sie gebetet hatte, wußte sie eigentlich nachher selbst nicht, aber ihr war's, als hätte sie die Himmelskönigin gebeten, sie möge ihre Noth bedenken und machen, daß sie nicht gelogen hätte. Hatte sie doch auch einst die Bitte der frommen Landgräfin von Thüringen erhört, und das Brod und Geld ward in Körben zu Blumen.

Nun war sie oben auf der Zinne. – Die freie Luft wehte sie an. Wie der Wind über Kieferwälder strich, wie er, in den Ulmen spielend, einen goldenen Blätterregen auf die Wiese streute, wie die Krähen und Tauben in Schaaren sich in der[130] niederen Luft wiegten, wie die Habichte unter den Wolken kreisten, wie der Rauch sich aufringelte aus den Mooshütten des Dorfes – ein Anderer hätte es vielleicht mit Lust gesehen, ihr Auge war auf andere Dinge gerichtet, ihr Ohr lauschte auf andere Töne, als das Summen der Käfer, das Gekrächze der Raben, das Hämmern des Dorfschmieds, das Knarren der Mistwagen, welche von den Ochsen mühsam durch den Sand gezogen wurden.

»Der Kaspar ist ein guter Mensch,« dachte sie. »Ich hör' ihn auch gar nicht widerreden. Er nimmt's so ruhig hin. – Wenn doch alle Knechte so fromm wären! – Ich will ihn auch nachher in den Keller lassen – – – Es klatscht ja gar nicht mehr! – Was ist das! – Ach heilige Elisabeth, er hat ihn gewiß an die Gurgel gefaßt. – Da butzt es auch schon gegen die Wand – Götze, Götze, nur nicht zu stark. Wenn da nur kein Unglück kommt!«

Sie hatte sich über die Zinne gelehnt, den Kopf übergebeugt; als wolle sie keinen Ton sich entgehen lassen, drückte sie die Augen zu:

»Götze, Götze! lieber Mann! – Warte nur ein klein bischen. Nun kommt's schon. Ich sehe den Hans Jürgen schon. Er bringt sie. Du sollst nicht mehr frieren.«

Unten schwieg es wirklich, auch sie schwieg, es war etwas Angstschweiß, der sie überlief. Sie hatte ja wieder gelogen; wie sollte sie in's Licht des Tages sehen! Aber sie sah doch hinein. Ihre Knie hoben sich, ihre Augen wurden größer, ein Zug von Friede und Freude breitete sich um ihren Mund. Traute sie ihrem scharfen Gesicht heute nicht, daß sie die Hand noch einmal über das Auge legte? Nein, es war keine Täuschung: »Götze, Götze! Der Hans Jürgen ist da, er hat sie!« – Hans Jürgen mußte die Edelfrau auf dem Thurme erkennen. Mitten auf dem Damm schwenkte er es. »Der liebe Jung, er ist geschickter als ich dachte. Aber was ist ihm. Er könnte hurtiger laufen.« – Ehe sie hinunter stieg, schaute sie noch einmal hinaus. Aus dem Walde kamen noch Andere, langsameren Schrittes. »Ist das der Ruprecht?« Sie blieben stehen; es schien ihr, als trügen sie etwas. Der Schatten des Waldes erlaubte ihr es nicht zu erkennen. Was ging es auch sie an!

Da stand schon Hans Jürgen im Hofe, als sie hinunter kam, aber was sah der Junge so blaß und verblüfft aus. Was war überhaupt vorgegangen? Das Thor stand sperrweit offen. Der Dechant war auch herbeigekommen und wollte ihre Hand[131] fassen: »Gnädige Frau, Gottes Fügungen sind wunderbar! In seinen unerforschlichen Rathschlüssen zu lesen, ist uns zwar nicht vergönnt, indessen –«

»'S ist heut ein Unglückstag,« sagte der alte Meier, und betrachtete das Blut in seiner Hand, mit der er den Sattel und Kopf des Pferdes befühlt hatte.

»Was ist los, Kinder?« Sie hielt doch schon das verlorene Kleidungsstück, das Hans Jürgen überbrachte, in der Hand, und aus ihrer Hand war es schnell in den Erker hinaufgewandert.

»Du bist nicht daran schuld,« sagte Eva zu Hans Jürgen.

»Ach wer das sah und wer das hörte! Wenn er am Leben bleibt, der Kopf und der Arm sind hin.«

Wäre nicht der Dechant gewesen, es wäre Niemand gewesen, der der Edelfrau Rede stehen konnte, so kraus und bunt ging's durcheinander. Die halbe Einwohnerschaft war hinausgestürzt, um zu helfen oder zu sehen.

»Er ist vom Pferde gestürzt, meine gnädige Frau. Der Herr giebt und der Herr nimmt.«

»Hans Jochem!« Die Blässe des Schrecks gewann endlich Platz auf der Burgfrau Gesicht.

»Er ist noch nicht ganz todt«, sagte der Dechant. »Es ist sogar noch Hoffnung, daß wir ihm die Sterbesacramente reichen können.«

Frau von Bredow legte mit mütterlicher Theilnahme die Hände auf die Stirn ihrer Tochter. Sie blickte sie wehmüthig an und küßte ihre Stirn: »Der Mensch denkt, Gott lenkt.«

Auf einer Bahre von Tannenreisern lag der Verwundete, ein kläglicher Anblick selbst für die, welche ihn schon seit einer Stunde so gesehen. Sein Gesicht war mit Blut aufgelaufen und unkenntlich, sein linkes Bein gebrochen, sein ganzer Körper schien zerschmettert. Der Knecht Ruprecht winkte dem Bauer, mit dessen Hülfe er und Hans Jürgen den Verwundeten bisher getragen, daß er nun gehen könne. Er wartete auf frische Hülfe aus der Burg. »Meint Ihr, daß er davonkommt?« fragte der Bauer. »Wenn er leben bleibt, bleibt doch nicht viel von ihm leben,« antwortete Ruprecht. »In den Krieg kann er nicht mehr, auf die Jagd auch nicht.« »Und was ist ein Junker, der nicht auf's Pferd kann,« sagte der Bauer achselzuckend und ging.

Was Hans Jürgen nicht erzählt, erzählte der Bauer denen, die ihm entgegen kamen: wie es gewimmert und gestöhnt, als[132] der Knecht und der Junker im Walde zurückkehrten, wie sie, der Hufspur folgend, den Verunglückten gefunden. Das scheue, zügellose Pferd, durch Dick und Dünn jagend, war gegen einen Baum mit seinem Reiter angerannt, hatte ihn abgeworfen und gegen einen scharfkantigen großen Stein geschleudert. Sie fanden ihn schon sprachlos in Todesängsten. Das mochte man sich selbst so auslegen, auch wenn er kein Wort gesprochen hätte; aber bei jedem Schritt wußte man mehr und die Mägde in der Küche, die gar nicht hinausgekommen waren, wußten es ganz genau, wie es hergegangen. Da hatte Hans Jochem sich verschworen gegen die Andern, er allein wollte den Krämer werfen und bis auf's Hemd ausziehen, auch wenn der Kurfürst mit allen seinen Trabanten um ihn stände. Auch so der Teufel neben ihm ritt? fragten die Andern. Auch dem will ich ein Schnippchen schlagen, hatte Hans Jochem gesagt. Da als er dem Pferd die Sporen gab, war ein schwarzer Reiter wie aus der Erd aufgeschossen und hatte sich ihm in den Weg gestellt. »Mach' Platz!« rief Hans Jochem. »Wer bist Du?« Der Reiter schlug das Visir auf, und die helle Lohe schlug ihm aus des Reiters grünen Augen und Rachen entgegen. Da ward sein Roß scheu, kehrte und trug ihn über Stock und Block. Und hinter ihm rief ein altes Weib: »Ach Junker nehmt mich doch mit; ich kann meine Kiepe nicht tragen,« und vor ihm lief ein anderes Weib, die rief: »Folgt mir nur, ich zeig' Euch den Weg.« Und das Weib hinter ihm saß bald auf dem Sattel in seinem Rücken, und umklammerte ihn mit ihren Armen, daß ihm der Athem verging, und das Weib vor ihm führte ihn durch Sumpf und Brüche, und er sah ihre Laterne und konnte sie doch nicht erreichen, bis sie dort an den Teufelssteinen stille stand und die Arme ausbreitete und rief: »Springt nur, Junker, ich helfe Euch runter.« Und da er sich im Sattel schwang, riß ihn die Andere hinab und er fiel. Die Frauen waren verschwunden, er lag auf den scharfen Steinen, und während er vor Schmerz wimmerte, lachte und kreischte und flatterte es auf wie hundert wilde Gänse, und die Eulen heulten im Walde. So wußten es die in der Küche ganz bestimmt und Keinem hätt' ich rathen mögen, daß er daran zweifelte.

»Er hat geseufzt, er lebt!« stürzte Agnes in die Thorstube, wo der Verwundete jetzt lag, und ihr Auge strahlte vor Freude der Mutter entgegen, welche die Arme bepackt mit feinen, weichen Linnen aus dem Wohnhaus kam. Die Leinen kamen zu spät, die Stirn war schon verbunden, kalte Wasserumschläge waren[133] gemacht, der Schmied aus dem Dorfe war auch schon da, aber er schüttelte den Kopf, was hier zu thun war, ging über seine Kunst.

»Ach lieber Himmel, daß mir das nicht gleich einfiel,« rief die Edelfrau. »Schnell zu Pferd Einer nach Altenbrandenburg, er soll die Sporen nicht scheuen, zum Meister Hildebrand!«

Sie sah sich um nach einem guten Reiter. Auch das war schon besorgt. Der Bote ritt seit einer Viertelstunde.

»Dechant, das ist brav von Euch, daß Ihr daran gedacht.«

Der Dechant blickte abwehrend auf Agnes: »Das liebe Kind denkt und waltet, als wäre sie schon eine barmherzige Schwester. Da wird des Himmels Segen nicht ausbleiben.«

»Agnes Du! Ach heilige Mutter, mir fällt ein, der Hildebrand wird nicht in der Stadt sein. Reit Einer nach, er ist –«

»Beim Vetter in Golzow,« fiel Agnes ein. »Er reitet auch über Golzow. Erst, wenn er ihn Nicht findet, soll er nach Brandenburg.«

»Wen habt Ihr hingeschickt?« fragte die Frau.

»Hans Jürgen,« sagte leis Eva zur Mutter.

Die wiegte etwas den Kopf: »Der Junge wird auch müde sein. 'S schadet aber nichts. Ein Nußbaum, der tragen soll, muß früh geschlagen werden. Die Vettern waren sich nimmer sehr gut. Schon als Kinder lagen sie sich in den Haaren. Nun wenn der Eine – der bessere,« entfuhr es ihr, aber sie unterdrückte die Stimme, – »wenn der dran glauben muß, dann hat der Andre den Trost, daß er ihm zuletzt noch einen Liebesdienst gethan. Mehr kann am End' Keiner sagen, daß er für die Anderen that. Wir sind alle Kinder des Staubes, wir müssen Alle unter die Erde.«

Sie wischte mit dem kleinen Finger eine Thräne aus dem Auge, Eva weinte laut, und Agnes weinte still. Da war das Zeichen gegeben. Wenn die Herrschaft weinte, durfte die Dienerschaft auch, es war sogar ihre Schuldigkeit, weinen. Sie weinten nicht still, sie schluchzten laut, sie drängten ihre Schürzen am Aug' nach der Thorstube, den lieben jungen Herrn zu sehen, sie schrieen auf, wenn sie ihn sahen, und heulend stürzten sie fort, bis es durch das ganze Haus und die ganze Burg ein Geheul war um den Junker, der ein so lieber schöner Herr gewesen, und nun war er ein Krüppel, eine halbe Leiche, schlimmer als eine Leiche. Und wie viel gute Eigenschaften und Vorzüge kamen bei dieser Gelegenheit an dem grauen Tage von Einem zu Tage, von dem sie bis da gar nicht gesprochen, und wenn es geschah, schalten sie ihn einen eitlen Thunichtsgut.[134]

Herr Gottfried hatte derweil seine Biersuppe mit Ingber und Pfeffer und den schwimmenden Eierschaum drauf getrunken. Er strich sich, als er allmälig warm ward, behaglich die Seiten, und sah auch mit Befriedigung, wie der Knecht Kasper die große Schüssel mit Buchweizenbrei auftrug, deren glatt gewordene Oberhaut schön geädert war mit kleinen Seen und Flüssen und Kanälen von brauner Butter und Zimmet. Dabei lächelte der Burgherr wohlgefällig, denn die Zimmetbüchse holte seine Ehefrau nur bei absonderlichen Festtagen aus dem Schranke: »'S ist doch ein gut Weib!« brummte er und sah auch mit Vergnügen auf die Schüsseln mit Honig und Käse und den Ochsenschinken, der jetzt hereingetragen ward. Zu viel für einen Mann hätte es einem andern gedünkt, der auch hungrig war, aber nur seit gestern. Herr Gottfried hatte seit einer Woche keinen Bissen über die Lippen gebracht und dieser Gedanke schien jetzt zum vollen Bewußtsein des Hungers zu werden. Er maß die Schüsseln und auf seinem Gesicht strahlte immer mehr Friede, aber mit dem Frieden stimmten die Klagetöne draußen wenig.

»Ist also gefallen?« fragte Herr von Bredow.

»Und gestürzt,« sagte der Knecht.

»Ja, ja, das kommt davon,« sagte Herr von Bredow und schnitt tief in den Schinken ein.

»Und hat sich Schaden gethan,« sagte der Knecht.

»Durch Schaden wird man klug. Fiel auch mal vom Pferd. Ist's der Hans Jochem oder der Hans Jürgen?«

»'S ist ein Unglückstag heut,« sagte der Meier.

»Ein Unglückstag!« wiederholte Herr von Bredow und schien drüber nachzudenken, indem er einen zweiten Teller mit Buchweizenbrei füllte und wie verwundert zusah, daß es noch immer dampfte. »Was haben wir denn heut, Kasper?«

»Sonntag nach Gallus, Gestrenger. Die Gänse sind schon geschlachtet.«

»Die Martinigänse! – Ist's die Möglichkeit!« rief Herr von Bredow und setzte den Messergriff auf den Tisch. »Der arme Hans Jochem! Jemine, schon die Martinigänse. – Das geht jetzt alles – Einer will's dem Andern zuvorthun. Da kommt's denn! – Ein Bein gebrochen hat er?«

»Aber der Herr Dechant wird ihm die Sacramente reichen.«

»Sacramente!« – Ein neuer Gedanke schien in der chaotischen Wüste seines Kopfes sich durchzuarbeiten. – »Sacramente! Dann geht's wohl auf die Letzt.«

»'S ist aber nach dem Wundarzt geschickt. Der muß bald da sein. Sonst kommt er zu spät.«[135]

»Zu spät!« Ein zweiter Gedanke brach durch. Der Ritter legte Messer und Löffel fort: »Kasper meinst Du, daß es gut ist, daß ich zum Hans Jochem gehe? Er kann doch nicht zu mir kommen!«

»Freilich, das kann er nicht, gestrenger Herr, aber –«

»'S ist heut ein Unglückstag,« wiederholte der Meier. »'S thäte wohl besser, gestrenger Herr,« sagte der Knecht, »wenn Ihr erst frühstücktet. Das Unglück kommt immer zu früh noch, und Ihr könnt dem Junker nicht helfen. Aber der Junker kann Euch schaden. Herzeleid auf leeren Magen thut nimmer gut. Wer Morgens ordentlich frühstückt, der sammelt seine Gedanken und kann was vertragen. Manchermann, der nüchtern ausritt, und wollte alles thun, that nichts und fiel gar in Unmacht.«

Da nickte Herr von Bredow mit voller Beistimmung dem verständigen Knecht zu, und that, wie er ihm rieth. Und der Rath erwies sich als gut, denn je mehr sich der Magen füllte, um so mehr schien in dem großen Körper die zerstörte Ordnung sich wieder herzustellen, und auch die Gedanken sammelten und lichteten sich im Kopfe.

Da wischte er mit dem Tuche den Mund, richtete sich im Stuhl auf, und sprach: »Der arme Hans Jochem! – daß es grade der Hans Jochem sein muß.«

»Das hab ich auch gesagt, gestrenger Herr. Grade der Hans Jochem. Und er war so lustig allezeit.«

»Wenn's Hans Jürgen wäre –«

»Dann wär's nicht Hans Jochem, das hab' ich auch gedacht, gestrenger Herr.«

»Aber das kommt davon.«

»Ja gewiß, Gestrenger.«

»Wer nicht hören will, muß fühlen. Wollen Alles besser wissen die jungen Leute. Reiten, das will gelernt sein. Was ist das für 'ne neue Mode! Die Diener sollen jetzt hinter dem Herrn reiten. Die jungen Fante in Brandenburg und Berlin! Wozu ist ein Diener, als daß er seinen Herrn meldet! Darum reitet er vorauf. Thut mir doch leid um den Hans Jochem. Hatte den Jungen lieb.« –

Herr Gottfried drückte mit dem Finger an's Auge, als fühlte er da etwas, was nicht dahin gehörte. Frau Brigitte trat ein, auch mit rothen Augen; sie setzte eine Kanne auf den Tisch. Selbst setzte sie sich neben ihren Herrn.

»Da bring ich Dir Zerbster, Gottfried. Das letzte aus dem Faß. Wer weiß, wenn's auch mit uns auf die Letzt geht.«[136]

»Ja, ja, ja!« sagte Herr von Bredow, »'s ist schlimme Zeit. Sie zapfen, wo sie können.«

»Trink, Götze, 's ist von dem bittern Zerbster, das spült den Magen wieder klar.«

Er setzte an und trank und setzte die leere Kanne nieder. Er nickte ihr freundlich zu: »Hast recht, 's ist von dem Bittern.«

»'S ist mancherlei bitter!« seufzte sie.

»Der arme Hans Jochem, wer hätte das gedacht, Gitte! Na nu will ich auch zu ihm.«

»Bleib nur, Götze, sie thun ihn verbinden jetzt. Er schreit jämmerlich. An's Leben geht's ihm nicht,« sagte der alte Hildebrand. »Aber wie's nachher mit ihm gehen wird, ich meine, wenn er durchkommt! Reiten kann er nicht mehr und tanzen auch nicht. Weißt Du noch, wie er bei dem Banket in Plessow herumstrich, er und die Eva? Sie waren noch Kinder, aber die Leute sprachen gar Absonderliches. Na und dann Götze, Unseres und Seines zusammengeschlagen, da hätten die Hohenziatzer auch können den Vettern in Friesack zeigen – das ist nun nichts. Ein Ritter wird er nicht mehr, sein Lebtag nicht, und was ist er dann? Und der Hans Jochem in's Kloster! Mann, Mann, das will mir gar nicht im Sinn. An den Hans Jürgen hatte ich immer gedacht, der taugt doch zu nichts. Aber –«

»Ich wollt's nicht,« fiel Herr Gottfried ein. »Sein Vater seliger konnte die Pfaffen nicht leidenund ich kann sie auch nicht leiden. Er hat grade Beine, laß ihn gehen, wo er hinläuft.«

»Und weißt Du, was mir nicht gefällt, Götz?« – Sie sah sich um, der Meier und der Knecht Kasper hatten die Halle verlassen; sie waren allein. – »'S ist was zwischen der Eva und dem Hans Jürgen. Sie haben sich immer geneckt, aber seit ein paar Tagen da ist was los.«

»Kinderpossen!«

»Du hast schon Recht, sie sind Kinder. Aber die Agnes, denk' Dir, das stille Kind, die ist wie außer sich um den Hans Jochem. Hat gesorgt für ihn, als wär's ihr Bruder, ist hinausgelaufen, von Allen zuerst, als wir's hörten, und brachte ihm Wasser zu trinken. Eh' Einer sich nur besinnen konnte, hatte sie ihm nasse Umschläge gelegt, und dann, ach Gott, ich weiß nicht Alles. Und daraus kann doch nur Unglück kommen. Und darum, was meinst Du, wir schicken sie nach Spandow, je eher so besser.«

Das Zerbster Bitterbier mußte wunderbar auf den Ritter gewirkt haben. Er seufzte so tief und schwer auf, als schöpfte[137] er plötzlich Erinnerungen aus dem Ziehbrunnen seiner Seele. Die breiten Hände auf seine Knie schlagend, hub er an:

»Ich sage Dir, Brigitte, es kommt nirgend was raus als Unglück! Und das kommt alles blos daher, weil die Menschen es immer besser machen wollen, als es ist. Der liebe Gott muß doch gewußt haben, warum er's so machte, aber nein, sie müssen kehren und putzen und scheuern.«

Frau Brigitte sah ihn bedenklich an, ob ein Vogel von der Wäsche gesungen. Es war anderes, was ihrem Eheherrn hinter'm Ohr hüpfte.

»In Berlin werden sie lateinisch sprechen, die Jungen sollen durch die Gucker in die Sterne sehn und die Weiber die Nativitäten stellen. Aus dem Reich ist ein lateinischer Gelehrter verschrieben, der soll dem Hofe Unterricht geben, und Komödien wollen sie spielen von einem Heidenmenschen, der vor zwei tausend Jahren schon gestorben ist, der heißt Terwenzel. Mögen sie scharwenzeln, mögen sie's aushalten, wenn ich nicht zuhören muß. Ich will auch gar nicht mehr auf den Landtag reiten.«

Den Entschluß billigte seine Frau: »Was hast Du auch da zu thun, Götz! Hast darüber die Reiherjagd versäumt und die Martinigänse.«

»Was da gestänkert jetzt und geredet wird, Brigitte, Du glaubst es gar nicht. Nun frag' ich eine Seele, haben wir nicht genug Gerichte und Gerechtigkeit im Land? Sprachen sie jetzt davon, es sollte ein großes oberstes Gericht für die Marken errichtet werden in Berlin. Ist denn das Reichskammergericht nicht schon Plage genug für 'nen rechtschaffenen Edelmann, der's Unglück hat, daß er da was suchen muß? Nein, wir sollen die Plage auch apart haben. Da sollen zwei Banken hingestellt werden, auf einer sollen die Edelleute sitzen, auf der andern Gelehrte, und da soll alles geschlichtet und entschieden werden, was sich in den Haaren liegt.«

»Das wird 'nen Kohl geben!« sagte Frau von Bredow.

»Rechtes Futter für die Advokaten, Processe, die einen Edelmann von Haus und Hof fressen. Aber das ist den gelbschnäblichten Herren schon recht, je mehr nur geschrieben wird, desto confuser und besser.«

»Was Recht ist, weiß doch jeder selbst zum besten, nicht wahr, Götze. Gott sei Dank, wir haben nichts mit den Gerichten zu thun.«

»Meinst Du! Der Kunz Reder hat vor Jahren 'nen See abgelassen und ackert darauf. Nun sagen die Bauern vom alten[138] Kietz, sie hätten ein Recht auf die Fische gehabt. Auf dem Acker könnten sie keine angeln. Und was kam beim Landtage vor. Der Redner sagte: sie könnten ja Frösche angeln, wollt's ihnen nicht wehren. Aber glaubst Du, Tile Holzendorf und noch ein Paar stunden auf, die Bauern wären im Recht. Da schlag denn doch das Donnerwetter drein. Wenn der Adel nicht mal zusammenhält.«

»Was ist auch das Angeln, Götze! Der Förster sagte gestern, der Dachs hat sich gestellt. Mann, wir brauchen Dachsfett in der Wirtschaft. Reite raus nach dem Bau und laß die bösen Gedanken. Die frische Luft thut Dir gut. Will die Jäger rufen lassen und die Körbe und Flaschen füllen.«

»Brigitte!« sagte Herr Gottfried aufstehend und reckte sich. »Ich wünschte, ich wäre selbst ein Dachs und könnte in mein Loch kriechen und schlafen den ganzen Winter und sähe nichts und hörte nichts. Denn Gescheites geschieht doch nicht mehr auf der Welt.«

Die Edelfrau horchte auf Etwas. Der Thürmer blies: »Was ist das? – Nachher Götze muß ich Dir noch was sagen. Der Herr von Lindenberg war heute Nacht hier. Es scheint mir was nicht richtig, aber da wir's nicht ändern können, ist's wohl gescheidter, wir thun, als wüßten wir nichts.«

Der Burgherr war damit vollkommen einverstanden, um so mehr, da er wirklich nicht wußte, was er nicht wissen sollte, und was Einer nicht weiß, ihn nicht heiß macht; und endlich, weil er gar nicht neugierig und der Meinung war, daß viel Wissen für einen Mann vom Uebel sei. Aber eins hätte er doch wissen mögen, als Brigitte hinaus war, nämlich warum sein Eisenhemde nicht am Platze hing. Auch die Büffelhaube fehlte und die Handschuhe. Er war ein Mann, der die Ordnung liebte, nämlich seine eigene, und wie er auch danach suchte, so fand er sie eben so wenig als Gründe, warum er sie nicht fand. So etwas konnte ihn verdrießen, und wenn er verdrießlich war, konnte er auch zornig werden. Und er fing schon an, nur daß keiner da war, an dem er seinen Zorn auslassen konnte, was aber noch mehr zornig machen kann.

Der Thürmer hatte wirklich geblasen, nicht einmal, wie wenn ein vereinzelter Reiter gesehen wird, sondern in langen, wiederholten und anhaltenden Stößen, die einen ganzen Heereszug bedeuten. Ein Trupp Reiter in Harnisch und Helm schwenkte in den langen Baumgang, der zum Schloß führte, das Eisen klirrte, und grad' als die Edelfrau auf dem Hof war, forderte[139] der Anführer im Namen seiner kurfürstlichen Gnaden Oeffnung und Einlaß.

Alle sahen sich verwundert an, es war doch nicht Fehde, Herr Gottfried nicht in Acht, noch im Proceß mit der Kammer des Kurfürsten, daß er Einlagerung zu fürchten hatte.

»Oeffnet sonder Zaudern!« rief der Anführer, den Eisenklopfer dreimal fallen lassend. »Wir wissen, daß der Burgherr drinnen ist.«

»Das ist ja Herr Achim von Arnim, der Voigt von Potsdam!« rief die Frau. »Thut auf Leute, das ist etwas, oder 's ist eine Irrung.«

Die Reiter sprengten nur zum Theil in den Hof, der größere Theil blieb draußen. Der Anführer grüßte mit adliger Sitte die Burgfrau, doch nicht sehr freundlich: »Es thut mir leid, gnädige Frau, daß wir uns so wiedersehen müssen. Doch geht Pflicht vor Freundschaft. Wo ist Herr Gottfried?«

»Mein Mann? Ach lieber Herr von Arnim, der ist eben erst aus dem Bett aufgestanden. Er schlief noch vom Landtag her.«

»Das thut mir leid,« sprach der Voigt mit einem Lächeln um den Mund und sprang aus dem Sattel.

»So muß ich ihn schon mitnehmen, wie er ist.«

»Mitnehmen! Heilige Mutter Gottes, was ist's.«

»Ist mir doch lieb, daß er schon im Wamms und Hosen steckt,« sagte der Ritter, da Herr Gottfried jetzt aus der Halle zum Vorschein kam. »'Nen Pelz könnt Ihr ihm noch umwerfen.«

Als Herr Götz ihn grüßte, neigte sich der Voigt auch nicht um ein weniges, sondern hielt den weißen Stab in die Höh: »Herr Gottfried von Bredow, im Namen Seiner Kurfürstlichen Gnaden, Ihr seid mein Gefangener. Folgt mir in Güte.«

»Gefangener!« rief es. Das war doch auch für Frau Brigitten des Schreckens zu viel. Hans Jürgen sah Eva fragend an, Agnes stürzte auf Herrn Gottfried und umfaßte ihn: »Sie sollen uns den Vater nicht nehmen.«

»Das könnte nicht sein, lieber Herr von Arnim. Das ist ein falscher Befehl. Warum?«

Der Anführer hob den Arm: »Auf Seiner Durchlaucht eigenen Befehl, den ich aus seinem Mund vernahm, bei Potsdam in der Forst. Ueberdem, wer wagt zu zweifeln, der ein guter Vasall ist zu Brandenburg!«[140]

Ein weniges ließ er das Pergament aufrollen, das er aus der Brust zog. Dann, als thäte es nicht noth, schnellte er es wieder zusammen und schaute nur nach seinen Reitern. Was er vor sich sah, that nicht gut, daß ein kurfürstlicher Diener es zu genau sah.

Kaspar riß den Mund auf und drückte die Faust an die Zähne; Eva schrie und flog zu Hans Jürgen. Sie fiel ihm nicht um den Hals, sie legte nur die Hände auf seine Schulter. »Daß Dich doch mal!« hatte Herr Götz gerufen; weiter nichts, dann waren die Arme ihm straff niedergesunken und er schaute, blaß, mit seinen großen Augen in's Leere; aber Eva rief zu Hans Jürgen: »Dulden wir's?« – »Wir dulden's nicht,« hatte er geantwortet; ich weiß nicht, ob mit dem Mund oder den Augen, aber er sprang zur Treppe nach der Rüstkammer. Da war es gut, daß der kluge Knecht Ruprecht ihn auffing. Was er ihm zugeflüstert, da er ihn unterfaßte, ich kann's euch nicht wieder sagen.

Die Harnische der Reiter klirrten, da sie einen Halbkreis um die Burginsassen schlossen; der Wachtmeister strich den Knebelbart, der Voigt von Arnim sprach kein Wort, aber auf seinen geschlossenen Lippen war geschrieben: Es ist Ernst, gegen den nichts hilft.

Der Leiterwagen mit den Strohbündeln stand schon geschirrt im Hofe. Der Wachtmeister und noch ein Reiter setzten sich nach vorn und hinten, eine Kette mit Handschellen verbargen sie noch unterm Strohsitz in der Mitte.

»Vater! Vater!« »Götze, mein Gottfried!«

Und konnte der Dechant nichts mitgeben als seinen Segen? Die Burgfrau stieß ihn fort, sie schlang ihren kräftigen Arm um den Hals ihres Herrn.

»Warum mußtest Du mir das thun, Mann! Nun weiß ich's, Du hast zu frei gesprochen auf dem Landtag.«

Darum! – Das darum und warum verhallte unter dem Gerassel der Räder und Hufe auf der Zugbrücke. »Herr Dechant! Herr Dechant!« riefen Mutter und Töchter dem geistlichen Herrn nach, der auch hinausritt, still, gesenkten Hauptes, aber er ritt nicht mit dem Wagen; er schwenkte draußen um nach links.

Da saß die unglückliche Frau und Mutter mit ihren Töchtern auf dem Walle. »Er hätte ihn doch trösten können auf dem langen Weg bis Spandow,« schluchzte Frau Brigitte. »Was braucht der Peter Melchior des Zuspruchs, der ist nur ein bischen krank und mein Herr –« Ein Aufschrei unterbrach sie. Der[141] Wagen mit den Reisigen, als sie in den Wald lenkten, hielt, und deutlich sah man's, sie legten dem Gefangenen Fesseln an. »Daß Gott erbarm, das ist zu arg!« schrien' die Mägde; die Töchter bargen weinend ihr Gesicht im Schooß der Mutter, die ihres in beide Hände stützte: »Nun ist's vorbei, nun ist's richtig, wir sehen ihn nimmer wieder.« Sie sah ihn auch nicht wieder, als sie plötzlich sich aufraffte und mit dem Tuche nachwehte. Roß und Reisige waren im Walde verschwunden, im tiefen Sande verhallte der Ton von Hufen und Rädern.

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3, S. 125-142.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Hosen des Herrn von Bredow
Die Hosen des Herrn von Bredow
Die Hosen Des Herrn Von Bredow (1-2)
Die Hosen Des Herrn Von Bredow (1)
Die Hosen des Herrn von Bredow
Die Hosen des Herrn von Bredow (Die grosse Erzähler-Bibliothek der Weltliteratur)

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon