Gutmütigkeit

[139] Alle Menschen sind gutmütig, ich meine damit, gutmütiger als ich, denn so beurteilt man Alles, von sich aus. Ich könnte demnach auch sagen: Sie sind dümmer, beschränkter. Wie kann man denn gutmütig sein, wenn man genügend intelligent ist?! Wie kann man Dummheiten, die ringsum geschehen und gar nicht geschehen müßten, verzeihen, übersehen, als selbstverständlich betrachten?! Ist Das Gutmütigkeit?! Nein, es ist Dummheit oder Bequemlichkeit, oder Mangel[139] an Interesse, also Egoismus! Gutmütigkeit ist also entweder Stupidität oder Gleichgültigkeit gegen fremde Ereignisse, also frecher Egoismus. Der geistvolle Mensch ist nie gutmütig, alles irritiert ihn, wie wenn es sich um sein eigenes Glück handelte! Gutmütig ist nur der Menschenfeind, der gern und gelassen Alles drunter und drüber gehen sieht, und sich nicht rührt zu helfen, aus Gutmütigkeit. Schamlose, feige Egoisten sind es, die den Wirrnissen dieses Daseins nobel-korrekt-feig anwohnen, ohne es je zu versuchen, Ordnung zu bringen in diese Unordnung! Sie sind angeblich zu wohlerzogen, um zu kreischen und aufzubegehren! Ihre »guten Manieren« sind ein feiges Geschäftchen, das sie mit dem rohen Leben abgeschlossen haben!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 139-140.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]