Normal

[77] Der »normale« Mensch zehrt seine Kräfte auf, in normalen Betätigungen. Es bleibt nichts übrig für »Außergewöhnliches«. Er zehrt sich auf, gesund-normal. Es fehlt ihm das »Außergewöhnliche«, nein, es fehlt ihm eben nicht! Es würde ihn sogar nur stören, falls es wäre, er würde es als »ungesund« empfinden, für ihn ist es auch ungesund. Jegliches Hoffen, Sehnen, Erwarten, Wünschen, Melancholien und »wozu das Alles im Dasein schließlich?!?« stören ihn empfindlich, bringen ihm Unruhe, ohne Hoffnung je auf Ruhe!

Jeder »Unruhige« hofft auf Ruhe, irgend-einmal, wenn auch in ferner Zeit!

Der Unruhigste dieses unruhvollen Lebens, der Künstler, hofft auf Ruhe!

Nur gibt er es nicht so billig wie die Anderen, eben deshalb »Normalen«, weil sie den Kampf vorzeitig aufgeben, und sich besiegen lassen von des Lebens öden Bequemlichkeiten!

Siehe, ein Füllen auf der Weide, unermeßliche Kräfte tanzen rastlos in seinen adeligen freien leichten Gliedmaßen.

Und schaue es später, dem Leben dienend, an! Sei es als Ackergaul, sei es vor einem Wagen, sei es als Mutterstute!

Es ist ein Ziel gesetzt den göttlichen überschüssigen Kräften,

man zehrt sich auf, gesund-normal, in den Betätigungen, die das Leben vorschreibt!

Das Genie kommt nie zur Ruhe,

es träumt nur davon, daß es sie gebe! Aber in ihm nie!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 77-78.
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