Cleo de Mérode

[85] Cleo de Mérode, du bist ein Paradigma der ästhetischen Kraft, sich äußerlich individuell zu gestalten, seine exzeptionelle Art auch nach außen hin künstlerisch zum Ausdruck zu bringen – – – Dein edler aristokratischer Nasenrücken, deine adelige Stirne, deine Augen, die Linien deines Kinnes schrieben es dir gleichsam vor, mit der öden Alltäglichkeit zu brechen und eine neuartige Umrahmung deines Edelhauptes vermittels dieses wunderbarsten Schmuckes »Haare« zu komponieren!

Es sind »spielerische Kleinigkeiten«, Niaiserien, für den Philister! Aber der Künstlermensch spürt darin bereits den gleichgearteten Künstlermenschen!

Zu allem Wertvollen gehört schließlich auch organisch (dieses Wort reite ich zu Tode) das Dekorative desselben, eine organische Mise-en-scène.

Zur musikalischen Nachtgartenstimmung in »Tristan und Isolde« gehört die Dekoration Rollers, diese liebereiche Nachahmung der mysteriös-poetischen Natur, die gleichsam mitwirkt, mittönt!

»Ich liebe die Form deines geliebten Hauptes mit den glatt gescheitelten Haaren – – –«, sagte der Künstler, »und mein Schmerz ist, daß die anderen es nicht beachten, es für nichts achten! Es ist doch so viel, bereits einen wohlgeformten Schädel zu besitzen – – –«

Cleo, du bist wie eine lebendig gewordene wertvolle Kamee! Und die Zeit kann dir kein Leid antun!

Das sind seltene künstlerische Dinge in dieser sonst öde gleichmäßig uniformierten feigen Menschheit![85] Heraustreten dürfen durch etwas Exzeptionelles, das sich berechtigt macht durch eine besondere Vollkommenheit, ist der Weg zu einer Weiterentwicklung der Menschheit überhaupt!

Wer die »konventionellen Formen« sklavisch einhält, weiß genau, weshalb er es tut. Es fehlt ihm eben das Besondere, das ihn innerlich berechtigte, gezogene Grenzen in Freiheit zu überschreiten!

»Ich will nicht auffallen« heißt »ich darf nicht auffallen«. Es gibt Menschen, die sich eben exponieren dürfen, dem Spotte, der Begeisterung, gleichviel! Cleo, wie eine lebendig gewordene Kamee bist du, herausbefördert aus den Schätzen des Altertumes! Und dazu diese eigentlich tiefste aller Frauengenialitäten: »nicht altern«! Das, was sich alle, alle Frauen erträumen, seine eigenen Schönheitsmöglichkeiten bewahren können, über den unbesiegbaren Todfeind »Zeit« dennoch zu siegen, das erschaut man an dir gerührt, Cleo! Dabei tanzest du sanft und eigentlich lässig, wie eine Gräfin am Brettl tanzen würde! Du bedarfst keiner Entfettungskuren, denn dein körperlicher Adel schützt und schirmt dich von selbst! Du führst den modernen Frauen gleichsam ihr ersehntes Idealbild vor und in diesem Sinne bist du Künstlerin![86]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 85-87.
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