Kindermißhandlung

[178] »Man hätte es diesem zarten hübschen Frauenantlitz gar nicht zugetraut«, lauteten die Gerichtssaal-Berichterstattungen.

Der Präsident fragte: »Wie wurden Sie selbst, Frau Anna, im Elternhause behandelt?!«

»Sonntag hatte der Vater nichts zu tun. Da wurden wir unbarmherzig geprügelt, und ebenso an Feiertagen. Nie aber wußten wir, weshalb – – –«

Der Präsident: »Wie war Ihr Mann gegen Sie?!«

»Er prügelte mich. Einmal glaubte ich, es sei meine letzte Stunde gekommen. Aber sie war es noch nicht. In derselben Nacht nahm er mich dennoch leidenschaftlich in Besitz.«

Der Präsident: »Der verstorbene Kleine war ›ein Kind der Liebe‹?!«

»Ja, mein nachmaliger Gatte hatte in Purkersdorf einmal einen schrecklichen Rausch, in welchem er mich überwältigte.«

»Hatten Sie später keinerlei Gefühl für den daran doch unschuldigen Wurm?!«

»Nein, Herr Präsident – – –.«

Präsident: »Was hat Ihre ersten Haßgefühle gegen das Kind erzeugt?«

»Es wollte immer zur ›Ziehmutter‹ aufs Land zurück, nannte zärtlichst ihren Namen – – –«

Präsident: »Das ist begreiflich. Dort schlug man es nicht halbtot – – –«

Die Angeklagte: »Mein Muttergefühl empörte sich, obwohl ich gar keines hatte – – –«[178]

Der Verteidiger schilderte »Armut und Elend« und sagte, hier regierten andere Gesetze; die Nerven seien eben zerrüttet und daher unverantwortlich. Hysterie der Armut!

Man gab der Frau vier Jahre Kerker mit einem Fasttage am 17. März! Viele erwünschten ihre Hinrichtung.

Jemand sagte: »Am 17. März bestraft ihr sie so strenge?! Gerade an dem Tage seiner Erlösung von den namenlosen Leiden?!?«

Die Frau ging ruhig in den Kerker. Sie kannte sich niemals aus im Leben, lebte immer und immer wie unter einem bösen Zauber; so nahm sie auch diese Verurteilung hin, niemals hoffend auf bessere gnädigere Zeiten! Dunkel sind die Wege – – –.[179]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 178-180.
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