Krankheit

[176] Ich bin krank – – –.

Der Leichtsinn entschwindet aus mir und ich bedenke die Dinge. Lebet wohl! Der Leichtsinn entschwindet aus mir! Zu spät werde ich bedenklich.

Wie schön war es, als ich gesund war – – –. Aber das wußte ich damals nicht. Das weiß ich erst jetzt.

Zum Beispiel nur, man sitzt, trinkt Tee, raucht und liest Zeitungen. Man spürt sich selbst nicht. Man ist sorgenlos, kann das Gehirn noch absperren gegen Sorgen, aus eigener Machtvollkommenheit. Sorgen erscheinen einem noch als ein Luxus des melancholischen Gemütes. Man gibt sich ihnen hin, weil man es eigentlich selbst so wünscht.

Anders, wenn man krank ist!

Da haben wir plötzlich die Fähigkeit, mit »krankhaften Zuständen« zu tändeln, verloren, sie ist uns zu unserem Schrecken abhanden gekommen! Irgend etwas ist Herr über uns geworden!

Die Sorge kommt über uns aus dem »mysteriösen Unbewußtsein«, es wird ernst mit unserem Niedergange! Es hängt nicht mehr von unserer kapriziösen Laune ab!

Vieles haben wir versäumt, das ist unser Hauptgedanke!

Die Chance, auf die Welt gekommen zu sein, haben wir stümperhaft ausgenützt, als Lebensdilettanten! Wir haben uns jedenfalls zu viel Zeit gelassen zu allem – – –.[176]

So kommt es uns vor, wenn wir ernstlich krank geworden sind – – –.

Zwischen Verbitterung und exzeptioneller Sanftmut verbringen wir nun unsere bangen Tage – – –.

Wir sehen alle Dinge nun anders. Als ob wir in »gerechtere Welten« einzögen und liebevoller würden!

Sind wir bereits dem Himmel näher?!?

Fast scheint es so – – –.

Der Gesunde ist jedenfalls brutaler, unbedenklicher, ungerechter als der, der es fühlt, daß das Leben ein Tag, eine Stunde, eine Minute, eine Sekunde ist – – –!

Vor dem Sterben stehen, scheint ein radikales Erziehungsmittel zu sein![177]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 176-178.
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