Sommer 1906

[18] Eine junge Dame, für die ich eine zärtliche Freundschaft empfand, hatte eine besondere Vorliebe für schönes edles Schuhwerk an Männerfüßen. Besonders ein sehr eleganter Mann hatte es ihr diesbezüglich angetan mit seiner idealen Chaussüre. Ich selbst trug Schuhe, die ich seit drei Jahren täglich trug, dreimal bereits gesohlt und überhaupt schrecklich. Ich bemerkte an dem süßen Fräulein die herbe Enttäuschung. Ein Dichter mit solchen Schuhen, pfui!

Da arrangierte ich es eines heißen Nachmittags, daß alle nahe dem flachen Ufer in den lauen Seesand barfuß aus dem Boote stiegen. Ja, ich setzte mich eigentümlich eindringlich dafür ein. Das süße Fräulein blickte mich an.

Spät abends, im Hotel, beim Abschiednehmen, sagte sie zu mir: »Verzeihen Sie es mir, P.A., Sie haben mir eine Lektion erteilt. Ich danke Ihnen.«

Ich küßte ihr stumm die Hand. Moral: Ein schöner Fuß ist schöner als ein schöner Schuh.[18]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 18-19.
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