Knut Hamsun-Aufruf

[285] Zu dem Aufrufe im Simplicissimus zu einer Sammlung für Knut Hamsun, welchem das Staatsstipendium entzogen wurde und welcher darbte.


Ewige Philosophie des Kreuzes – – –!

Wer das Gute giebt den Menschen – – – muss elend werden!!!

So sehr scheint dieses »das Gute geben« seine Belohnungen in sich selbst zu tragen, ein »hehrstes Geniessen« selbst zu sein, dass Gott in seiner Weisheit und Güte die Herzen der ganzen Menschheit gleichsam versteinert diesen Wohlthätigen gegenüber und sie hindert, zu diesem reichsten heiligsten Glücke, das im »Geben« liegt, dieses armseligste bettlerische Glück des »Nehmens« hinzuzufügen!

Und dann – – – was hat jeder Tag, jede Stunde, jede Minute nicht einem Geschöpfe an Reichtümern zugetragen, das Augen hatte zu sehen wie Hamsun, das Ohren hatte zu hören wie Hamsun, ein Herz zu fühlen wie Hamsun, ein Gehirn zu denken wie Hamsun?! Einem Geschöpfe, das in seiner Individual – Organisation die End-Konsequenzen der Entwickelungs – Stadien menschlicher Gehirne antizipierte und so dem Gotte nahe war!? MUSS es keine ausgleichende Gerechtigkeit[285] geben auf Erden für diese »Rothschilde der Seele«, die mit ihren Gott-ähnlichen Sinnen alle Reichtümer der Welt, alle Wälder, alle Berge, alle Kinder, alle Weisen, alle Mädchen, alle Gedanken, alle Gefühle in Besitz nehmen?! Muss es keine ausgleichende Gerechtigkeit geben allen denen gegenüber, die, in Sattheiten vegetierend, vom Leben dennoch jeden Tag, jede Stunde, jede Minute in der perfidesten und ränkevollsten Weise betrogen und beschnazelt werden?!

Ihre mühevoll konstruirten Thätigkeiten, ihre kunstvoll von langer Hand vorbereiteten und mit ausserordentlichen Geschicklichkeiten durchgeführten Pläne und Geschäfte, ihr gut und tapfer fundiertes Familienglück, das gedeihliche Heranwachsen ihrer Sprösslinge, das sorglose Naschen am Zuckerwerk der Kunstdarbietungen, ihre Sommervillen in grünem Schatten, ihre Winterpaläste in weisser Mittagssonne, nichts, nichts, nichts ist imstande, ihren Augen auch nur für einen Augenblick in ihrem Leben jene Seligkeiten zu gewähren, die Hamsuns Augen beim Anblick irgend eines fremden schönen Kindes, einer einsamen Brombeerstaude im Spätherbste, einer weissen Frauenhand, einer Birkenallee, einer Säulenhalle empfinden konnten! Nie, nie, nie, bis zu ihrem Lebensende nie, werden sie einen einzigen Takt einer Beetho ven-Symphonie wirklich vernehmen, das heilige Lachen Mozarts, ein nur aus vier ärmlichen Noten bestehendes heiliges Motiv aus Wagners Tristan, ein Wort, eine Silbe von Ibsens Rosmersholm, das[286] morgendliche Rauschen im Kiefernwalde, das Singen des Abendwindes in Kukuruzfeldern, diese Symphonien, Oratorien Gottes!

Taub sind sie, tauber als Taube, blind sind sie, blinder als Blinde, stumm sind sie, stummer als Stumme, und selbst jene Organe, welchen sie noch am ehesten Glückseligkeiten abpressen könnten, versagen ihnen boshafter Weise gerade ihre kostbarsten Schätze, welche sie, nur dem Befehle einer Seele folgend, Preis gäben! Und da sollen diese Bemitleidenswertesten Mitleid haben? Mit wem?! Mit dem Beneidenswertesten?! Judas, der Jesum bemitleidet?! Hahahahaha – – – Sollen durch das Schicksal Eines bewegt werden, der gegen sie ein Kaiser und dem gegenüber sie elendestes Bettelvolk sind?! Und sie sollen Sammlungen veranstalten für einen Milliardär?! Sie, die Hungerhunde auf ihren Lebensfriedhöfen?!

Nein, hier muss selbst der Edelmütigste, Weichherzigste gerecht werden und sagen: »Verschliesset eure Taschen, verstopfet eure Ohren trügerischem Mitleide! Denn wenn ein Hamsun verhungert und verdurstet, isst und trinkt er noch mehr als Ihr in tausend Jahren völlern könntet! Er sterbe!![287]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 285-288.
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