Sonntag-Vormittag

[247] Der Erste sagte einmal: »Ich möchte wissen, was das für ein Trick ist, dass der Dritte Ihrer Einladung, Sie Vormittags zu besuchen, nie Folge leistet?!?«

»Muss es ein Trick sein?!?« sagte die Dame ruhig.

»Ja,« erwiderte der Erste.

»Es ist Ihretwegen,« sagte sie ruhig, »oder doch nicht.«

»So?! Wir legen ihm nichts in den Weg –.«

»Nein. Ich weiss es. Uebrigens, ist es controllirbar?!?«

Sonntag Morgens sass der Dritte im Arkaden-Café mit einem Schriftsteller. »Ich bin lebensmüde,« sagte Dieser. »Ich ebenfalls,« sagte der Dritte. Dann sprachen sie über die »kindischen Dinge« in dem neuen Stücke, welche der Schriftsteller sogar auf einem Zettel sich notirt hatte. Es waren 7 kindische Dinge. Es schlug 10 Uhr. Man sah die schwarzen Glocken in den weissen Thürmen schwenken. Der Dritte ging weg, zur Dame. Er öffnete langsam, ziehend, die Thüre und die Dame spürte es, dass es nicht der Erste sein könne. Nein, es war der[247] Dritte. Beide spielten nun ziemlich schlecht. Er hätte sogleich seine Arme um sie schlingen mögen in unbeschreiblichen Zärtlichkeiten und den Duft ihrer blond-braunen Locken in sich hineintrinken. Jedesfalls aber ihre Gewänder berühren.

Sie hingegen spürte: »Gerade heute kommst Du?! Nun, wie geht's, mein Lieber?!?«

Er berührte hingegen kaum ihre süsse Hand, ihre Finger entglitten ihm.

Sie sagte; »Da ist ein neues Heft mit guten Bildern. Dort am Claviere.«

Er aber ging ganz heran an das offene Bett, betrachtete es unbeschreiblich liebevoll. Alles Andere war ihm fade, ja sogar ekelhaft. Jedesfalls spürte er Verlogenheiten, aufoktroyirte Dinge. Er fühlte:

»Warum steigen keine süssen Düfte auf von diesem weissen Lager wie von Jasmin – Büschen?!? Dass man existiren könnte und sich berauschen! Frauen, die man lieb hat, müssten so starken Duft ausströmen wie Akazien und Hyazinthen.«

Dann öffnete sich die Thüre rasch und es kam der Erste.

Dieser dachte: »Er ist gekommen?! Dass muss ein Trick sein – – –.«

»Haben Sie eine Cigarrette?« sagte der Erste und markirte Nonchalance.

»Leider nicht« erwiderte der Dritte und markirte ebenfalls Nonchalance.

Dann öffnete sich die Thüre sanft und es kam der Zweite.[248]

»Heute sind Beide da,« dachte er. »Ist es für mich günstig oder ungünstig?!?«

»Ich möchte mich mit Ihnen auf der Promenade zeigen!« sagte der Dritte. »Nehmen Sie Ihren breiten Hut. Man wird sprechen:

»Wer ist Sie, die mit Ihm geht?! Gewiss eine Amerikanerin.«

Der Erste begann auszurechnen, dass es mit der Zeit nicht auslange, Hin, Her, das Mittagessen?!

Nein, sie wolle dennoch gehen, sich mit dem Dritten zeigen, wenn es ihm so lieb sei.

Der Erste dachte: »Da gehe ich weg, bitte, wenn Diese ihre Lebens – Comödie spielen wollen.«

»Ich begleite Sie bis zum Schottenthore« sagte sie. Gleichsam als Entschädigung und dann passte es ihr überhaupt. Auch ging sie extra mit ihm voraus. Dann ging er weg. Der zweite dagegen schloss sich den »Amerikanern« an, obzwar er sich nicht zeigen wollte, sondern nur an der Seite der Dame sein und diese mit den Augen ununterbrochen küssen wollte.

Sie kamen auf die Promenade und viele Herren und Damen sagten; »Wer ist sie, die mit Ihm geht?! Gewiss eine Amerikanerin.«

Unterdessen speiste der Erste bei seiner Mutter und war sehr sanft und zärtlich mit der alten Dame.

»Du bist heute so sanft und zärtlich mit Ihr,« sagte die Mutter. Der erste wurde ganz consternirt und gerührt. Der Dritte, auf der Promenade, fühlte: »Das ist einmal ein erstklassiges Gespann! Ihr Comfortable-Pferde!«[249]

Die Promenirenden spürten direkt die Insulte. Einige rächten sich: »Was sind denn das für Zwei?!«

Der Zweite küsste unterdessen ununterbrochen die Dame mit seinen Augen, vor aller Welt. Sie war ganz zufrieden, erhielt vom Dritten eine schöne Rose geschenkt und vom Zweiten Augen-Küsse, während sie bestimmt wusste, dass der Erste in Sehnsucht dahinvegetire. Es war ein ganz angenehmer Vormittag.

Der Erste fühlte: »Ich wäre gerne allein mit ihr im Zimmer geblieben – – –.«

Der Zweite spürte: »Ich wäre gerne allein mit ihr im Zimmer geblieben – – –.«

Der Dritte dachte: »Ich wäre gerne allein mit ihr im Zimmer geblieben – – –.«[250]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 247-251.
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