Warum sie dieses Dichters Werke so sehr liebt

Peter Altenberg gewidmet

Von – – –

[11] »Du, wir werden Dir Deine Seele aus dem Leibe reissen müssen, Kind. Denn das ist einmal nichts für dieses Leben, verstehst Du?! Und ein anderes steht uns nicht zu Gebote. Weine nicht.«

So sprachen die Menschen, welche es ihr gut meinten und begannen an dieser Seele zu zerren und zu verschieben, obzwar es ihnen eigentlich leid that, denn es war eine wunderschöne zarte Seele, wenn auch nicht hierherpassend in dieses Thal der Arbeit – – –.

»Ich darf keine Seele haben?! Warum aber einen Magen, eine Leber, andere Organe?!«

»Wir wollen nicht philosophieren, Kind. Das sind Verstrickungen. Eine Seele?! Das gehört für Kaiserinnen oder Bettlerinnen. Ist es für Durchschnitts-Menschen?! Nun also. Bitte, bist Du vielleicht die Kaiserin Elisabeth oder die Duse?!«

Da löste das junge Mädchen die Seele aus sich heraus und gab dieselbe freiwillig dahin, denn sie[11] spürte, dass sie nicht die Kaiserin Elisabeth sei oder die Duse und es auch nimmer werden würde. In ihrer Nichtigkeit gab sie die Seele hin – – –!

Dann stand sie da, arm, arm, arm, frierend, hungernd, bebend, verkommend.

»Ich war nichts und ich bin nichts,« fühlte sie.

Und dennoch empfand sie zugleich, dass sie nicht leben könne ohne ihre Seele und sie ging, dieselbe wieder zu suchen.

Sie kam zum Walde und sagte: »Wald, hast Du meine Seele?!«

»Nein – –« rauschte der Wald, »ich habe nur meine eigene, die Waldes-Seele!«

Zu vielen Dingen und Menschen kam sie fragend. Doch alle besassen nur ihre eigene Seele – – –.

Sie kam zu einem Dichter, welcher abseits wohnte.

»Dichter, hast Du vielleicht meine Seele, welche ich weggegeben habe?!«

Der Dichter erwiderte sanft: »Ich besitze in mir alle Seelen, die im Sein des schweren Alltages so oder so verloren gehen, sich nicht ausleben, vor der Zeit ersterben. Siehe! Denn ich bin nichts anderes als Gottes Aufbewahrungsort für alle verkümmerten und zerstörten Frauenseelen. In mir leben sie alle weiter, das träumende Bürgermädchen, die traurige Gefallene, die Verstossene, die Verkaufte, die Alternde, die Bucklige, die Verrathene, die Hysterische, die Allzuschöne und die Allzuhässliche! Kein Atom einer Frauenseele geht verloren im Welten-Raume!! Denn was das[12] Leben welken macht, legt Gott sogleich in eines Dichters Herz, dass es erblühe zu seiner letzten Pracht! Zu seiner Endentfaltung! So geht nichts verloren. Hier ist Deine eigene Seele, Mädchen! Erkenne sie! Hier ruht sie in Frieden in mir, erwächst und blüht in Pracht! Wie die Seele der Kaiserin Elisabeth und der Duse ist sie schon fast –.«

Aber das junge Mädchen erkannte ihre eigene Seele kaum wieder, so schön und reich war sie. Wirklich wie die Seele der Kaiserin Elisabeth und der Duse – – –!

»Nimm sie Dir,« sagte der Dichter sanft, »ich schenke Dir Deine Seele.«

»Nein,« sagte das junge Mädchen, »ich lasse sie bei Dir. Hier blüht sie besser. In Deiner Welten-Seele ruhe die meine! Du träumst und leidest und weinst statt meiner und für mich! Ich kann dann ergeben dem harten Tage dienen, den Nothwendigkeiten! Und in den Ferial-Stunden dieser Schule ›Leben‹ komm' ich zu deiner, nein, zu meiner Seele und werde wieder, was ich war – – ich selbst!«

»So komme in den Ferial-Stunden des Lebens!« sagte der Dichter sanft.

Und sie kam zu ihm und seinen Werken, in den Ferial-Stunden des Lebens. Zu ihrer eigenen Seele kam sie da, die sie im Leben weggegeben hatte, zu ihren Träumen kam sie, zu ihren Leiden, zu ihren Thränen, zu sich selbst!

Und sie fühlte: »Ihr thörichten Verwandten, falsche Freundliche! Ich gab meine Seele weg, die[13] kleine schwächliche, Euch zu Liebe. Doch riesengross und stark erwächst sie, Euch bedräuend, in dem Dichter! Und was Ihr mir genommen und geraubt, bewahrt er mir nun in erhöhten Prächten!

Ihr Dummen, Falschen, Böswilligen! Wie ein abgeschlagener Kopf der Hydra hundert wachsen machte, so erblühen unsere zerstörten Herzen hundertfach wieder in den Dichter-Herzen! So hütet Gott die Seelen-Welt-Atome durch den Dichter! So rächt der Dichter seine ihm verwandten Seelen an Mördern und Verräthern – – –.

Rächer! Hüter! Wir ehren Dich!!«[14]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 11-15.
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