Handarbeit

[177] Chamois-farbiger Pongis-Grund. In der Mitte ein Blätterstrauch mit gefiederten Blättern, in rubinrother Seide. Fünf weisse seidene Sperlingsvögel, welche wie Perlmutter schimmern, flattern um den Strauch. Rechts unten ein Büschel Doldengewächse mit goldgelben seidenen Staubgefäss-Knöpfchen. Die Stengel sind echt, plastisch, und ragen aus der Fläche heraus. Ueber den Blüthendolden schweben zwei Distelfalter in schattirter Seide.

Die junge Dame, welches das in Nadelmalerei entworfen hat und stickt, hat einen Teint wie Muskatnuss, braune wellige feine Haare, malayischen Gesichtstypus, zarte lange Hände. Man möchte zu ihr sprechen: »Was machst Du in Europa, Du Wunderschöne?! Gehe doch spazieren in Waldungen mit Lianen und Orchideen, welche aus den Baumrinden wachsen – – –.«

Dann möchte man auch noch zu ihr sagen: »Wie Du bist, so stickst Du und wie Du stickst, so bist Du –!«

Sie hat eine ausserordentliche innere Liebenswürdigkeit, die nicht die zarte Blüthe von Gefühl und Menschenliebe ist, sondern etwas Organisches, durch Nichts zu Regelndes oder Abzutönendes, Etwas, was direkt aus dem Mysterium der Nerven[177] kommt. Sie ist liebenswürdig! Wie wenn man sagte: »Eine liebenswürdige Rasse, Nation – –.« Es thäte ihr nicht wohl, es nicht zu sein. Darum ist sie es. Sie möchte immer sagen: »Erhitze Dich nicht, mein Freund, erkälte Dich nicht; wie schläfst Du, wie lebst Du eigentlich?!«. Sie möchte immer so sein, dass der Andere in einer Art von rosigem Lack erstrahle. Weil das auf sie selbst überstrahlte, sie wärmte, sie beleuchtete – – –. Sie badet täglich in einem ziemlich heissen Bade und obwohl die Leute, welche das Recht haben, ihr gegenüber darüber Bemerkungen zu machen, finden, dass das übertrieben sei, badet sie doch täglich heiss. Viele meinen: »es macht nervös, erschlafft – – –.« Einer sagt: »so macht man es in Japan, in der Ferne«. Aber ihrem Nervensystem giebt es diese ruhige milde Glätte. Jedesfalls war es für sie eine ziemlich gesunde und unschädliche Concentration auf das eigene Ich. Dieses Ich meldet sich manchmal in der Jugend.

»Ich werde baden, ah, wie freue ich mich!«

»Ich bade! Das warme Wasser ist mein Geliebter!«

»Ich habe gebadet! Ja, ich bin wie neu geschaffen. Ich habe Lebenselixir durch die Poren eingetrunken. Meine Haut atmet gleichsam in langen tiefen Zügen –!«

Dann liegt sie in einem weissen Mantel und träumt –.

Einmal sagte sie: »Nadel-Malerei ist, die schöne künstlerische Welt, nach welcher wir uns sehnen,[178] in Seide verwandeln, die Sehnsucht unseres Herzens gleichsam auflösen in schattirten Seidengeflechten, sie los werden, sich befreien mit jedem seidenen Stiche, sie aus uns herausstellen als seidene Organisation für sich, ein kleines seidenes Kind gebären – – –.«

Einmal dachte sie sich Folgendes aus: »Hohohoho. jetzt habe ich Etwas. Ich mache die Blätter aus ganz schmalen, hellgrünen, seidenen, wirklichen Bändchen und hänge daran wirkliche echte rote Beeren aus Lack. Dann mache ich Doldenblüthen aus erhabenen Knöpfchen in weisser Seide, wie Schierlingsgewächse, und über das Ganze lasse ich viele echte prachtvolle exotische Käfer kriechen, welche ich an verschiedenen Stellen unmerkbar befestige, natürlich todte; ausgestopfte hätte ich fast gesagt. Zum Beispiel den brasilianischen Diamantkäfer und einen, der wie eine blaue Stahlklinge glänzt.«

»Und wie soll man es montiren?!« sagte eine Dame der praktischen Welt.

»Sie können es als Parapluie spannen lassen« sagte das junge Mädchen. Das war nicht sehr liebenswürdig. Aber diese Unliebenswürdigkeit that ihr wohl. Darum beging sie dieselbe.

»Sie müssen einen Afrikareisenden heirathen, einen Orient-Forscher« sagte ein junger Mann zu ihr, welcher sie sehr liebte und fühlte, was sie war. »Jawohl« sagte er, »ich habe darüber nachgedacht.«

»Guter Kerl«, fühlte sie, »mache Dir doch keine Sorgen – – –.«[179]

Dann sagte sie milde: »Warum eigentlich?! Ich habe Alles in mir und werde das Ueberschüssige auf meine Weise los. Ich habe Ventil-Klappen der Seele. Aber das verstehen Sie nicht, junger Mann; mein Freund, wollte ich sagen. Ich kann einen ganz gewöhnlichen Menschen brauchen, der mich nicht stört –.«

Der junge Mann sah sie voll Mitleids an und dachte: »Du kennst Dich nicht.«

Männer, welche ein Fräulein lieben, erkennen sie plötzlich. Wie Seher werden sie, ein Jesaias, ein Ezechiel. In die Ferne ihres Lebens starren sie! Sie werden daher milde und weise in Bezug auf sie und sehen, was Niemand sieht.

»Ich weiss, was sie braucht – –«, fühlen sie mit beklommenen Herzen, »wer wird es ihr geben?!«

Aber den Mädchen kommt das so vor wie eingebildet. Sie fühlen, dass das, was sie brauchen, momentan auf der Welt gar nicht existire, und just, während er glaubt, es sei der Himmel, ist es die Erde, und just der Himmel, wenn er die Erde wähnt!

Sie wollen sich eigentlich »verlieren«. Nur eine Kraft muss da sein, die das bewirkt. Eine irdische, eine himmlische, gleichviel! Sie wollen sich verlieren. »Ich habe mich verloren – –«, fühlen sie. Da haben sie sich gefunden!

Darum stickte das junge Mädchen prachtvolle rote Sträucher aus Seide und seidene Blumen mit Sommerglanz und perlmuttrige Vögel und Blüthendolden aus tausend Knöpfchen, die wie wirkliche[180] kleine Blüthen aussahen, und montirte gar Nichts. Sie verlor sich an ihre Phantasie.

Einmal aber montirte sie Eines und stickte sogar ein Monogramm hinein – – –.

Sie war in's Leben herabgestiegen – – – –!

Aber der junge Mann, welcher voll Mitleids empfunden hatte: »Du kennst Dich nicht«, hatte sich blamirt. Sie hatte Einen genommen, der sie nicht störte!

Aber diese Blamage ertrug er riesig gerne – –[181]

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 177-182.
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