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[214] 1
Auf, meine Stimm und Saitenspiel,
Laß Jesu zu Ehren
Dich hurtiglich hören
Und mache seines Lobes viel.
Musiziere,
Figuriere,
Laß es schallen,
Daß die Wälder widerhallen.
2
Ihm singt und klingt die ganze Welt,
Ihn loben gar schöne
Mit süßem Getöne
Die Vöglein auf dem grünen Feld.
Alle schwirren,
Schrein und girren,
Alle preisen
Gott, das Wort, mit ihren Weisen.
3
Ihm saust und summt es überall,
Ihm wehen die Winde
Bald heftig, bald linde,
Ihm redet manches Berg und Tal.[214]
Alle Lüfte,
Alle Grüfte,
Die erschallen
Ihrem Schöpfer zu gefallen.
4
Ihm hört man ofte früh und spat
Die Lämmelein bläckern,
Die Zickelein meckern
Und tönen alls, was Atem hat.
Alle Felder,
Alle Wälder
Sind voll Stimmen,
Die ihn stets zu loben glimmen.
5
Die Schäfer gleichfalls, jung und alt,
Erfüllen die Weiden
Mit merklichen Freuden
Und loben ihn gar mannigfalt.
Hin und wieder
Hört man Lieder
Von ihm singen,
Pfeifen, Hörner, Geigen klingen.
6
Drum schweig auch du nicht, meine Seel,
Sei hurtig zu singen,
Die Saiten zu schwingen,
So lang du lebst in deiner Höhl.
Laß dich hören
Ihm zu Ehren,
Tön und schalle,
Daß Wald, Feld und Berg erhalle.
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