Sie begehrt sein Angesicht zu sehen

[148] 1

Zeige mir dein Angesicht,

Schönster Nazarener,

Weil mir deiner Augen Licht

Lieber ist und schöner

Als der klarste Maienschein

Und der Himmel selbst mag sein.


2

Laß mich sehen deinen Glanz,

Ungeschaffne Sonne,

Daß ich dich betrachte ganz,

Ewge Seelenwonne.

Laß mich sehen die Gestalt,

Die kein Alter machet alt.


3

Ach, wie selig ist die Braut,

Die du angeblicket,

Die dein Antlitz hat geschaut,

Die du so erquicket!

Denn was sollt ihr lieber sein

Als des Bräutgams Augenschein?


4

Was für Freude muß die Schar

Deiner Heilgen haben,

Die sich nun schon ganz und gar

Mit dem Anschaun laben!

Denen keinmal mehr gebricht

Dein verklärtes Angesicht.
[149]

5

O du Strahl der Herrlichkeit,

Unbefleckter Spiegel,

Bildnis der Dreifaltigkeit,

Ewger Schönheit Siegel,

Wanne werd ich würdig sein,

Zu beschauen deinen Schein?


6

Wanne wird mich dieser Strahl

Von der Erd erheben,

Daß ich in des Himmels Saal

Mög ersättigt leben?

Daß ich schau, was ich so oft

Hab gesucht und angeruft.


7

Zeige mir dein Angesicht,

Allerliebste Seele,

Weil mir doch kein ander Licht

Gnügt in dieser Höhle.

Denn dein Antlitz ist allein,

Was mir ewig gnug kann sein.


Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 148-150.
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