Sie heißt ihren Lieben von ihr fliehen

[151] 1

Fleuch, mein Geliebter, auf die Höhe,

Fleuch immer hin und warte nicht.

Fleuch gleichsam wie ein junges Rehe,

Das von der Ebne sich entbricht.

Je mehr du fleuchst und läufst von mir,

Je stärker zeuchst du mich nach dir.


2

Mein Herz ist an dein Herz gebunden

Mit deiner ewgen Liebe Band.

Drum wird von ihme bald empfunden,

Wo sich das deine hingewandt.

Fleuch immer, fleuch, es ist dein Fliehn

Nichts anders, als mich nach dir ziehn.


3

Fleuch über alle Berg und Hügel,

Fleuch in die Wüste weit und breit.

Entlehne dir des Adlers Flügel,

Fleuch mit des Winds Geschwindigkeit.

Fleuch außer aller Kreatur,

Ich fehle schon nicht deiner Spur.


4

Ich hoff, es wird mir noch gelingen,

Daß du mich über Ort und Zeit

Mit deinem Ziehn zur Ruh wirst bringen

Und in die Schoß der Ewigkeit.

Drum fleuch nur fort, ich folge dir,

So stark du fleuchst und laufst von mir.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 151-152.
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