Achtundzwanzigstes Abenteuer.

[260] Wie Kriemhild Hagen empfing.


Als die Burgunden / kamen in das Land,

Da erfuhr es von Berne / der alte Hildebrand.

Er sagt' es seinem Herren. / Dietrichen war es leid;

Er hieß ihn wohl empfangen / der kühnen Ritter Geleit.


Da ließ der starke Wolfhart / die Pferde führen her:

Dann ritt mit dem Berner / mancher Degen hehr,

Sie zu begrüßen / zu ihnen auf das Feld.

Sie hatten aufgeschlagen / da manches herrliche Zelt.[260]


Als sie von Tronje Hagen / aus der Ferne sah,

Wohlgezogen sprach er / zu seinem Herren da:

»Nun hebt euch von den Sitzen, / ihr Recken wohlgetan,

Und geht entgegen denen, / die euch hier wollen empfahn.


Dort kommt ein Heergesinde, / das ist mir wohl bekannt;

Es sind viel schnelle Degen / von Amelungenland.

Sie führt der von Berne, / sie tragen hoch den Mut:

Laßt euch nicht verschmähen / die Dienste, die man euch tut.«


Da sprang von den Rossen / wohl nach Fug und Recht

Mit Dietrichen nieder / mancher Herr und Knecht.

Sie gingen zu den Gästen, / wo man die Helden fand,

Und begrüßten freundlich / die von der Burgunden Land.


Als sie der edle Dietrich / ihm entgegenkommen sah,

Liebes und Leides / zumal ihm dran geschah.

Er wußte wohl die Märe: / leid war ihm ihre Fahrt:

Er wähnte, Rüdger wüßt es / und hätt' es ihnen offenbart.


»Willkommen mir, ihr Herren, / Gunther und Geiselher,

Gernot und Hagen, / Herr Volker auch so sehr,

Und Dankwart der schnelle: / ist euch das nicht bekannt?

Schwer beweint noch Kriemhild / den von Nibelungenland.«


»Sie mag noch lange weinen,« / so sprach da Hagen:

»Er liegt seit manchem Jahr / schon zu Tod erschlagen.

Den König der Heunen / mag sie nun lieber haben:

Siegfried kommt nicht wieder, / er ist nun lange begraben.«


»Siegfriedens Wunden / lassen wir nun stehn;

So lange lebt Frau Kriemhild, / mag Schade wohl geschehn.«

So redete von Berne / der edle Dieterich:

»Trost der Nibelungen, / davor behüte du dich.«[261]


»Wie soll ich mich behüten?« / sprach der König hehr.

»Etzel sandt uns Boten, / was sollt ich fragen mehr?

Daß wir zu ihm ritten / her in dieses Land.

Auch hat uns manche Botschaft / meine Schwester Kriemhild gesandt.«


»So will ich euch raten,« / sprach wieder Hagen,

»Laßt euch diese Märe / doch zu Ende sagen

Dietrich den Herren / und seine Helden gut,

Daß sie euch wissen lassen / der Frau Kriemhilde Mut.«


Da gingen die drei Könige / und sprachen unter sich,

Herr Gunther und Gernot / und Herr Dieterich:

»Nun sag uns, von Berne, / du edler Ritter gut,

Was du wissen mögest / von der Königin Mut.«


Da sprach der Vogt von Berne: / »Was soll ich weiter sagen?

Als daß ich alle Morgen / weinen hör und klagen

Etzels Weib Frau Kriemhild / in jämmerlicher Not

Zum reichen Gott vom Himmel / um des starken Siegfried Tod.«


»Es ist halt nicht zu wenden,« / sprach der kühne Mann,

Volker der Fiedler, / »was ihr uns kund getan.

Laßt uns zu Hofe reiten / und einmal da besehn,

Was uns schnellen Degen / bei den Heunen möge geschehn.«


Die kühnen Burgunden / hin zu Hofe ritten:

Sie kamen stolz gezogen / nach ihres Landes Sitten.

Da wollte bei den Heunen / gar mancher kühne Mann

Von Tronje Hagen schauen, / wie der wohl wäre getan.


Es war durch die Sage / dem Volk bekannt genug,

Daß er von Niederlanden / Siegfrieden schlug,

Aller Recken stärksten, / Frau Kriemhildens Mann:

Drum ward so großes Fragen / bei Hof nach Hagen getan.[262]


Der Held war wohlgewachsen, / das ist gewißlich wahr,

Von Schultern breit und Brüsten: / gemischt war sein Haar

Mit einer greisen Farbe; / von Beinen war er lang

Und schrecklich von Antlitz: / er hatte herrlichen Gang.


Da schuf man Herberge / den Burgundendegen;

Gunthers Ingesinde / ließ man gesondert legen.

Das riet die Königstochter, / die ihm viel Hasses trug;

Daher man bald die Knechte / in der Herberg erschlug.


Dankwart, Hagens Bruder, / war da Marschall:

Der König sein Gesinde / ihm fleißig anbefahl,

Daß er es die Fülle / mit Speise sollte pflegen.

Das tat auch gar willig / und gern dieser kühne Degen.


Kriemhild die schöne / mit dem Gesinde ging,

Wo sie die Nibelungen / mit falschem Mut empfing:

Sie küßte Geiselheren / und nahm ihn bei der Hand.

Als das Hagen sah von Tronje, / den Helm er fester sich band.


»Nach solchem Empfange,« / so sprach da Hagen,

»Mögen wohl Bedenken / die schnellen Degen tragen.

Man grüßt die Fürsten ungleich / und den Untertan;

Keine gute Reise haben wir / zu dieser Hochzeit getan.«


Sie sprach: »Seid willkommen / dem, der euch gerne sieht:

Eurer Freundschaft willen / kein Gruß euch hier geschieht.

Sagt, was ihr mir bringet / von Worms überrhein,

Daß ihr mir so höchlich / solltet willkommen sein?«


»Was sind das für Sachen,« / sprach Hagen entgegen,

»Daß euch Gaben bringen / sollten diese Degen?

So reich wär ich gewesen, / hätt' ich das gedacht,

Daß ich euch meine Gabe / zu den Heunen hätte gebracht.«[263]


»Nun frag ich um die Märe / weiter bei euch an:

Der Hort der Nibelungen, / wohin ward der getan?

Der war doch mein eigen, / das ist euch wohl bekannt;

Den solltet ihr mir haben / gebracht in Etzels Land.«


»In Treuen, Frau Kriemhild, / schon mancher Tag ist hin,

Den Hort der Nibelungen, / seit ich des ledig bin,

Ihn ließen meine Herren / senken in den Rhein;

Da muß er auch in Wahrheit / bis zum jüngsten Tage sein.«


Die Königin versetzte: / »Ich dacht es wohl vorher:

Ihr habt mir noch wenig / davon gebracht hieher,

Wiewohl er war mein eigen, / und ich sein weiland pflag;

Nach ihm und seinem Herren / hab ich manchen leiden Tag.«


»Ich bring euch den Teufel!« / sprach wieder Hagen.

»Ich hab an meinem Schilde / so viel zu tragen

Und an meinem Harnisch; / mein Helm, der ist licht,

Das Schwert an meiner Seite: / drum bring ich ihn euch nicht.«


»Es war auch nicht die Meinung, / als verlangte mich nach Gold:

So viel hab ich zu geben, / ich entbehre leicht den Sold.

Eines Mords und Doppelraubes, / die man an mir genommen,

Dafür möcht ich Arme / zu lieber Entgeltung kommen.«


Da sprach die Königstochter / zu den Recken allzumal:

»Man soll keine Waffen / tragen hier im Saal:

Vertraut sie mir, ihr Helden, / zur Verwahrung an.«

»In Treuen,« sprach da Hagen, / »das wird nimmer getan.«


»Ich Begehre nicht der Ehre, / Fürstentochter mild,

Daß ihr zur Herberge / tragt meinen Schild

Und ander Streitgeräte; / ihr seid hier Königin.

So lehrte mich mein Vater, / daß ich selbst ihr Hüter bin.«[264]


»O weh dieses Leides,« / sprach da Kriemhild:

»Warum will mein Bruder / und Hagen seinen Schild

Nicht verwahren lassen? / Gewiß, sie sind gewarnt:

Und wüßt ich, wer es hat getan, / der Tod, der hielt' ihn umgarnt.«


Im Zorn gab ihr Antwort / Dietrich sogleich:

»Ich bin es, der gewarnt hat / die edeln Fürsten reich

Und Hagen den kühnen, / der Burgunden Mann:

Nur zu, du Braut des Teufels, / du tust kein Leid mir drum an.«


Da schämte sich gewaltig / die edle Königin:

Sie fürchtete sich bitter / vor Dietrichs Heldensinn.

Sie ging alsbald von dannen, / kein Wort mehr sprach sie da,

Nur daß sie nach den Feinden / mit geschwinden Blicken sah.


Da nahmen bei den Händen / zwei der Degen sich,

Der eine war Hagen, / der andere Dieterich.

Da sprach wohlgezogen / der Degen allbereit:

»Eure Reise zu den Heunen, / die ist in Wahrheit mir leid,


Da die Königstochter / so gesprochen hat.«

Da sprach von Tronje Hagen: / »Zu allem wird schon Rat.«

So sprachen zueinander / die Recken wohlgetan.

Das sah der König Etzel, / der gleich zu fragen begann:


»Die Märe wüßt ich gerne,« / befrug der König sich,

»Wer der Recke wäre, / den dort Herr Dietrich

So freundlich hat empfangen; / er trägt gar hoch den Mut:

Wie auch sein Vater heiße: / er mag wohl sein ein Recke gut.«


Antwort gab dem König / ein Kriemhildensmann:

»Von Tronje ist er geboren, / sein Vater hieß Aldrian;

Wie zahm er hier gebare, / er ist ein grimmer Mann:

Ich laß euch das noch schauen, / daß ich keine Lüge getan.«[265]


»Wie soll ich das erkennen, / daß er so grimmig ist?«

Noch hatt' er nicht Kunde / von mancher argen List,

Die wider ihre Freunde / die Königin spann,

Daß aus dem Heunenlande / ihr auch nicht einer entrann.


»Wohl kannt ich Hagnen: / er war mein Untertan:

Lob und große Ehre / er hier bei mir gewann.

Ich macht' ihn zum Ritter / und gab ihm mein Gold;

Helke die getreue / war ihm inniglich hold.


Daher ist mir von Hagen / alles wohlbekannt.

Zwei edle Kinder bracht ich / als Geisel in dies Land,

Ihn und von Spanien Walther: / die wuchsen hier heran,

Hagen sandt ich wieder heim; / Walther mit Hildegund entrann.«


So gedacht er alter Zeiten / und was vordem geschehn.

Seinen Freund von Tronje / hatt' er hier ersehn,

Der ihm in seiner Jugend / oft große Dienste bot;

Jetzt schlug er ihm im Alter / viel lieber Freunde zu Tod.

Quelle:
Das Nibelungenlied. Stuttgart 1954, S. 260-266.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon