Neunundzwanzigstes Abenteuer.

[266] Wie Hagen und Volker vor Kriemhildens Saal saßen.


Da schieden auch die beiden / werten Recken sich,

Hagen von Tronje / und Herr Dieterich.

Über die Achsel blickte / Gunthers Untertan

Nach einem Heergesellen, / den er sich bald gewann.


Neben Geiselheren / sah er Volkern stehn,

Den kunstreichen Fiedler: / den bat er mitzugehn,

Weil er wohl erkannte / seinen grimmen Mut:

Er war an allen Tugenden / ein Ritter kühn und auch gut.[266]


Noch ließ man die Herren / auf dem Hofe stehn.

Die beiden ganz alleine / sah man von dannen gehn

Über den Hof hin ferne / vor einen Pallas weit:

Die Auserwählten scheuten / sich vor niemandes Streit.


Sie setzten vor dem Hause sich / genüber einem Saal,

Der war Kriemhilden, / auf eine Bank zutal.

An ihrem Leibe glänzte / ihr herrlich Gewand;

Gar manche, die das sahen, / hätten gern sie gekannt.


Wie die wilden Tiere / gaffte sie da an,

Die übermütgen Helden, / mancher Heunenmann.

Da sah sie durch ein Fenster / Etzels Königin:

Das betrübte wieder / der schönen Kriemhilde Sinn.


Sie gedacht ihres Leides: / zu weinen hub sie an.

Das wunderte die Degen, / die Etzeln untertan:

Was ihr bekümmert hätte / so sehr den hohen Mut?

Da sprach sie: »Das tat Hagen, / ihr Helden kühn und auch gut.«


Sie sprachen zu der Frauen: / »Wie ist das geschehn?

Wir haben euch doch eben / noch wohlgemut gesehn.

Wie kühn er auch wäre, / der es euch hat getan,

Befehlt ihr uns die Rache, / den Tod drum müßt er empfahn.«


»Dem wollt ich immer danken, / der rächte dieses Leid:

Was er nur begehrte, / ich wär dazu bereit.

Ich fall euch zu Füßen,« / so sprach des Königs Weib:

»Rächt mich an Hagen: / er verliere Leben und Leib.«


Da rüsteten die Kühnen / sich sechzig an der Zahl:

Kriemhild zuliebe / wollten sie vor den Saal

Und wollten Hagen schlagen, / diesen kühnen Mann,

Dazu den Fiedelspieler; / das ward einmütig getan.[267]


Als so gering den Haufen / die Königin ersah,

In grimmem Mute sprach sie / zu den Helden da:

»Von solchem Unterfangen / rat ich abzustehn:

Ihr dürft in so geringer Zahl / nicht mit Hagen streiten gehn.


So kühn auch und gewaltig / der von Tronje sei,

Noch ist bei weitem stärker, / der ihm da sitzet bei,

Volker der Fiedler: / das ist ein übler Mann:

Wohl dürft ihr diesem Helden / nicht zu so wenigen nahn.«


Als sie die Rede hörten, / rüsteten sich mehr,

Vierhundert Recken. / Der Königin hehr

Lag sehr am Herzen / die Rache für ihr Leid.

Da ward bald den Degen / große Sorge bereit.


Als sie ihr Gesinde / wohlbewaffnet sah,

Zu den schnellen Recken / sprach die Königin da:

»Nun harrt eine Weile: / ihr sollt noch stille stehn.

Ich will unter Krone / hin zu meinen Feinden gehn.


Hört mich ihm verweisen, / was mir hat getan

Hagen von Tronje, / Gunthers Untertan.

Ich weiß ihn so gemutet, / er leugnets nimmermehr;

So will ich auch nicht fragen, / was ihm geschehe nachher.«


Da sah der Fiedelspieler, / ein kühner Spielmann,

Die edle Königstochter / von der Stiege nahn,

Die aus dem Hause führte. / Als er das ersah,

Zu seinem Heergesellen / sprach der kühne Volker da:


»Nun schauet, Freund Hagen, / wie sie dorther naht,

Die uns ohne Treue / ins Land geladen hat.

Ich sah mit einer Königin / nie so manchen Mann

Die Schwerter in den Händen / also streitlustig nahn.[268]


Wißt ihr, Freund Hagen, / daß sie euch abhold sind?

So will ich euch raten, / daß ihr zu hüten sinnt

Des Lebens und der Ehre; / fürwahr, das dünkt mich gut:

Soviel ich mag erkennen, / ist ihnen zornig zumut.


Es sind auch manche drunter / von Brüsten stark und breit:

Wer seines Lebens hüten will, / der tu es beizeit.

Ich seh sie unter Seide / die festen Panzer tragen.

Was sie damit meinen, / das hör ich niemanden sagen.«


Da sprach im Zornmute / Hagen der kühne Mann:

»Ich weiß wohl, das wird alles / wider mich getan,

Daß sie die lichten Waffen / tragen in der Hand;

Vor denen aber reit ich / noch in der Burgunden Land.


Nun sagt mir, Freund Volker, / denkt ihr mir beizustehn,

Wenn mit mir streiten wollen / die in Kriemhilds Lehn?

Das laßt mich vernehmen, / so lieb als ich euch sei.

Ich steh euch mit Diensten / immer wieder treulich bei.«


»Sicherlich, ich helf euch,« / so sprach da Volker:

»Und säh ich uns entgegen / mit seinem ganzen Heer

Den König Etzel kommen, / all meines Lebens Zeit

Weich ich von eurer Seite / aus Furcht nicht eines Fußes breit.«


»Nun lohn euch Gott vom Himmel, / viel edler Volker!

Wenn sie mit mir streiten, / wes bedarf ich mehr?

Da ihr mir helfen wollet, / wie ich jetzt vernommen,

So mögen diese Recken / fein behutsam näher kommen.«


»Stehn wir auf vom Sitze,« / sprach der Fiedelmann,

»Vor der Königstochter, / so sie nun kommt heran.

Bieten wir die Ehre / der edeln Königin!

Das bringt uns auch beiden / an eignen Ehren Gewinn.«[269]


»Nein, wenn ihr mich lieb habt,« / sprach dawider Hagen.

»Es möchten diese Degen / mit dem Wahn sich tragen,

Daß ich aus Furcht es täte / und dächte wegzugehn:

Von dem Sitze mein ich / vor ihrer keinem aufzustehn.


Daß wir es bleiben lassen, / das ziemt uns ganz allein.

Soll ich dem Ehre bieten, / der mir feind will sein?

Nein, ich tu es nimmer, / solang ich leben soll:

In aller Welt, was kümmr ich / mich um Kriemhildens Groll?«


Der vermessne Hagen legte / über die Schenkel hin

Eine lichte Waffe, / aus deren Knaufe schien

Mit hellem Glanz ein Jaspis, / grüner noch als Gras.

Wohl erkannte Kriemhild, / daß Siegfried einst sie besaß.


Als sie das Schwert erkannte, / das schuf ihr große Not.

Der Griff war von Golde, / der Scheide Borte rot.

Ermahnt war sie des Leides, / zu weinen hub sie an:

»Ich glaube, Hagen hatt' es / auch eben darum getan.«


Volker der kühne / zog näher an die Bank

Einen starken Fiedelbogen, / mächtig und lang,

Wie ein Schwert geschaffen, / scharf dazu und breit.

So saßen unerschrocken / diese Recken allbereit.


Die kühnen Degen beide / dauchten sich so hehr,

Aus Furcht vor jemandem / wollten sie nimmermehr

Vom Sitz sich erheben. / Ihnen schritt da vor den Fuß

Die edle Königstochter / und bot unfreundlichen Gruß.


Sie sprach: »Nun sagt, Herr Hagen, / wer hat nach euch gesandt,

Daß ihr zu reiten wagtet / her in dieses Land,

Da ihr doch wohl wußtet, / was ihr mir habt getan?

Wart ihr bei guten Sinnen, / ihr durftet's euch nicht unterfahn.«[270]


»Nach mir gesandt hat niemand,« / sprach er entgegen;

»Her zu diesem Lande / lud man drei Degen,

Die heißen meine Herren: / ich steh in ihrem Lehn;

Bei keiner Hofreise / pfleg ich daheim zu bestehn.«


Sie sprach: »Nun sagt mir ferner, / was tatet ihr das,

Daß ihr es verdientet, / wenn ich euch trage Haß?

Ihr erschlugt Siegfrieden, / meinen lieben Mann,

Den ich bis an mein Ende / nicht genug beweinen kann.«


»Wozu der Rede weiter?« / sprach er, »es ist genug:

Ich bin halt der Hagen, / der Siegfrieden schlug,

Den behenden Degen: / wie schwer er das entgalt,

Daß die Frau Kriemhild / die schöne Brunhilde schalt!


Es wird euch nicht geleugnet, / reiche Königin,

Daß ich an all dem Schaden, / dem schlimmen, schuldig bin.

Nun räch es, wer da wolle, / Weib oder Mann,

Ich müßt es wahrlich lügen, / ich hab euch viel zuleid getan.«


Sie sprach: »Da hört ihr, Recken, / wie er die Schuld gesteht

An all meinem Leide: / wie's ihm deshalb ergeht,

Darnach will ich nicht fragen, / ihr Etzeln untertan.«

Die übermütgen Degen / blickten all einander an.


Wär da der Streit erhoben, / so hätte man gesehn,

Wie man den zwei Gesellen / müss' Ehre zugestehn:

Das hatten sie in Stürmen / oftmals dargetan.

Was jene sich vermessen, / das ging aus Furcht nun nicht an.


Da sprach der Recken einer: / »Was seht ihr mich an?

Was ich zuvor gelobte, / das wird nun nicht getan.

Um niemands Gabe laß ich / Leben gern und Leib.

Uns will hier verleiten / dem König Etzel sein Weib.«[271]


Da sprach ein andrer wieder: / »So steht mir auch der Mut.

Wer mir Türme gebe / von rotem Golde gut,

Diesen Fiedelspieler / wollt ich nicht bestehn,

Der schnellen Blicke wegen, / die ich hab an ihm ersehn.


Auch kenn ich diesen Hagen / von seiner Jugendzeit:

Drum weiß ich von den Recken / selber wohl Bescheid.

In zweiundzwanzig Stürmen / hab ich ihn gesehn;

Da ist mancher Frauen / Herzeleid von ihm geschehn.


Er und der von Spanien / traten manchen Pfad,

Da sie hier bei Etzeln / taten manche Tat

Dem König zuliebe. / Das ist oft geschehn:

Drum mag man Hagen billig / große Ehre zugestehn.


Damals war der Recke / an Jahren noch ein Kind,

Da waren schon die Knaben, / wie jetzt kaum Greise sind.

Nun kam er zu Sinnen / und ist ein grimmer Mann;

Auch trägt er Balmungen, / den er übel gewann.«


Damit wars entschieden, / niemand suchte Streit.

Das war der Königstochter / im Herzen bitter leid.

Die Mannen gingen wieder: / wohl scheuten sie den Tod

Von den Helden beiden: / das tat ihnen wahrlich not.


Wie oft man verzagend / manches unterläßt,

Wo der Freund beim Freunde / treulich steht und fest!

Und hat er kluge Sinne, / daß er nicht also tut,

Vor Schaden nimmt sich mancher / durch Besonnenheit in Hut.


Da sprach der kühne Volker: / »Da wir nun selber sahn,

Daß wir hier Feinde finden, / wie man uns kundgetan,

So laß uns zu den Königen / hin zu Hofe gehn:

So darf unsre Herren / mit Kampfe niemand bestehn.«[272]


»Gut, ich will euch folgen,« / sprach Hagen entgegen.

Da gingen hin die beiden, / wo sie die zieren Degen

Noch harrend des Empfanges / auf dem Hofe sahn.

Volker der kühne / hub da laut zu reden an.


Er sprach zu seinen Herren: / »Wie lange wollt ihr stehn

Und euch drängen lassen? / ihr sollt zu Hofe gehn

Und von dem König hören, / wie der gesonnen sei.«

Da sah man sich gesellen / der kühnen Helden je zwei.


Dietrich von Berne / nahm da an die Hand

Gunther den reichen / von Burgundenland;

Irnfried nahm Gernoten, / diesen kühnen Mann;

Da ging mit seinem Schwäher / Geiselher zu Hof heran.


Wie bei diesem Zuge / gesellt war jeglicher,

Volker und Hagen, / die schieden sich nicht mehr

Als noch in einem Kampfe / bis an ihren Tod.

Das mußten bald beweinen / edle Fraun in großer Not.


Da sah man mit den Königen / hin zu Hofe ziehn

Ihres edeln Ingesindes / tausend Degen kühn;

Darüber sechzig Recken / waren mitgekommen:

Die hatt' aus seinem Lande / der kühne Hagen genommen.


Hawart und Iring, / zwei Degen auserkannt,

Die gingen mit den Königen / zu Hofe Hand in Hand;

Dankwart und Wolfhart, / ein teuerlicher Degen,

Die sah man großer Hofzucht / vor den übrigen pflegen.


Als der Vogt vom Rheine / in den Pallas ging,

Etzel der reiche / das länger nicht verhing:

Er sprang von seinem Sitze, / als er ihn kommen sah,

Ein Gruß, ein so recht schöner, / nie mehr von Köngen geschah.[273]


»Willkommen mir, Herr Gunther, / und auch Herr Gernot,

Und euer Bruder Geiselher, / die ich hieher entbot

Mit Gruß und treuem Dienste / von Worms überrhein,

Und eure Degen alle / sollen mir willkommen sein.


Laßt euch auch Willkommen, / ihr beiden Recken, sagen,

Volker der kühne / und dazu Herr Hagen,

Mir und meiner Frauen / hier in diesem Land:

Sie hat euch manche Botschaft / hin zum Rheine gesandt.«


Da sprach von Tronje Hagen: / »Das haben wir vernommen.

Wär ich um meine Herren / gen Heunland nicht gekommen,

So wär ich euch zu Ehren / geritten in das Land.«

Da nahm der edle König / die lieben Gäste bei der Hand


Und führte sie zum Sitze hin, / wo er selber saß.

Da schenkte man den Gästen, / fleißig tat man das,

In weiten goldnen Schalen / Met, Moraß und Wein

Und hieß die fremden Degen / höchlich willkommen sein.


Da sprach König Etzel: / »Das muß ich wohl gestehn,

Mir konnt in diesen Zeiten / nichts Lieberes geschehn

Als durch euch, ihr Recken, / daß ihr gekommen seid;

Damit ist auch der Königin / benommen Kummer und Leid.


Mich nahm immer wunder, / was ich euch wohl getan,

Da ich der edeln Gäste / so manche doch gewann,

Daß ihr nie zu reiten / geruhtet in mein Land;

Nun ich euch hier ersehen hab, / ist mirs zu Freuden gewandt.«


Da versetzte Rüdiger, / in Ritter hochgemut:

»Ihr mögt sie gern empfahen: / ihre Treue, die ist gut:

Der wissen meiner Frauen / Brüder schön zu pflegen.

Sie bringen euch zu Hause / manchen weidlichen Degen.«[274]


Am Sonnewendenabend / waren sie gekommen

An Etzels Hof, des reichen. / Noch selten ward vernommen,

Daß ein König seine Gäste / freundlicher empfing;

Danach er zu Tische / wohlgemut mit ihnen ging.


Ein Wirt bei seinen Gästen / sich holder nie betrug.

Zu trinken und zu essen / bot man da genug;

Was sie nur wünschen mochten, / das wurde gern gewährt.

Man hatte von den Helden / viel große Wunder gehört.


Der mächtige Etzel hatte / an ein Gebäude weit

Viel Fleiß und Müh gewendet / und Kosten nicht gescheut:

Man sah Pallas und Türme, / Gemächer ohne Zahl

In einer weiten Feste / und einen herrlichen Saal.


Den hat er bauen lassen / lang, hoch und weit,

Weil ihn so viel der Recken / heimsuchten jederzeit.

Auch ander Ingesinde, / zwölf reiche Könge hehr,

Und viel der werten Degen / hatt' er zu allen Zeiten mehr


Als je gewann ein König, / von dem ich noch vernahm.

Er lebte so mit Freunden / und Mannen wonnesam.

Gedräng und frohen Zuruf / hatte der König gut

Von manchem schnellen Degen; / drum stand wohl hoch ihm der Mut.

Quelle:
Das Nibelungenlied. Stuttgart 1954, S. 266-275.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

230 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon