Dreißigstes Abenteuer.

[275] Wie Hagen und Volker Schildwacht standen.


Der Tag war nun zu Ende, / es nahte sich die Nacht.

Den reisemüden Recken / war die Sorg erwacht,

Wann sie ruhen sollten / und zu Bette gehn.

Zur Sprache bracht es Hagen: / Bescheid ist ihnen geschehn.[275]


Zu dem Wirte sprach da Gunther: / »Gott lass euchs wohlgedeihn;

Wir wollen schlafen gehn, / mag es mit Urlaub sein.

Wenn ihr das gebietet, / kommen wir morgen fruh.«

Der Wirt entließ die Gäste / wohlgemut zu ihrer Ruh.


Von allen Seiten drängen / man die Gäste sah.

Volker der kühne / sprach zu den Heunen da:

»Wie dürft ihr uns Recken / so vor die Füße gehn?

Und wollt ihr das nicht meiden, / so wird euch übel geschehn.


So schlag ich dem und jenem / so schweren Geigenschlag,

Hat er einen Treuen, / daß ders beweinen mag.

Nun weicht vor uns Recken, / fürwahr, mich dünkt es gut:

Es heißen alle Degen / und haben doch nicht gleichen Mut.«


Als in solchem Zorne / sprach der Fiedelmann,

Hagen der kühne / sich umzuschaun begann.

Er sprach: »Euch rät zum Heile / der kühne Fiedeler.

Geht zu den Herbergen, / ihr in Kriemhildens Heer.


Was habt ihr im Sinne, / es fügt sich nicht dazu:

Wollt ihr was beginnen, / so kommt uns morgen fruh

Und laßt uns Reisemüde / heut in Frieden ruhn.

Ich glaube, niemals werden / es Helden williger tun.«


Da brachte man die Gäste / in einen weiten Saal,

Zur Nachtruh eingerichtet / den Recken allzumal

Mit köstlichen Betten / lang zumal und breit.

Gern schüf ihnen Kriemhild / das allergrößeste Leid.


Schmucker Decken sah man / von Arras da genug

Aus lichthellem Zeuge / und so manchen Überzug

Aus arabischer Seide, / so gut sie mochten sein,

Verbrämt mit goldnen Borten; / die gaben herrlichen Schein.[276]


Viel Bettlaken fand man / von Hermelin gemacht

Und von schwarzem Zobel, / worunter sie die Nacht

Sich Ruhe schaffen sollten / bis an den lichten Tag.

Ein König mit dem Volke / wohl nimmer herrlicher lag.


»O weh des Nachtlagers!« / sprach Geiselher das Kind,

»Und weh meiner Freunde, / die mit uns kommen sind.

Wie gut es meine Schwester / uns auch hier erbot,

Wir gewinnen, fürcht ich, alle / von ihrem Haß den Tod.«


»Nun laßt euer Sorgen,« / sprach Hagen der Degen:

»Ich will heute selber / der Schildwache pflegen

Und getrau euch zu behüten / bis morgen an den Tag:

Seid des ohne Sorge: / so entrinne, wer da mag.«


Da neigten sich ihm alle / und sagten ihm Dank.

Sie gingen zu den Betten. / Da währt' es nicht lang,

Bis in Ruhe lagen / die Helden wohlgetan.

Hagen der kühne / sich da zu waffnen begann.


Da sprach der Fiedelspieler, / Volker der Degen:

»Verschmäht ihrs nicht, Hagen, / so will ich mit euch pflegen

Heut der Schildwache / bis morgen an den Tag.«

Da dankte Volkeren / der Degen gütlich und sprach:


»Nun lohn euch Gott vom Himmel, / viel lieber Volker!

Zu allen meinen Sorgen / wünsch' ich mir niemand mehr

Als nur euch alleine, / befahr ich irgend Not.

Ich will es wohl vergelten, / es verwehr es denn der Tod.«


Da kleideten die beiden / sich in ihr licht Gewand;

Jedweder faßte / den Schild an seine Hand.

Sie gingen aus dem Hause / vor die Türe stehn

Und hüteten der Gäste; / das ist mit Treuen geschehn.[277]


Volker der schnelle / lehnte von der Hand

Seinen Schild den guten / an des Saales Wand.

Dann wandt' er sich zurücke, / wo seine Geige war,

Und diente seinen Freunden; / es ziemt' ihm also fürwahr.


Unter des Hauses Türe / setzt' er sich auf den Stein.

Kühnrer Fiedelspieler / mochte nimmer sein.

Als der Saiten Tönen / ihm so hold erklang,

Die stolzen Heimatlosen, / die sagten Volkern den Dank.


Da tönten seine Saiten, / daß all das Haus erscholl;

Seine Kraft und sein Geschicke, / die waren beide voll.

Süßer und sanfter / zu geigen hub er an:

So spielt' er in den Schlummer / gar manchen sorgenden Mann.


Da sie entschlafen waren, / und Volker das befand,

Da nahm der Degen wieder / den Schild an die Hand

Und ging aus dem Hause / vor die Türe stehn,

Seine Freunde zu behüten / vor denen in Kriemhilds Lehn.


Wohl der Nacht inmitten, / wenn es erst da geschah,

Volker der kühne / einen Helm erglänzen sah

Fernher durch das Dunkel: / die Kriemhild untertan,

Hätten an den Gästen / gerne Schaden getan.


Bevor diese Recken / Kriemhild hatt' entsandt,

Sie sprach: »Wenn ihr sie findet, / so seid um Gott ermahnt,

Daß ihr niemand tötet / als den einen Mann,

Den ungetreuen Hagen; / die andern rühret nicht an.«


Da sprach der Fiedelspieler: / »Nun seht, Freund Hagen,

Uns ziemt diese Sorge / gemeinsam zu tragen.

Gewaffnet vor dem Hause / seh ich Leute stehn:

Soviel ich mag erkennen, / kommen sie uns zu bestehn.«[278]


»So schweigt,« sprach da Hagen, / »laßt sie erst näher her,

Eh sie uns inne werden, / wird ihrer Helme Wehr

Zerschroten mit den Schwertern / von unser beider Hand:

Sie werden Kriemhilden / übel wieder heimgesandt.«


Der Heunenrecken einer, / der gar bald ersah,

Die Türe sei behütet, / wie schnell sprach er da:

»Was wir im Sinne hatten, / kann nun nicht geschehn:

Ich seh den Fiedelspieler / vor dem Hause Schildwacht stehn.


Er trägt auf dem Haupte / einen Helm von lichtem Glanz,

Der ist hart und lauter, / stark dazu und ganz.

Auch loh'n die Panzerringe / ihm, wie das Feuer tut.

Daneben steht auch Hagen: / die Gäste sind in guter Hut.«


Da wandten sie sich wieder. / Als Volker das ersah,

Zu seinem Heergesellen / im Zorn sprach er da:

»Nun laßt mich von dem Hause / zu den Recken gehn:

So frag ich um die Märe / die in Kriemhildens Lehn.«


»Nein, wenn ihr mich lieb habt,« / sprach Hagen entgegen:

»Kämt ihr aus dem Hause, / diese schnellen Degen

Brächten euch mit Schwertern / leicht in solche Not,

Daß ich euch helfen müßte, / wärs aller meiner Freunde Tod.


Wenn wir dann beide / kämen in den Streit,

So möchten ihrer zweie / oder vier in kurzer Zeit

Zu dem Hause springen / und schüfen solche Not

Drinnen an den Schlafenden, / daß wirs bereuten bis zum Tod.«


Da sprach wieder Volker: / »So laßt es nur geschehn,

Daß sie inne werden, / wir haben sie gesehn:

So können uns nicht leugnen, / die Kriemhild untertan,

Daß sie gerne treulos / an den Gästen hätten getan.«[279]


Da rief der Fiedelspieler / den Heunen entgegen:

»Wie geht ihr so bewaffnet, / ihr behenden Degen?

Wollt ihr morden reiten, / ihr Kriemhild untertan,

So nehmt mich zur Hilfe / und meinen Heergesellen an.«


Niemand gab ihm Antwort; / zornig war sein Mut:

»Pfui, feige Bösewichter,« / sprach der Degen gut,

»Im Schlaf uns zu ermorden, / schlicht ihr dazu heran?

Das ward so guten Helden / bisher noch selten getan.«


Bald ward auch die Märe / der Königin bekannt

Vom Abzug ihrer Boten: / wie schwer sie das empfand!

Da fügte sie es anders, / gar grimmig war ihr Mut.

Des mußten bald verderben / viel der Helden kühn und gut.

Quelle:
Das Nibelungenlied. Stuttgart 1954, S. 275-280.
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