Fünfundzwanzigstes Abenteuer.

[227] Wie die Könige zu den Heunen fuhren.


Wie man dort gebahrte, / vernahmt ihr nun genug.

Wohl kamen nie gefahren / in solchem stolzen Zug

So hochgemute Degen / in eines Königs Land;

Sie hatten, was sie wollten, / beides, Waffen und Gewand.


Der Vogt vom Rheine kleidete / aus seinem Heergeleit

Der Degen tausendsechzig, / so gab man uns Bescheid,

Und neuntausend Knechte / zu dem Hofgelag;

Die sie zu Hause ließen, / beweinten es wohl hernach.


Da trug man ihr Geräte / zu Worms übern Hof.

Wohl sprach da von Speier / ein alter Bischof

Zu der schönen Ute: / »Unsre Freunde wollen fahren

Zu dem Gastgebote: / möge Gott sie da bewahren.«


Da sprach zu ihren Söhnen / Ute die Fraue gut:

»Ihr sollet hier verbleiben, / Helden hochgemut.

Geträumt hat mir heute / von ängstlicher Not,

Wie all das Gevögel / in diesem Lande wäre tot.«


»Wer sich an Träume wendet,« / sprach dawider Hagen,

»Der weiß noch die rechte / Kunde nicht zu sagen,

Wie es mög am besten / um seine Ehre stehn:

Es mag mein Herr nur immer / mit Urlaub hin zu Hofe gehn.


Wir wollen gerne reiten / in König Etzels Land:

Da mag wohl Köngen dienen / guter Helden Hand,

So wir da schauen sollen / Kriemhildens Hochzeit.«

Hagen riet die Reise; / doch ward es später ihm leid.[228]


Er hätt' es widerraten, / nur daß Gernot

Mit ungefügen Reden / ihm Spott entgegenbot.

Er mahnt' ihn an Siegfried, / Frau Kriemhildens Mann;

Er sprach: »Darum steht Hagen / die große Reise nicht an.«


Da sprach von Tronje Hagen: / »Nicht Furcht ists, daß ichs tu.

Gebiete ihr es, Helden, / so greift immer zu:

Gern will ich mit euch reiten / in König Etzels Land.«

Bald ward von ihm zerhauen / mancher Helm und Schildesrand.


Die Schiffe standen fertig / zu fahren über Rhein:

Was sie von Kleidern hatten, / trugen sie darein.

Sie fanden viel zu schaffen / bis zur Abendzeit;

Sie huben sich von Hause / zur Reise freudig bereit.


Sie schlugen auf im Grase / sich Hütten und Gezelt

Jenseits des Rheines, / wo das Lager war bestellt.

Da bat noch zu verweilen / Gunthern sein schönes Weib;

Sie herzte nachts noch einmal / des Mannes weidlichen Leib.


Flöten und Posaunen / erschollen morgens fruh

Den Aufbruch anzukündigen: / da griff man bald dazu.

Wem Liebes lag im Arme, / herzte des Freundes Leib.

Mit Leid trennte viele / bald des König Etzel Weib.


Der schönen Ute Söhne, / die hatten einen Mann,

Der kühn war und bieder; / als man die Fahrt begann,

Sprach er zu dem Könige / geheim nach seinem Mut.

Er sprach: »Ich muß wohl trauern, / daß ihr die Hofreise tut.«


Er war geheißen Rumold, / ein Degen auserkannt.

Er sprach: »Wem wollt ihr lassen / Leute nun und Land?

Daß niemand doch euch Recken / wenden mag den Mut!

Die Mären Kriemhildens / dauchten mich niemals gut.«[229]


»Das Land sei dir befohlen / und auch mein Söhnelein;

Und diene wohl den Frauen: / das ist der Wille mein.

Wen du weinen siehest, / dem tröste Herz und Sinn;

Es wird uns nichts zuleide / Kriemhild tun, die Königin.«


Eh man schied von dannen, / beriet der König hehr

Sich mit den höchsten Mannen; / er ließ nicht ohne Wehr

Das Land und die Burgen: / die ihrer sollten pflegen,

Zum Schutze ließ er denen / manchen auserwählten Degen.


Die Rosse standen aufgezäumt / den Mannen wie den Herrn:

Mit minniglichem Kusse / zog da mancher fern,

Dem noch in hohem Mute / lebte Seel und Leib.

Daß mußte bald beweinen / manches weidliche Weib.


Wehruf und Weinen / hörte man genug;

Auf dem Arm die Königin / ihr Kind dem König trug:

»Wie wollt ihr so verwaisen / uns beide auf einmal?

Verbleibt uns zuliebe,« / sprach sein jammerreich Gemahl.


»Frau, ihr sollt nicht weinen / um den Willen mein,

Ihr mögt hier ohne Sorgen / in hohem Mute sein;

Wir kommen bald euch wieder / mit Freuden wohl gesund.«

Sie schieden von den Freunden / minniglich zur selben Stund.


Als man die schnellen Recken / sah zu den Rossen gehn,

Fand man viel der Frauen / in hoher Trauer stehn;

Daß sie auf ewig schieden, / sagt' ihnen wohl der Mut.

Zu großem Schaden kommen, / das tut niemanden gut.


Die schnellen Burgunden / begannen ihren Zug.

Da ward in dem Lande / das Treiben groß genug:

Beiderseits der Berge / meinte Weib und Mann.

Wie auch das Volk gebarte, / sie fuhren fröhlich hindann.[230]


Niblungens Helden / zogen mit ihnen aus

In tausend Halsbergen: / die hatten dort zu Haus

Viel schöne Fraun gelassen / und sahn sie nimmermehr.

Siegfriedens Wunden, / die schmerzten Kriemhilden sehr.


Nur schwach in jenen Zeiten / war der Glaube noch;

Es sang ihnen Messe / ein Kaplan jedoch.

Der kam gesund zurücke, / obwohl aus großer Not;

Die andern blieben alle / dort im Heunenlande tot.


Da lenkten mit der Reise / auf den Mainstrom an

Hinauf durch Ostfranken / die Gunthern untertan.

Hagen war ihr Führer, / der war da wohlbekannt;

Ihr Marschall war Dankwart, / der Held von Burgundenland.


Da sie von Ostfranken / gen Schwanefelde ritten,

Da konnte man sie kennen / an den herzlichen Sitten,

Die Fürsten und die Freunde, / die Helden lobesam.

An dem zwölften Morgen / der König an die Donau kam.


Da ritt von Tronje Hagen / den andern all zuvor:

Er hielt den Nibelungen / zumal den Mut empor.

Bald sprang der kühne Degen / nieder auf den Strand,

Wo er sein Roß in Eile / fest an einem Baume band.


Die Flut war ausgetreten, / die Schifflein verborgen:

Die Nibelungen kamen / da in große Sorgen,

Wie sie hinüber sollten: / das Wasser war zu breit.

Da schwang sich zur Erde / mancher Ritter allbereit.


»Übel,« sprach da Hagen, / »mag dir wohl hier geschehn,

König an dem Rheine; / du magst es selber sehn.

Das Wasser ist ergossen, / zu stark ist seine Flut:

Ich fürchte, wir verlieren / noch heute manchen Recken gut.«[231]


»Hagen, was verweis't ihr mir?« / sprach der König hehr,

»Um eurer Hofzucht willen / erschreckt uns nicht noch mehr.

Ihr sollt die Furt uns suchen / hinüber in das Land,

Daß wir von hinnen bringen / beides, Ross' und Gewand.«


»Mir ist ja noch,« sprach Hagen, / »mein Leben nicht so leid,

Daß ich mich möcht ertränken / in diesen Wellen breit:

Erst soll von meinen Händen / ersterben mancher Mann

In König Etzels Landen, / wozu ich gute Lust gewann.


Bleibt hier am Wasser, / ihr stolzen Ritter gut;

So geh ich und suche / die Fergen bei der Flut,

Die uns hinüber bringen / in Gelfratens Land.«

Da nahm der kühne Hagen / seinen festen Schildesrand.


Er war wohl bewaffnet: / den Schild er bei sich trug;

Sein Helm war aufgebunden / und glänzte hell genug.

Überm Harnisch führt' er / eine breite Waffe mit,

Die an beiden Schärfen / aufs allergrimmigste schnitt.


Er suchte hin und wieder / nach einem Schiffersmann.

Da hört' er Wasser rauschen; / zu lauschen hub er an.

In einem schönen Brunnen / tat das manch weises Weib:

Die gedachten da im Bade / sich zu kühlen den Leib.


Hagen ward ihrer inne, / da schlich er leis heran;

Sie eilten schnell von hinnen, / als sie den Helden sahn.

Daß sie ihm entrannen, / des freuten sie sich sehr.

Da nahm er ihre Kleider / und schadet' ihnen nicht mehr.


Da sprach das eine Meerweib, / Hadburg war sie genannt:

»Hagen, edler Ritter, / wir machen euch bekannt,

Wenn ihr uns dagegen / die Kleider wiedergebt,

Was ihr auf dieser Reise / bei den Heunen erlebt.«[232]


Sie schwammen wie die Vögel / schwebend auf der Flut.

Da daucht ihn ihr Wissen / von den Dingen gut:

So glaubt' er um so lieber, / was sie ihm wollten sagen.

Sie beschieden ihn darüber, / was er begann sie zu fragen.


Sie sprach: »Ihr mögt wohl reiten / in König Etzels Land.

Ich setz euch meine Treue / dafür zum Unterpfand:

Niemals fuhren Helden / noch in ein fremdes Reich

Zu so hohen Ehren: / in Wahrheit, ich sag es euch.«


Der Rede war da Hagen / im Herzen froh und hehr:

Die Kleider gab er ihnen / und säumte sich nicht mehr.

Als sie umgezogen / ihr wunderbar Gewand,

Vernahm er erst die Wahrheit / von der Fahrt in Etzels Land.


Da sprach das andre Meerweib / mit Namen Siegelind:

»Ich will dich warnen, Hagen, / Aldrianens Kind.

Meine Muhme hat dich / der Kleider halb belogen,

Und kommst du zu den Heunen, / so bist du übel betrogen.


Wieder umzukehren, / wohl wär es an der Zeit,

Dieweil ihr kühnen Helden / also geladen seid,

Daß ihr müßt ersterben / in der Heunen Land;

Wer da hinreitet, / der hat den Tod an der Hand.«


Da sprach aber Hagen: / »Ihr trügt mich ohne Not:

Wie sollte das sich fügen, / daß wir alle tot

Blieben bei dem Hofgelag / durch jemandes Groll?«

Da sagten sie dem Degen / die Märe deutlich und voll.


Da sprach die eine wieder: / »Es muß nun so geschehn;

Keiner wird von euch allen / die Heimat wiedersehn

Als der Kaplan des Königs: / das ist uns wohlbekannt,

Der kommt geborgen wieder / heim in König Gunthers Land.«[233]


Ingrimmen Mutes / sprach der kühne Hagen:

»Das ließen meine Herren / schwerlich sich sagen,

Wir verlören bei den Heunen / Leben all und Leib.

Nun zeig uns übers Wasser, / allerweisestes Weib.«


Sie sprach: »Willst du nicht anders, / und soll die Fahrt geschehn,

So siehst du überm Wasser / eine Herberge stehn:

Darin ist eine Ferge / und sonst nicht nah noch fern.«

Weiter nachzufragen, / des begab er nun sich gern.


Dem unmutvollen Recken / rief noch die eine nach:

»Nun wartet, Herr Hagen, / euch ist auch gar zu jach;

Vernehmt noch erst die Kunde, / wie ihr kommt durchs Land.

Der Herr dieser Marke, / der ist Else genannt.


Sein Bruder ist geheißen / Gelfrat der Held,

Ein Herr im Bayerlande; / nicht so leicht es hält,

Wollt ihr durch seine Marke: / ihr mögt euch wohl bewahren

Und sollt auch mit dem Fergen / gar bescheidentlich verfahren.


Der ist so grimmes Mutes, / er läßt euch nicht gedeihn,

Wollt ihr nicht verständig / bei dem Helden sein.

Soll er euch über holen, / so bietet ihm den Sold;

Er hütet dieses Landes / und ist Gelfraten hold.


Und kommt er nicht beizeiten, / so ruft über Flut

Und sagt, ihr heißet Amelrich; / das war ein Degen gut,

Der seiner Feinde willen / räumte dieses Land:

So wird der Fährmann kommen, / wird ihm der Name genannt.«


Der übermütge Hagen / dankte den Frauen hehr

Des Rats und der Lehre; / kein Wörtlein sprach er mehr.

Dann ging er bei dem Wasser / hinauf an den Strand,

Wo er auf jener Seite / eine Herberge fand.[234]


Laut begann zu rufen / der Degen über Flut:

»Nun hol mich über, Ferge,« / sprach der Degen gut,

»So geb ich dir zum Lohne / eine Spange goldesrot;

Mir tut das Überfahren, / das wisse, wahrhaftig not.«


Es brauchte nicht zu dienen / der reiche Schiffersmann:

Lohn nahm er selten / von jemanden an;

Auch waren seine Knechte / zumal von stolzem Mut.

Noch immer stand Hagen / diesseits allein bei der Flut.


Da rief er so gewaltig, / der ganze Strom erscholl

Von des Helden Stärke, / die war so groß und voll:

»Mich, Amelrich hol über; / ich bin es, Elses Mann,

Der vor starker Feindschaft / aus diesen Landen entrann.«


Hoch an seinem Schwerte / er ihm die Spange bot,

Die war schön und glänzte / von lichtem Golde rot,

Daß er ihn überbrächte / in Gelfratens Land.

Der übermütge Ferge / nahm selbst das Ruder an die Hand.


Auch hatte dieser Ferge / habsüchtgen Sinn:

Die Gier nach großem Gute / bringt endlich Ungewinn.

Er dachte zu verdienen / Hagens Gold so rot,

Da litt er von dem Degen / hier den schwertgrimmen Tod.


Der Ferge zog gewaltig / hinüber an den Strand.

Welcher ihm genannt war, / als er den nicht fand,

Da hub er an zu zürnen: / als er Hagen sah,

Mit grimmem Ungestüme / zu dem Helden sprach er da:


»Ihr mögt wohl sein geheißen / mit Namen Amelrich;

Doch seht ihr dem nicht ähnlich, / des ich versehen mich.

Von Vater und von Mutter / war er der Bruder mein:

Nun ihr mich betrogen habt, / so müßt ihr dieshalben sein.«[235]


»Nein! um Gottes willen,« / sprach Hagen dagegen.

»Ich bin ein fremder Recke, / besorgt um andre Degen.

So nehmet denn freundlich / hin meinen Sold

Und fahrt uns hinüber; / ich bin euch wahrhaftig hold.«


Da sprach der Ferge wieder: / »Das kann einmal nicht sein.

Viel der Feinde haben / die lieben Herren mein;

Drum fahr ich keinen Fremden / hinüber in ihr Land.

Wenn euch das Leben lieb ist, / so tretet aus an den Strand.«


»Das tu ich nicht,« sprach Hagen, / »traurig ist mein Mut.

Nehmt zum Gedächtnis / die goldne Spange gut

Und fahrt uns über, tausend Ross' / und auch so manchen Mann.«

Da sprach der grimmge Ferge: / »Das wird nimmer getan.«


Er hob ein starkes Ruder, / mächtig und breit,

Und schlug es auf Hagen / (es ward ihm später leid),

Daß er im Schiffe nieder / strauchelt' auf die Knie.

Solchen grimmen Fergen / fand der von Tronje noch nie.


Noch stärker zu erzürnen / den kühnen Fremdling, schwang

Er seine Ruderstange, / daß sie gar zersprang,

Auf das Haupt dem Hagen; / er war ein starker Mann;

Davon Elses Ferge / bald großen Schaden gewann.


Mit grimmigem Mute / griff Hagen gleich zur Hand

Zur Seite nach der Scheide, / wo er ein Waffen fand:

Er schlug das Haupt ihm nieder / und warf es auf den Grund.

Bald wurden diese Mären / den stolzen Burgunden kund.


Im selben Augenblicke, / als er den Fährmann schlug,

Glitt das Schiff zur Strömung; / das war ihm leid genug.

Eh er es richten konnte, / fiel ihn Ermüdung an.

Da zog am Ruder kräftig / König Gunthers Untertan.[236]


Er versucht' es umzukehren / mit manchem schnellen Schlag,

Bis ihm das starke Ruder / in der Hand zerbrach.

Er wollte zu den Recken / sich wenden an den Strand;

Da hat er keines weiter: / wie bald er es zusammenband


Mit seinem Schildriemen, / einer Borte schmal.

Hin zu einem Walde / wandt er das Schiff zu Tal,

Da fand er seine Herren / sein harren an dem Strand;

Es gingen ihm entgegen / viel der Degen auserkannt.


Mit Gruß ihn wohl empfingen / die edeln Ritter gut,

Sie sahen in dem Schiffe / rauchen noch das Blut

Von einer starken Wunde, / die er dem Fergen schlug:

Darüber mußte Hagen / fragen hören genug.


Als der König Gunther / das heiße Blut ersah

In dem Schiffe schweben, / wie bald sprach er da:

»Wo ist denn, Herr Hagen, / der Fährmann hingekommen?

Eure starken Kräfte haben / ihm wohl das Leben benommen?«


Da sprach er mit Verleugnen: / »Als ich das Schifflein fand

Bei einer wilden Weide, / da löst' es meine Hand.

Ich habe keinen Fergen / heute hier gesehn;

Leid ist auch niemand / von meinen Händen geschehn.«


Da sprach von Burgunden / der König Gernot:

»Heute muß ich bangen / um lieber Freunde Tod,

Da wir keinen Schiffmann / hier am Strome sehn:

Wie wir hinüber kommen, / darob muß ich in Sorgen stehn.«


Laut rief da Hagen: / »Legt auf den Boden her,

Ihr Knechte, das Geräte: / ich gedenke, daß ich mehr

Der allerbeste Ferge war, / den man am Rheine fand:

Ich bring euch hinüber / gar wohl in Gelfratens Land.«[237]


Daß sie desto schneller / kämen über Flut,

Trieb man hinein die Mähren; / ihr Schwimmen ward so gut,

Daß ihnen auch nicht eines / der starke Strom benahm.

Einige trieben ferner, / als sie Ermüdung überkam.


Sie trugen zu dem Schiffe / ihr Gut und ihre Wehr,

Nun einmal ihre Reise / nicht zu vermeiden mehr.

Hagen fuhr sie über: / da bracht er an den Strand

Manchen zieren Recken / in das unbekannte Land.


Zum ersten fuhr er über / tausend Ritter hehr

Und seine sechzig Degen; / dann kamen ihrer mehr:

Neuntausend Knechte, / die bracht er an das Land.

Des Tags war unmüßig / des kühnen Tronjers Hand.


Das Schiff war ungefüge, / stark und weit genug:

Fünfhundert oder drüber / es leicht auf einmal trug

Ihres Volks mit Speise / und Waffen über Flut:

Am Ruder mußte ziehen / des Tages mancher Ritter gut.


Da er sie wohlgeborgen / über Flut gebracht,

Da war der fremden Märe / der schnelle Held bedacht,

Die ihm verkündet hatte / das wilde Meerweib;

Dem Kaplan des Königs ging es / da schier an Leben und Leib.


Bei seinem Weihgeräte / er den Pfaffen fand

Auf dem Heiligtume / sich stützend mit der Hand:

Das kam ihm nicht zugute, / als Hagen ihn ersah;

Der unglückselge Priester, / viel Beschwerde litt er da.


Er schwang ihn aus dem Schiffe / mit jäher Gewalt.

Da liefen ihrer viele: / »Halt, Hagen, halt!«

Geiselher der junge / hub zu zürnen an;

Er wollt es doch nicht lassen, / bis er ihm Leides getan.[238]


Da sprach von Burgunden / der König Gernot:

»Was hilft euch wohl, Herr Hagen / de Kaplanes Tod?

Tät dies anders jemand, / es sollt ihm werden leid.

Was verschuldete der Priester, / daß ihr so wider ihn seid?«


Der Pfaffe schwamm nach Kräften: / er hoffte zu entgehn,

Wenn ihm nur jemand hülfe; / das konnte nicht geschehn:

Denn der starke Hagen, / gar zornig war sein Mut,

Stieß ihn zu Grunde wieder; / das dauchte niemanden gut.


Als der arme Pfaffe / hier keine Hilfe sah,

Da wandt er sich ans Ufer; / Beschwerde litt er da.

Ob er nicht schwimmen konnte, / doch half ihm Gottes Hand,

Daß er wohlgeborgen / hinwieder kam an den Strand.


Da stand der arme Priester / und schüttelte sein Kleid.

Daran erkannte Hagen, / ihm habe Wahrheit,

Unmeidliche, verkündet / das wilde Meerweib.

Er dachte: »Diese Degen / verlieren Leben und Leib.«


Als sie das Schiff entladen / und ans Gestad geschafft,

Was darauf besessen / der Könge Ritterschaft,

Schlug Hagen es in Stücke / und warf es in die Flut:

Das wunderte gewaltig / die Recken edel und gut.


»Bruder, warum tut ihr das?« / sprach da Dankwart.

»Wie sollen wir hinüber / bei unsrer Wiederfahrt,

Wenn wir von den Heunen / reiten an den Rhein?«

Hernach sagt' ihm Hagen, / das könne nimmermehr sein.


Da sprach der Held von Tronje: / »Ich tats mit Wohlbedacht:

Haben wir einen Feigen / in dieses Land gebracht,

Der uns entrinnen möchte / in seines Herzens Not,

Der muß an diesen Wogen / leiden schmählichen Tod.«[239]


Sie führten bei sich einen / aus Burgundenland,

Der ein gar behender Held / und Volker ward genannt.

Der redete da launig / nach seinem kühnen Mut:

Was Hagen je begangen, / den Fiedler dauchte das gut.


Als der Kaplan des Königs / das Schiff zerschlagen sah,

Über das Wasser / zu Hagen sprach er da:

»Ihr Mörder ohne Treue, / was hatt' ich euch getan,

Daß mich unschuldgen Pfaffen / eur Herz zu ertränken sann?«


Zur Antwort gab ihm Hagen: / »Die Rede laßt beiseit:

Mich kümmert, meiner Treue, / daß ihr entkommen seid

Hier von meinen Händen, / das glaubt ohne Spott.«

Da sprach der arme Priester: / »Dafür lob ich ewig Gott.


Ich fürcht euch nun wenig, / des dürft ihr sicher sein:

Fahrt ihr zu den Heunen, / so will ich über Rhein.

Gott laß euch nimmer wieder / nach dem Rheine kommen,

Das wünsch ich euch von Herzen: / schier das Leben habt ihr mir genommen.«


Da sprach König Gunther / zu seinem Kapellan:

»Ich will euch alles büßen, / was Hagen euch getan

Hat in seinem Zorne, / komm ich an den Rhein

Mit meinem Leben wieder: / des sollt ihr außer Sorge sein.


Fahrt wieder heim zu Lande; / es muß nun also sein.

Ich entbiete meine Grüße / der lieben Frauen mein

Und meinen andern Freunden, / wie ich billig soll:

Sagt ihnen liebe Märe, / daß wir noch alle fuhren wohl.«


Die Rosse standen harrend, / die Säumer wohl geladen;

Sie hatten auf der Reise / bisher noch keinen Schaden

Genommen, der sie schmerzte, / als des Königs Kaplan:

Der mußt auf seinen Füßen / sich zum Rheine suchen Bahn.

Quelle:
Das Nibelungenlied. Stuttgart 1954, S. 227-240.
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