Sechsundzwanzigstes Abenteuer.

[240] Wie Dankwart Gelfraten erschlug.


Als sie nun alle waren / gekommen an den Strand,

Da fragte König Gunther: / »Wer soll uns durch das Land

Die rechten Wege weisen, / daß wir nicht irre gehn?«

Da sprach der kühne Volker: / »Laßt mich das Amt nur versehn.«


»Nun haltet an,« sprach Hagen, / »sei's Ritter oder Knecht:

Man soll Freunden folgen, / das bedünkt mich recht.

Eine ungefüge Märe / mach ich euch bekannt:

Wir kommen nimmer wieder / heim in der Burgunden Land.


Das sagten mir zwei Meerfraun / heute morgen fruh,

Wir kämen nimmer wieder. / Nun rat ich, was man tu:

Waffnet euch, ihr Helden, / ihr sollt euch wohl bewahren:

Wir finden starke Feinde / und müssen drum wehrhaft fahren.


Ich wähnt auf Lug zu finden / die weisen Meerfraun;

Sie sagten mir, nicht einer / werde wiederschaun

Die Heimat von uns allen / bis auf den Kapellan;

Drum hätt' ich ihm so gerne / heut den Tod angetan.«


Da flogen diese Mären / von Schar zu Schar einher.

Bleich vor Schrecken wurden / Degen kühn und hehr,

Als sie die Sorge faßte / vor dem herben Tod

Auf dieser Hofreise: / das schuf ihnen wahrlich Not.


Bei Möringen waren / sie über Flut gekommen,

Wo dem Fährmann Elses / das Leben ward benommen.

Da sprach Hagen wieder: / »Die ich mir so gewann

Unterwegs der Feinde, / so greift man ehstens uns an.[241]


Ich erschlug den Fährmann / heute morgen fruh;

Sie wissen nun die Kunde. / Drum eilt und greifet zu,

Wenn Gelfrat und Elsen / heute hier besteht

Unser Ingesinde, / daß es ihnen übel ergeht.


Sie sind gar kühn, ich weiß es, / es wird gewiß geschehn.

Drum laßt nur die Rosse / in sanftem Schritte gehn,

Daß nicht jemand wähne, / wir flöhn vor ihrem Heer.«

»Dem Rate will ich folgen,« / sprach da der junge Geiselher.


»Wer zeigt nun dem Gesinde / die Wege durch das Land?«

Sie sprachen: »Das soll Volker: / dem sind hie wohlbekannt

Die Straßen und die Steige, / dem stolzen Fiedelmann.«

Eh mans von ihm verlangte, / kam er gewaffnet heran.


Der schnelle Fiedelspieler, / den Helm er überband:

Von herrlicher Farbe / war sein Streitgewand.

Am Schaft ließ er flattern / ein Zeichen, das war rot.

Bald kam er mit den Königen / in eine furchtbare Not.


Gewisse Kunde hatte / Gelfrat nun bekommen

Von des Fergen Tode; / da hatt' es auch vernommen

Else der starke: / beiden war es leid.

Sie besandten ihre Helden: / die traf man balde bereit.


Darauf in kurzen Zeiten, / nun hört mich weiter an,

Sah man zu ihnen reiten, / denen Schade war getan,

In starkem Kriegszuge / ein ungefüges Heer:

Wohl siebenhundert stießen / zu Gelfrat oder noch mehr.


Als das den grimmen Feinden / nachzuziehn begann,

Die Herren, die es führten, / huben zu jagen an

Den kühnen Gästen hinterdrein. / Sie wollten Rache haben:

Da müßten sie der Freunde / hernach noch manchen begraben.[242]


Hagen von Tronje / richtete das ein

(Wie konnte seiner Freunde / ein beßrer Hüter sein?),

Daß er die Nachhut hatte / und die ihm untertan

Mit Dankwart seinem Bruder; / das war gar weislich getan.


Ihnen war der Tag zerronnen, / den hatten sie nicht mehr.

Er bangte vor Gefahren / für seine Freunde sehr.

Sie ritten unter Schilden / durch der Bayern Land:

Darnach in kurzer Weile / die Helden wurden angerannt.


Beiderseits der Straße / und hinter ihnen her

Vernahm man Hufe schlagen; / die Haufen eilten sehr.

Da sprach der kühne Dankwart: / »Gleich fallen sie uns an:

Bindet auf die Helme, / das dünkt mich rätlich getan.«


Sie hielten ein mit Reiten, / als es mußte sein:

Da sahen sie im Dunkel / der lichten Schilde Schein.

Nicht länger stille schweigen / mochte da Herr Hagen:

»Wer verfolgt uns auf der Straße?« / Das mußte Gelfrat ihm sagen.


Da sprach zu ihm der Markgraf / aus der Bayern Land:

»Wir suchen unsre Feinde, / denen sind wir nachgerannt.

Ich weiß nicht, wer mir heute / meinen Fergen schlug:

Das war ein schneller Degen; / mir ist leid um ihn genug.«


Da sprach von Tronje Hagen: / »War der Ferge dein?

Er wollt uns nicht fahren; / alle Schuld ist mein:

Ich erschlug den Recken; / fürwahr, es tat mir not:

Ich hatte von dem Degen / schier selbst den grimmigen Tod.


Ich bot ihm zum Lohne / Gold und Gewand

Daß er uns überführe, / Held, in euer Land.

Darüber zürnt' er also, / daß er nach mir schlug

Mit starker Ruderstange: / da ward ich grimmig genug.[243]


Ich griff nach Schwerte / und wehrte seinem Zorn

Mit einer schweren Wunde: / da war der Held verlorn.

Ich steh euch hier zur Sühne, / wie es euch dünke gut.«

Da ging es an ein Streiten: / sie hatten zornigen Mut.


»Ich wußte wohl,« sprach Gelfrat, / »als hier mit dem Geleit

Gunther zog vorüber, / uns geschäh ein Leid

Von Hagens Übermute. / Nun büßt ers mit dem Leben:

Für des Fergen Ende / soll er selbst hier Bürgschaft geben.«


Über die Schilde neigten / da zum Stich den Speer

Gelfrat und Hagen; / sie zürnten beide schwer.

Dankwart und Else / zusammen herrlich ritten:

Sie erprobten, wer sie waren: / da wurde grimmig gestritten.


Wer je versuchte kühner / sich und die Gunst des Glücks?

Von einem starken Stoße / sank Hagen hinterrücks

Von der Mähre nieder / durch Gelfratens Hand.

Der Brustriem war gebrochen: / so ward ihm Fallen bekannt.


Man hört' auch beim Gesinde / krachender Schäfte Schall.

Da erholte Hagen / sich wieder von dem Fall,

Den er auf das Gras getan / von des Gegners Speer.

Da zürnte der von Tronje / wider Gelfraten sehr.


Wer ihnen hielt die Rosse, / das ist mir unbekannt.

Sie waren aus den Sätteln / gekommen auf den Sand,

Hagen und Gelfrat: / nun liefen sie sich an.

Ihre Gesellen halfen, / daß ihnen Streit ward kundgetan.


Wie heftig auch Hagen / zu Gelfraten sprang,

Ein Stück von Ellenlänge / der edle Markgraf schwang

Ihm vom Schilde nieder; / das Feuer stob hindann.

Da wäre schier erstorben / König Gunthers Untertan.[244]


Er rief mit lauter Stimme / Dankwarten an:

»Hilf mir, lieber Bruder! / ein schneller starker Mann

Hat mich hier bestanden: / der läßt mich nicht gedeihn.«

Da sprach der kühne Dankwart: / »So will ich denn Schiedsmann sein.«


Da sprang der Degen näher / und schlug ihm solchen Schlag

Mit einer scharfen Waffe, / daß er tot da lag.

Else wollte Rache / nehmen für den Mann:

Doch er und sein Gesinde / schied mit Schaden hindann.


Sein Bruder war erschlagen, / selber ward er wund;

Wohl achtzig seiner Degen / wurden gleich zur Stund

Des grimmen Todes Beute: / da mußte wohl der Held

Günthers Mannen räumen / in geschwinder Flucht das Feld.


Als die vom Bayerlande / wichen aus dem Wege,

Man hörte nachhallen / die furchtbaren Schläge.

Da jagten die von Tronje / ihren Feinden nach;

Die es nicht büßen wollten, / die hatten wenig Gemach.


Da sprach beim Verfolgen / Dankwart der Degen:

»Kehren wir nun wieder / zurück auf unsern Wegen

Und lassen wir sie reiten: / sie sind vom Blute naß.

Wir eilen zu den Freunden: / in Treuen rat ich das.«


Als sie hinwieder kamen, / wo der Schade war geschehn,

Da sprach von Tronje Hagen: / »Helden, laßt uns sehn,

Wen wir hier vermissen, / oder wer uns verlorn

Hier in diesem Streite / ging durch Gelfrats Zorn.«


Sie hatten vier verloren; / der Schade ließ sich tragen:

Sie waren wohl vergolten; / dagegen aber lagen

Deren vom Bayerlande / mehr als hundert tot.

Den Tronejern waren / von Blut die Schilde trüb und rot.[245]


Ein wenig brach aus Wolken / des hellen Mondes Licht;

Da sprach wieder Hagen: / »Hört, berichtet nicht

Meinen lieben Herren, / was hier von uns geschah:

Bis zum Morgen komme / ihnen keine Sorge nah.«


Als zu ihnen stießen, / die da kamen von dem Streit,

Da klagte das Gesinde / über Müdigkeit:

»Wie lange sollen wir reiten?« / fragte mancher Mann.

Da sprach der kühne Dankwart: / »Wir treffen keine Herberg an.


Ihr müßt alle reiten / bis an den hellen Tag.«

Volker, der schnelle, / der des Gesindes pflag,

Ließ den Marschall fragen: / »Wo kehren wir heut ein?

Wo rasten unsre Pferde / und die lieben Herren mein?«


Da sprach der kühne Dankwart: / »Ich weiß es nicht zu sagen.

Wir können uns nicht ruhen, / bis es beginnt zu tagen;

Wo wir es dann finden, / legen wir uns ins Gras.«

Als sie die Kunde hörten, / wie leid war etlichen das!


Sie blieben unverraten / vom heißen Blute rot,

Bis daß die Sonne / die lichten Strahlen bot

Dem Morgen über Berge, / wo es der König sah,

Daß sie gestritten hatten: / sehr im Zorne sprach er da:


»Wie nun denn, Freund Hagen? / Verschmähtet ihr wohl das,

Daß ich euch Hilfe brächte, / als euch die Ringe naß

Wurden von dem Blute? / Wer hat euch das getan?«

Da sprach er: »Else tat es, / der griff nächten uns an.


Seines Fergen wegen / wurden wir angerannt.

Da erschlug Gelfraten / meines Bruders Hand.

Zuletzt entrann uns Else, / es zwang ihn große Not:

Ihnen hundert, uns nur viere / blieben da im Streite tot.«[246]


Wir können euch nicht melden, / wo man die Nachtruh fand.

All den Landleuten / ward es bald bekannt,

Der edeln Ute Söhne / zögen zum Hofgelag.

Sie wurden wohl empfangen / dort zu Passau bald hernach.


Der werten Fürsten Oheim, / der Bischof Pilgerin,

Dem wurde wohl zumute, / als seine Neffen ihn

Mit so viel der Recken / besuchten da im Land:

Daß er sie gerne sähe, / ward ihnen balde bekannt.


Sie wurden wohl empfangen / von Freunden vor dem Ort.

Nicht all verpflegen mochte / man sie in Passau dort:

Sie mußten übers Wasser, / wo Raum sich fand und Feld:

Da schlugen auf die Knechte / Hütten und reich Gezelt.


Sie mußten da verweilen / einen vollen Tag

Und eine Nacht darüber. / Wie schön man sie verpflag!

Dann ritten sie von dannen / in Rüdigers Land;

Dem kamen auch die Mären: / da ward ihm Freude bekannt.


Als die Wegemüden / Nachtruh genommen,

Und sie dem Lande waren / näher gekommen,

Sie fanden auf der Marke / schlafen einen Mann,

Dem von Tronje Hagen / ein starkes Waffen abgewann.


Eckewart geheißen / war dieser Ritter gut.

Der gewann darüber / gar traurigen Mut,

Daß er verlor das Waffen / durch der Helden Fahrt.

Rüdgers Grenzmarke, / die fand man übel bewahrt.


»O weh mir dieser Schande,« / sprach da Eckewart.

»Schwer muß ich beklagen / der Burgunden Fahrt.

Als ich verlor Siegfrieden, / hub all mein Kummer an:

O weh, mein Herr Rüdiger, / wie hab ich wider dich getan!«[247]


Wohl hörte Hagen / des edeln Recken Not:

Er gab das Schwert ihm wieder, / dazu sechs Spangen rot.

»Die nimm dir, Held, zu Lohne, / willst du hold mir sein:

Du bist ein kühner Degen, / lägst du hier noch so allein.«


»Gott lohn euch eure Spangen,« / sprach da Eckewart;

»Doch muß ich sehr beklagen / zu den Heunen eure Fahrt.

Ihr erschlugt Siegfrieden; / hier trägt man euch noch Haß:

Daß ihr euch wohl behütet, / in Treuen rat ich euch das.«


»Nun mög uns Gott behüten,« / sprach Hagen entgegen.

»Keine andre Sorge / haben diese Degen

Als um die Herberge, / die Fürsten und ihr Lehn,

Wo wir in diesem Lande / heute Nachtruh sollen sehn.


Vermüdet sind die Rosse / uns auf den fernen Wegen,

Die Speise gar zerronnen,« / sprach Hagen der Degen:

»Wir findens nicht zu Kaufe: / es wär ein Wirt uns not,

Der uns heute gäbe / in seiner Milde das Brot.«


Da sprach wieder Eckewart: / »Ich zeig euch solchen Wirt,

Daß niemand euch im Hause / so gut empfangen wird

Irgend in den Landen, / als hier euch mag geschehn,

Wenn ihr schnellen Degen / wollt zu Rüdigern gehn.


Der Wirt wohnt an der Straße, / der beste allerwärts,

Der je ein Haus besessen. / Milde gebiert sein Herz,

Wie das Gras mit Blumen / der lichte Maimond tut,

Und soll er Helden dienen, / so ist er froh und wohlgemut.«


Da sprach der König Gunther: / »Wollt ihr mein Bote sein,

Ob uns behalten wolle / bis an des Tages Schein

Mein lieber Freund Rüdiger / und die mir untertan?

Das will ich stets verdienen, / so gut ich irgend nur kann.«[248]


»Der Bote bin ich gerne,« / sprach da Eckewart.

Mit gar gutem Willen / erhob er sich zur Fahrt

Rüdigern zu sagen, / was er da vernommen.

Dem war in langen Zeiten / so liebe Kunde nicht gekommen.


Man sah zu Bechlaren / eilen einen Degen,

Den Rüdger wohl erkannte; / er sprach: »Auf diesen Wegen

Kommt Eckewart in Eile, / Kriemhildens Untertan.«

Er wähnte schon, die Feinde / hätten ihm ein Leid getan.


Da ging er vor die Pforte, / wo er den Boten fand.

Der nahm sein Schwert vom Gurte / und legt' es aus der Hand.

Er sprach zu dem Degen: / »Was habt ihr vernommen,

Daß ihr so eilen müsset? / hat uns jemand was genommen?«


»Geschadet hat uns niemand,« / sprach Eckewart zuhand;

»Mich haben drei Könige / her zu euch gesandt,

Gunther von Burgunden, / Geisler und Gernot;

Jeglicher der Recken / euch seine Dienste her entbot.


Dasselbe tut auch Hagen, / Volker auch zugleich,

Mit Fleiß und rechter Treue; / dazu bericht ich euch,

Was des Königs Marschall / euch durch mich entbot:

Es sei den guten Degen / eure Herberge not.«


Mit lachendem Munde / sprach da Rüdiger:

»Nun wohl mir dieser Märe, / daß die Könge hehr

Meinen Dienst verlangen: / dazu bin ich bereit.

Wenn sie ins Haus mir kommen, / des bin ich höchlich erfreut.«


»Dankwart der Marschall / hat euch kund getan,

Wer euch zu Hause / noch heute zieht heran:

Sechzig schneller Recken / und tausend Ritter gut

Mit neuntausend Knechten.« / Da ward ihm fröhlich zumut.[249]


»Wohl mir dieser Gäste,« / sprach da Rüdiger,

»Daß mir zu Hause kommen / diese Recken hehr,

Denen ich noch selten / hab einen Dienst getan.

Entgegen reitet ihnen, / sei's Freund oder Untertan.«


Da eilte zu den Rossen / Ritter so wie Knecht:

Was sie der Herr geheißen, / das dauchte alle recht.

Sie brachten ihre Dienste / um so schneller dar.

Noch wußt es nicht Frau Gotlind, / die in ihrer Kammer war.

Quelle:
Das Nibelungenlied. Stuttgart 1954, S. 240-250.
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