Otkel verwundet Gunnar.

[87] Auf dem Hofe Dal östlich vom Markarfluß, dort wo derselbe sich südwärts wendet, wohnte ein Bauer namens Runolf, welcher ein Sohn von Ulf Örgode, dem Bruder von Valgard dem Falschen war. Auf dem Rückwege vom Alting kehrte er bei Otkel auf Kirkeböj ein. Beim Abschied schenkte ihm Otkel einen neunjährigen Ochsen von schwarzer Farbe und zum Entgelt lud Runolf Otkel ein, ihn zu besuchen, wann er wolle. Erst im nächsten Frühling gedachte Otkel der Einladung zu folgen und er nahm Skamkel, seine beiden Brüder und vier andere Männer mit sich. Otkel besaß zwei Pferde, hellgelb von Farbe mit schwarzer Mähne und Schweif und schwarzem Streif längs dem Rückgrat. Es waren die besten Reitpferde in dem Gau und dieselben hingen so sehr[87] an einander, daß das eine stets dem andern folgte. Auf dem einen derselben ritt Otkel, das andere aber lief ledig nebenher. Der Weg führte an dem Berghang am Markarflusse entlang und die Furt, wo Otkel denselben überschreiten mußte, lag in der Nähe von Hlidarende. Während Otkel an Gunnar's Feldern vorüberritt und seinen Begleitern voraus war, wurden beide Pferde scheu und jagten den Berghang hinan. Gunnar befand sich gerade auf seinem Acker und säete – Gerste wird er gesäet haben, denn andres Korn konnte nicht gedeihen auf Island; – seine Axt und seinen Mantel hatte er neben sich auf die Erde gelegt. Otkel sprengte gewaltsamer einher, als ihm selbst lieb war, und Gunnar stand gerade zur Erde gebeugt, so daß keiner den andern bemerkte. Erst in dem Augenblick, als Otkel unmittelbar vor Gunnar sich befand, richtete sich dieser empor. Otkel ritt ihn daher um und sein Sporn riß Gunnar eine tiefe Wunde an seinem einen Ohr, so daß das Blut sogleich hervorströmte. Gleich darauf kamen Otkel's Begleiter heran. Gunnar rief sie zu Zeugen auf, wie unziemlich Otkel ihn behandle. »Zuerst ladest Du mich vor Gericht,« sprach er, »jetzt reitest Du mich um, trittst mich mit Füßen und verwundest mich blutig.« Skamkel ergriff sogleich das Wort und sagte: »Der Schade ist nicht so groß, Bauer, wenngleich Du jetzt fast ebenso zornig bist, als auf dem Alting, wo Du mit der Hellebarde in der Hand dastandest und das Urtheil sprachst.« »Beim nächsten Mal, wo ich Dich finde, wirst Du die Hellebarde kosten,« versetzte Gunnar, und damit schieden sie von einander. Gunnar ging heim und erzählte niemandem, was geschehen war, und keiner verfiel auf den Gedanken, daß die Wunde am Ohr ihm von einem zweiten geschlagen worden sei. Einst besprach er indessen die Angelegenheit mit seinem Bruder Kulskjäg und auf dessen Anrathen erzählte er auch seinen Nachbarn davon, da es ihm nicht räthlich erschien, wenn niemand darum wisse, falls größere Dinge darauf folgen sollten. Otkel aber war unterdessen nach Dal gekommen und Skamkel erzählte Runolf, was zwischen ihnen und Gunnar sich ereignet habe. Ein Mann fragte zufällig, wie Gunnar sich[88] dabei benommen habe. Skamkel erwiderte: »Wäre es ein geringer Mann gewesen, dann hätte man ohne Scheu gesagt, er habe geweint.« »Eine üble Rede ist das,« fiel Runolf ein, »und das wirst Du erfahren bei Eurem nächsten Zusammentreffen, daß Weinen und Klagen nicht Gunnar's Sache ist. Drum können wir uns Glück wünschen, wenn nicht bessere Männer für Deine Bosheit büßen müssen.« Darauf wandte er sich an Otkel und sagte: »Rathsam erscheint es mir jetzt, daß ich Euch das Geleit gebe auf der Heimfahrt, denn mir wird Gunnar kein Leid thun.« Otkel aber wollte das Anerbieten nicht annehmen und sagte, er werde den Fluß in seinem unteren Lauf überschreiten, so daß er nicht in die Nähe von Hlidarende komme. Nachdem er eine Woche auf Dal gewesen war, beschloß er heimzukehren. Beim Abschied gab ihm Runolf gute Gaben und sagte, sie würden sich nie wieder sehen. Otkel bat ihn, in diesem Falle sich seines Sohnes anzunehmen.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 87-89.
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