Die Geschichte des dritten Bettelmönches

[94] Wisse, o Herrin, auch ich bin ein König und Sohn eines Königs, und mein Name ist: Adschib, Sohn des Khasib. Und als mein Vater starb, folgte ich ihm auf dem Throne; und ich herrschte und handelte recht an all meinen Untertanen. Ich liebte Fahrten zur See, denn meine Hauptstadt lag an der Küste, vor der sich weit und breit das Meer erstreckte; und ganz in der Nähe lagen viele große Inseln mit Befestigungen und Besatzungen mitten im[94] Meer. Meine Flotte aber umfaßte fünfzig Kauffahrer und ebensoviele Vergnügungsboote, und hundertundfünfzig Segel, die für den heiligen Krieg mit den Ungläubigen ausgerüstet waren. Und es geschah, daß ich Lust verspürte, mich auf benannten Inseln zu vergnügen, und ich schiffte mich ein mit zehn Kielen, und ich nahm mit mir meine Leute und Lebensunterhalt für eine Reise von zwanzig Tagen. Aber eines Nachts erhielten wir widrigen Wind, und das Meer schwoll in ungeheuren Wogen gegen uns empor; die Wellen warfen uns wild umher, und dichtes Dunkel lagerte sich um uns. Wir gaben uns verloren, und ich sagte: ›Wer in Gefahr seine Tage bringt, verdient kein Lob, auch wenn es gelingt.‹ Und wir beteten zu Allah und flehten ihn an; aber die Stöße des Sturmes hörten nicht auf, gegen uns zu wüten, noch die Wogen, uns zu peitschen, bis der Morgen anbrach; dann sank der Wind, und das Meer beruhigte sich zu Spiegelglätte, und die Sonne beschien uns in freundlicher Klarheit. Und wir erreichten eine Insel, auf der wir landeten und ein wenig Speise kochten und herzhaft aßen und ein paar Tage ruhten. Und dann stachen wir wieder in See und segelten weitere zwanzig Tage, und das Meer wurde weiter, und das Land schwand zusammen. Alsbald aber lief uns die Strömung zuwider, und wir gerieten in fremde Wasser, wo der Schiffsführer seine Richtung verlor und völlig ratlos war; da sagten wir zu dem Wächter: ›Steig in den Mastkorb und halte die Augen offen.‹ Und er kletterte den Mast hinauf und spähte aus und rief: ›O Herr, ich sehe auf Steuerbord etwas Dunkles, einem Fisch gleich, der an der Oberfläche des Meeres schwimmt, und auf Backbord einen Schein mitten auf dem Wasser, der bald schwarz ist und bald hell.‹ Und als der Schiffsführer die Worte des Wächters hörte, schleuderte er seinen Turban auf das Deck und riß sich den Bart und schlug sich ins Gesicht und rief: ›Wahrlich, keine gute Nachricht! wir alle sind des Todes und keiner wird errettet werden.‹ Und er begann zu weinen, und wir alle weinten, dieweil er weinte, und auch um unser Leben; und ich sagte: ›O Kapitän, sage uns, was der Wächter sah.‹ ›O mein Fürst,‹ erwiderte er, ›so wisse, daß wir den Kurs verloren in der Sturmnacht, und ihr folgten zwei Tage der Windstille, so daß wir keine[95] Fahrt mehr machten; und von der Nacht an sind wir elf Tage lang in die Irre gefahren, und kein Wind brachte uns auf den rechten Kurs zurück. Morgen werden wir mit dem Abend zu einem Berge kommen aus schwarzem Stein, der heißt der Magnetberg; denn zu ihm führen die Strömungen uns, ob wir wollen oder nicht. Sobald wir aber unter ihm in Lee sind, werden des Schiffes Flanken sich auftun, und jeder Nagel aus jeder Planke wird herausfliegen und sich an den Berg anheften; denn Allah, der Allmächtige, hat seinen Stein mit einer geheimnisvollen Kraft und einer Liebe zum Eisen begabt, durch die alles, was Eisen ist, auf ihn zufliegt; und an diesem Berge hängt viel Eisen, wie viel, das vermag niemand zu sagen, außer dem Höchsten; und es stammt aus den vielen Schiffen, die dort seit uralten Tagen verloren gingen. Der helle Fleck auf dem Gipfel aber ist eine Kuppel aus gelbem, andalusischem Messing, gewölbt auf zehn Säulen; und oben darauf steht ein Reiter, der ein Pferd aus Kupfer reitet und in der Hand eine Lanze aus Messing hält; und auf seiner Brust hängt eine Tafel aus Blei, in die Namen und Talismane gegraben sind.‹ Und alsbald fuhr er fort: ›Und, o König, niemand anders vernichtet die Menschen als jener Reiter auf dem Roß, und nicht eher wird jener Zauber gebrochen, als bis er vom Rosse stürzt.‹ Und der Schiffsführer, o meine Herrin, weinte in bitterem Weinen, und wir waren einer und alle des Todes gewiß und boten ein jeder seinem Freund Lebewohl und vertrauten ihm unser Testament, für den Fall, daß etwa er gerettet würde. Und wir schliefen die Nacht nicht, und am Morgen waren wir dem Magnetberg weit näher gekommen, und die Wasser trieben uns heftig auf ihn zu. Und als die Schiffe dicht unter ihm waren, klafften sie auseinander, und die Nägel flogen heraus, und alles Eisen in ihnen suchte den Berg und heftete sich wie ein Netzwerk an ihn; also daß wir alle mit Schluß des Tages rings um den Berg in den Wogen rangen. Einige retteten sich, aber mehr ertranken, und selbst, die entkamen, kannten einander nicht mehr, so betäubt waren sie vom Peitschen der Wellen und vom Rasen der Winde. Ich aber, o meine Herrin, erhielt durch Allah (Sein Name sei erhoben!) mein Leben, damit ich erdulden konnte, was er mir an Mühsal,[96] Unheil und Not bestimmte; denn ich kletterte auf eine Planke eines der Schiffe, und Wind und Wasser warfen sie an den Fuß des Berges. Und dort fand ich einen gangbaren Pfad, der in Stufen in den Felsen geschnitten war und zum Gipfel führte; und ich rief den Namen Allahs, des Allmächtigen, an. Und nachdem ich den Namen Allahs, des Allmächtigen, angerufen und ihn voll Leidenschaft angefleht hatte, begann ich den Aufstieg, indem ich mich anklammerte an die Stufen und Kerben, die in den Stein gehauen waren; und langsam kam ich empor. Und Allah beruhigte die Winde und half mir beim Aufstieg, so daß ich den Gipfel erreichte. Dort aber fand ich keine Ruhestätte als die Kuppel, und ich trat ein und freute mich in höchster Freude meiner Errettung; und ich nahm die Wuzu-Waschung1 vor und sandte mit drei Verbeugungen ein Dankgebet zu Allah empor. Und ich schlief ein im Schatten der Kuppel und hörte in meinem Traume eine geheimnisvolle Stimme, die sprach: ›O Sohn des Khasib! wenn du aus deinem Schlafe erwachst, so grabe zu deinen Füßen, und du wirst einen Bogen aus Messing finden und drei Pfeile aus Blei, beschrieben mit Talismanen und Zauberformeln. Und nimm den Bogen und schieße die Pfeile nach dem Reiter, und befreie die Menschheit von dieser schlimmen Not. Und wenn du ihn beschossen hast, so wird er ins Meer hinabstürzen und das Roß wird dir zu Füßen fallen: und vergrabe es an Stelle des Bogens. Dann wird das Meer aufschwellen und steigen, bis es gleich steht mit dem Bergesgipfel, und erscheinen wird ein Boot mit einem Mann aus Messing (einem anderen, als den du schossest), der ein Paar Ruder in der Hand hält. Er wird zu dir kommen, und du steige ein, aber hüte dich, ›Bismillah‹ zu sagen oder sonst den Namen Allahs, des Allmächtigen, zu nennen. Er wird dich rudern zehn Tage lang, bis er dich bringt zu gewissen Inseln, die da die Inseln der Rettung heißen, und von dort wirst du leicht einen Hafen erreichen und solche finden, die dich in deine Heimat bringen; und all dies wird sich erfüllen, so du den Namen Allahs nicht anrufst.‹ Und ich fuhr auf aus meinem Schlaf in Freude und Entzücken; und ich eilte, dem Geheiß der geheimnisvollen Stimme[97] zu gehorchen, und fand den Bogen und die Pfeile, und ich schoß nach dem Reiter, und er stürzte ins Meer hinab, während das Roß mir zu Füßen fiel; und ich nahm und begrub es. Und alsbald brandete das Meer auf und stieg, bis es den Gipfel des Berges erreichte; und ich hatte nicht lange zu warten, bis ich ein Boot von der hohen See her auf mich zukommen sah. Und ich dankte Allah, und als das Boot näher kam, sah ich darin einen Mann aus Messing, und auf seiner Brust eine Tafel aus Blei, beschrieben mit Talismanen und Zauberformeln; und ohne ein Wort zu sprechen, stieg ich zu ihm ein. Und der Ferge ruderte mit mir fort, und ruderte den ersten Tag und den zweiten und den dritten, und im ganzen zehn volle Tage, bis ich die Inseln der Rettung in Sicht bekam; und ich freute mich in höchster Freude und rief im Übermaß des Glückes aus: ›Allah! Allah! Im Namen Allahs! Es gibt keinen Gott als den Gott, und Allah ist allmächtig.‹ Da kenterte alsbald das Boot und warf mich ins Meer; und es richtete sich wieder auf und versank in die Tiefe. Nun bin ich ein guter Schwimmer, und so schwamm ich den ganzen Tag hindurch bis zum Einbruch der Nacht; meine Arme und Schultern aber waren taub vor Ermüdung, und ich meinte des Todes zu sein; und so legte ich denn das Bekenntnis ab. Immer noch schwoll das Meer unter der Gewalt der Winde, und plötzlich kam eine Welle, so hoch wie ein Hügel; und sie hob mich hoch in die Luft und warf mich in langem Wurf auf trockenes Land, damit sein Wille erfüllet würde. Und ich kroch den Strand hinauf und zog mir das Gewand aus und preßte es und breitete es hin; und dann legte ich mich nieder und schlief die ganze Nacht hindurch. Und als es Tag war, zog ich meine Kleider an und stand auf, um auszuspähen, wohin ich mich wenden sollte. Und ich kam zu einem Dickicht niedriger Bäume, und als ich es umging, sah ich, daß ich auf einem Inselchen stand, einer bloßen Hallig, umgürtet auf allen Seiten vom Ozean; und ich sprach zu mir selber: ›Was mich aus einer großen Not befreit, wirft mich in eine noch größere hinein!‹ Aber als ich noch nachsann und mich nach dem Tode sehnte, siehe, da sah ich in der Ferne ein Schiff, das auf das Land zuhielt; und ich erstieg einen Baum und verbarg mich in den Zweigen. Und das[98] Schiff warf Anker und landete zehn Sklaven, Mohren, die eiserne Hacken und Körbe trugen und landeinwärts gingen bis zur Mitte der Insel. Dort aber gruben sie tief in das Erdreich, bis sie eine metallne Platte aufdeckten, die sie hoben; es war aber eine Falltür. Und dann kehrten sie auf das Schiff zurück und holten Mehl und Brot, Honig und Früchte, geklärte Butter, Lederschläuche mit Getränken, und viele Haushaltsdinge; und auch Möbel, Tafelgeschirr und Spiegel, Decken, Teppiche und alles, was man braucht, um eine Wohnung auszustatten; und sie zogen hin und her und stiegen durch die Falltür hinab, bis sie alles darin hatten, was im Schiff gewesen war. Und die Sklaven kehrten an Bord zurück und holten die reichsten Gewänder, und in ihrer Mitte kam ein alter Mann, von dem nur noch wenig übrig war, denn die Zeit war hart mit ihm umgegangen, und was von ihm blieb, war nur ein Skelett, gehüllt in einen Lumpen aus blauem Stoff, durch den von Ost und West der Wind hinpfiff.

Und der Schaikh2 hielt an der Hand einen Jüngling, der in der Form der Schönheit geknetet war, ganz Anmut und vollendete Grazie: so schön, daß er verdiente zum Sprichwort zu werden; denn er war wie ein grüner Zweig, oder wie das zarte Junge des Rehs, und er entzückte jedes Herz durch seine Lieblichkeit.

Und sie gingen weiter, o meine Herrin, bis sie alle hinabgestiegen waren durch die Falltür; und eine Stunde lang erschienen sie nicht wieder; schließlich aber kamen die Sklaven und der Greis zurück, doch ohne den Jüngling; und sorgfältig schlossen sie die Falltür wieder wie zuvor, und sie kehrten zum Schiffe zurück und setzten Segel und schwanden mir aus den Augen. Und als sie fort waren, stieg ich herab vom Baum und ging zu der Stelle, die ich sie wieder hatte zuschütten sehen, und ich scharrte die Erde beiseite; und ich faßte mich in Geduld, bis es vollbracht war. Und ich erblickte die Falltür; sie war aus Holz und nach Gestalt und Größe wie ein Mühlstein; und als ich sie aufhob, sah ich darunter eine gewundene steinerne Treppe. Und ich staunte und stieg die Stufen hinab, bis zur letzten, und fand eine schöne Halle, behangen mit allerlei Seidenstoffen und Teppichen,[99] und in ihr saß auf einem erhöhten Lager, gelehnt gegen ein rundes Kissen, in der Hand einen Fächer und vor sich Blumen und Sträuße von süßduftenden Kräutern, der Jüngling; aber er war allein, und keine Seele war bei ihm in dem großen Gewölbe. Und als er mich sah, erbleichte er; ich aber grüßte ihn höflich und sagte: ›Sei ruhigen Herzens und unbesorgt; nichts Arges soll dir nahen; ich bin ein Mensch wie du und ein König, und das Schicksal sendet mich, um dir Gesellschaft zu leisten und dich in deiner Einsamkeit aufzuheitern. Aber jetzt erzähle mir deine Geschichte, und weshalb du so verlassen unter der Erde wohnst?‹ Und als er sicher war, daß er in mir einen Menschen sah, und keinen Dschinni, freute er sich, und seine Farbe kehrte zurück; und er ließ mich näher treten und sagte: ›O mein Bruder, meine Geschichte ist seltsam, und sie ist diese. Mein Vater ist ein Juwelenhändler von großem Reichtum, und weiße und schwarze Sklaven reisen für ihn auf Schiffen und Kamelen und treiben Handel mit den fernsten Städten; aber er wurde nicht mit einem Kinde gesegnet, nicht einmal mit einem einzigen. Nun aber träumte er eines Nachts einen Traum, ihm werde ein Sohn gewährt werden, doch nicht lange solle er leben. Und als die Zeit erfüllet war, wurde ich geboren; und mein Vater freute sich und gab ein Gastmahl und rief die Nachbarn zusammen und speiste die Fakire und die Armen, weil er am Ende seiner Tage noch mit einem Kinde gesegnet wurde. Und er versammelte die Sternkundigen und Sterndeuter, die da die Stellungen der Planeten kannten, und die Zauberer und Weisen der Zeit, und die Männer, gelehrt in Horoskopen und Konstellationen; und sie entwarfen das Schema meiner Geburt und sagten zu meinem Vater: ›Dein Sohn wird bis zu seinem fünfzehnten Jahre leben, aber in seinem fünfzehnten Jahre droht ihm Gefahr; wenn er sie übersteht, so wird er bis in ein hohes Alter hinein am Leben bleiben. Und was ihm mit dem Tode droht, ist dieses. Im Meere der Gefahr erhebt sich ein Berg, der Magnetberg geheißen; und auf seinem Gipfel reitet ein Reiter aus gelbem Messing auf einem Rosse aus gelbem Messing, und auf seiner Brust hängt eine Tafel aus Blei. Fünfzig Tage, nach dem dieser Reiter von seinem Rosse fällt, wird dein Sohn[100] des Todes sterben, und erschlagen wird ihn der, der den Reiter herabschießt, ein Fürst namens Adschib, Sohn des Königs Khasib.‹ Und mein Vater grämte sich, als er diese Worte hörte, in schwerem Gram; aber er zog mich auf in zärtlichster Liebe und gab mir eine vortreffliche Erziehung, bis mein fünfzehntes Jahr gekommen war. Nun erreichte ihn vor zehn Tagen die Nachricht, daß der Reiter ins Meer gefallen sei und daß der, der ihn herabschoß, Adschib heiße, Sohn des Khasib. Und da weinte mein Vater bittere Tränen, weil er sich von mir trennen mußte, und er wurde wie einer, der besessen ist von einem Dschinni. Doch da er in tödlicher Angst um mich war, so baute er mir diese Höhle unter der Erde, und er versah sie mit allem, was für die wenigen noch übrigen Tage nötig war, und brachte mich in einem Schiff hierher und ließ mich allein. Zehn Tage sind schon verstrichen, und wenn noch vierzig hingehen, ohne daß eine Gefahr mich erreicht, so will er kommen und mich wieder holen; denn all dies hat er aus Angst vor dem Fürsten Adschib getan. Und das ist meine Geschichte und der Grund meiner Einsamkeit.‹ Als ich aber diese Geschichte hörte, staunte ich und sagte in meiner Seele: ›Ich bin der Fürst Adschib, der all dies tat; aber so wahr Allah mit mir ist, ich will ihn nicht erschlagen!‹ Und so sprach ich zu ihm: ›Mein Bruder, ferne sei von dir dieses Unheil, und so es Allah gefällt, sollst du nicht Sorge leiden noch Unruhe, denn ich will bei dir bleiben und dir als Diener dienen und dann meines Weges ziehen; und nachdem ich dir vierzig Tage lang Gesellschaft geleistet habe, will ich mit dir in deine Heimat gehen, und du sollst mir ein Geleit von Mamelucken geben, mit dem ich in meine eigene Stadt zurückkehren kann; und der Allmächtige soll es dir vergelten.‹ Er freute sich meiner Worte, und ich stand auf und entzündete eine große Wachskerze und putzte die Lampen und die drei Laternen; und ich trug Speise auf und Trank und Süßigkeiten. Und wir aßen und tranken und plauderten über allerlei Dinge, bis der größere Teil der Nacht herum war; dann legte er sich nieder zur Ruhe, und ich hüllte ihn ein in Decken und ging selber schlafen. Und am nächsten Morgen stand ich auf und wärmte Wasser und hob ihn leise empor, so daß er erwachte; und ich brachte[101] ihm das warme Wasser, und er wusch sich das Gesicht und sagte zu mir: ›Der Himmel vergelte dir mit jeder Segnung, o Jüngling! Bei Allah, wenn ich dieser Gefahr entgehe und gerettet werde vor dem, der da heißet Adschib ibn Khasib, so soll mein Vater dir lohnen und dich heimsenden, reich und gesund; und wenn ich sterbe, so liege mein Segen auf dir.‹ Und ich versetzte: ›Möge der Tag nie dämmern, an dem dir Arges widerfährt; und möge Allah meinen letzten Tag vor deinem letzten Tag erscheinen lassen!‹ Und ich setzte ihm Speise vor, und wir aßen; und ich bereitete Düfte, die Halle zu beräuchern, was ihm gefiel. Und ich machte ihm ein Mankalah-Tuch3, und wir spielten und aßen Süßigkeiten, und wieder spielten wir und vergnügten uns, bis die Nacht hereinsank; dann stand ich auf und entzündete die Lampen und setzte ihm Speise vor und saß und erzählte ihm Geschichten, bis die Stunden des Dunkels fast vorüber waren. Und schließlich legte er sich nieder zum Schlaf, und ich bedeckte ihn und ruhte gleichfalls. Und so fuhr ich fort, o meine Herrin, Tage und Nächte lang, und die Neigung zu ihm schlug Wurzel in meinem Herzen, und mein Gram wurde schwächer, und ich sagte zu mir: ›Die Sterndeuter logen, als sie sagten, er werde von Adschib ibn Khasib erschlagen: bei Allah, ich will ihn nicht erschlagen.‹ Und ich ließ nicht ab, ihn zu bedienen und mit ihm zu plaudern und zu zechen und ihm allerlei Geschichten zu erzählen, neununddreißig Tage lang. Und am vierzigsten Tage freute der Jüngling sich und rief: ›O mein Bruder, Alhamdolillah!4 Preis sei Allah, der mich vom Tod errettet hat, und das durch deinen Segen und den Segen der Begegnung mit dir; und ich bete zu Allah, daß er dich wieder in deine Heimat führe. Aber jetzt, o mein Bruder, wollte ich, du wärmtest mir einiges Wasser für die Ghusl-Waschung, und bade mich und tausche meine Gewänder um.‹ Und ich versetzte: ›Mit großer Freude‹; und ich wärmte Wasser in Menge und trug es ihm zu und wusch ihm den ganzen Leib, die Waschung der Gesundheit: mit Lupinenmehl; und ich rieb ihn ab und wechselte seine Gewänder und bereitete ihm ein aufgebahrtes Bett, darauf er sich niederlegte, um zu ruhen, denn er war schläfrig nach dem Bade. Und er sagte zu mir: ›O mein[102] Bruder, schneide mir eine Wassermelone und süße sie mit ein wenig Zuckerkand.‹ Und ich ging in den Vorratsraum und holte eine schöne Melone, die ich dort fand, und legte sie auf eine Schüssel und setzte sie ihm vor und sprach: ›O mein Gebieter, hast du nicht ein Messer?‹ ›Hier ist es,‹ erwiderte er, ›auf dem hohen Brett mir zu Häupten.‹ Und ich sprang auf in Hast und nahm das Messer und zog es aus der Scheide; aber als ich herabtrat, glitt ich aus und stürzte schwer auf den Jüngling; und ich hielt das Messer in der Hand, und eilends erfüllte es, was an dem Tage geschrieben war, da die Geschicke der Menschen entschieden wurden, und es begrub sich wie gestoßen in des Jünglings Herz. Und er starb sofort, und als ich sah, daß er erschlagen war und daß ich ihn erschlagen hatte, mir selber zum Trotz, da schrie ich laut und bitter auf und schlug mir das Gesicht und zerriß mein Gewand und sagte: ›Wahrlich, Allahs sind wir, und wir kehren in ihn zurück, ihr Moslems! O ihr Menschen Allahs, ein Tag blieb nur noch aus vierzig Tagen der Gefahr, wie sie Sterndeuter und Gelehrte diesem Jüngling prophezeiten; und der vorbestimmte Tod des Schönen sollte kommen aus meiner Hand. Wollte der Himmel, ich hätte nicht versucht, die Melone zu schneiden. Furchtbar ist dieses Unheil, das ich ertragen muß, ob willig oder widerwillig! Welch ein Unstern! Welche Trübsal! O mein Allah, ich flehe dich an um Vergebung, und ich erkläre vor dir meine Unschuld an diesem Tode. Aber was Allah will, das laß geschehen.‹ Und als ich sicher war, daß ich ihn erschlagen hatte, stand ich auf und stieg die Treppe empor und legte die Falltür darüber und deckte sie mit Erde wie zuvor. Und dann spähte ich aufs Meer hinaus und sah das Schiff durch die Wasser schneiden und auf die Insel zuhalten; und ich fürchtete mich und sagte: ›Wenn sie kommen und sehen, daß der Jüngling getötet ist, so werden sie wissen, daß ich es war, der ihn erschlug, und unverzüglich werden sie mich erschlagen.‹ So kletterte ich in einen hohen Baum und verbarg mich in seinen Blättern; und kaum hatte ich es getan, so warf das Schiff Anker, und die Sklaven landeten mit dem Greise, dem Vater des Jünglings; und sie gingen stracks auf die Stelle zu, und als sie die Erde zur Seite schaufelten, erstaunten sie, daß sie so weich war. Und sie hoben[103] die Falltür auf und stiegen hinab und fanden den Jüngling lang hingestreckt, gekleidet in schöne neue Gewänder, das Antlitz strahlend vom Bade und tief in der Brust das Messer. Und als sie das sahen, schrien sie laut und weinten, schlugen sich die Gesichter und fluchten dem Mörder laut; und den Schaikh überfiel eine Ohnmacht, so daß die Sklaven ihn für tot erachteten und nicht für fähig, seinen Sohn zu überleben. Und schließlich hüllten sie den erschlagenen Jüngling in seine Gewänder und trugen ihn hinauf und legten ihn auf den Boden und deckten ihn zu mit einem seidenen Leichentuch. Und als sie zum Schiff zurückkehrten, erwachte der Greis, und als er seinen Sohn ansah, sank er zu Boden und streute sich Staub auf den Kopf und schlug sich das Gesicht und riß sich den Bart; und stärker nur wurde sein Weinen, als er des ermordeten Sohnes gedachte, und nochmals sank er in Ohnmacht. Und nach einer Weile kam ein Sklave und brachte einen Streifen Seide, darauf sie den Alten legten, und setzten sich zu seinen Häupten. Und all das geschah, und ich saß in dem Baume über ihnen und sah alles, was geschah; und das Herz wurde weiß in meiner Brust, eh noch mein Haar ergraute, denn mein Los war hart, und ich hatte gar viel an Not und Qual erfahren. Aber der Alte, o meine Herrin, erwachte nicht aus seiner Ohnmacht, bis nahe vor Sonnenuntergang; und als er zu sich kam und als ihm einfiel, was geschehen war und wie sich ereignet hatte, wovor ihm graute, da schlug er sich das Gesicht und das Haupt. Und er seufzte einen einzigen Seufzer, und seine Seele floh aus seinem Fleische. Und die Sklaven schrien laut: ›Weh! unser Herr!‹ und sie warfen sich Staub auf den Kopf und weinten und klagten nur doppelt. Und Seite an Seite trugen sie ihren toten Herrn und seinen toten Sohn zum Schiff hinab; und als sie all die Vorräte aus der Höhle heraufgeholt hatten, setzten sie Segel und schwanden mir aus den Augen. Und ich stieg von dem Baum herab und hob die Falltür und trat in die unterirdische Wohnung, in der mich alles an den Jüngling erinnerte; und ich blickte auf die wenigen Überreste. Und dann, o Herrin, kehrte ich zu der Falltür zurück, und jeden Tag ging ich einmal um die Insel, und jede Nacht kehrte ich in die unterirdische Halle zurück. Und so lebte ich einen Monat[104] lang, bis ich schließlich auf der westlichen Seite der Insel bemerkte, wie Tag für Tag die Ebbe ebbte und flaches Wasser stehen blieb, für das die Flut nicht wieder eindrang; und zu Ende des Monats zeigte das Meer in dieser Richtung trockenes Land. Und ich freute mich dessen, denn nunmehr fühlte ich mich meiner Rettung sicher; und ich stand auf und durchschritt das flache Wasser, das noch blieb, und kam zum Festland; dort aber traf ich auf große Haufen losen Sandes, in dem selbst das Kamel bis an die Knie eingesunken wäre. Aber ich faßte mir Mut und watete durch den Sand, und siehe, in der Ferne leuchtete mit blendendem Licht ein Feuer. Und ich hielt darauf zu, denn ich hoffte Hilfe zu finden.

Und als ich dem Feuer näher kam, siehe, da war es ein Palast mit kupfernen Toren, rot poliert, die im Sonnenschein weithin glänzten und leuchteten, so daß sie mir als ein Feuer erschienen waren. Und ich freute mich des Anblicks und setzte mich nieder gegenüber dem Tor; aber kaum saß ich auf meinem Sitz, so standen vor mir zehn Jünglinge in prunkvoller Kleidung, und alle waren blind auf dem linken Auge, das wie herausgerissen war. Und begleitet waren sie von einem Schaikh, einem alt uralten Mann; und sehr erstaunte ich ob ihres Aussehens, und weil sie alle auf dem gleichen Auge erblindet waren. Und als sie mich sahen, grüßten sie mich mit dem Salam und fragten mich nach mir und meiner Geschichte; und ich erzählte ihnen alles, was mir widerfahren und welches volle Maß des Unglücks mein war. Und sie staunten ob meiner Erzählung und führten mich in den Palast, und dort sah ich rings um die Halle zehn Lager gereiht, ein jedes mit blauen Kissen und mit einer Decke aus blauem Stoff, und in der Mitte ein kleineres Lager, das wie die andern in Blau gehalten war und keine andere Farbe zeigte. Und als wir eintraten, nahm ein jeder der Jünglinge auf seinem Lager Platz, und der Alte setzte sich auf das kleinere in der Mitte und sagte zu mir: ›O Jüngling, setze dich auf den Boden und frage nicht nach uns und dem Verluste unserer Augen.‹ Und bald stand er auf und setzte vor jeden Jüngling ein wenig Speise in einer Schüssel und Trank in einem Becher, und mich bewirtete er auf die gleiche Weise; und nachher fragten sie mich nach meinen Abenteuern und nach allem,[105] was mir widerfahren war; und ich erzählte ihnen bis weit in die Nacht hinein. Da sagten die Jünglinge: ›O unser Schaikh, willst du uns nicht unser Nachtmahl geben? Die Zeit ist da.‹ Und er erwiderte: ›Mit Freuden‹; und er stand auf und trat in eine Kammer und verschwand, aber gleich kam er wieder und trug auf dem Kopf eine Platte, bedeckt mit einem blauen Streifen Stoff. Und er setzte sie vor einen der Jünglinge und entzündete eine Kerze und steckte sie auf diese Platte; und das wiederholte er zehnmal, bis alle Jünglinge versehen waren; und er zog die Decken fort, und siehe, darunter war nichts als Asche und Kohlenstaub und Kesselruß. Und all die Jünglinge schlugen die Ärmel bis zu den Ellenbogen auf und begannen zu weinen und zu klagen; und sie schwärzten sich die Gesichter und beschmierten ihre Gewänder, und schlugen sich die Stirne und die Brust, und riefen beständig: ›Wir saßen in Fülle, aber der Vorwitz brachte uns Not!‹ Und sie ließen nicht ab, bis die Dämmerung kam; dann aber stand der Alte auf und wärmte Wasser für sie; und sie wuschen sich die Gesichter und legten andere und saubere Gewänder an. Als ich nun dies sah, o meine Herrin, verließ mich vor Staunen der Verstand, und er ging irre, und Herz und Kopf waren mir voll Gedanken, bis ich vergaß, was mir widerfahren war, und nicht länger Schweigen bewahren konnte und reden mußte und sie befragen nach diesen Sonderbarkeiten; und so sagte ich zu ihnen: ›Weshalb tut ihr dies, nachdem wir so offenherzig und fröhlich gewesen sind? Dank sei Allah, ihr seid heil und gesund, aber ein Handeln wie dieses ziemt nur Irren oder von bösen Geistern Besessenen. Ich beschwöre euch bei allem, was euch das Liebste ist, weshalb zögert ihr, mir eure Geschichte zu erzählen und den Grund, weshalb ihr jeder ein Auge verloret und die Gesichter euch schwärzt mit Asche und Ruß?‹ Und sie wandten sich zu mir und sprachen: ›O Jüngling, höre nicht auf die Eingebungen deiner Jugend und stelle uns keine Fragen.‹ Und sie schliefen, und ich mit ihnen; und als wir erwachten, brachte der Alte uns ein wenig zu essen; und nachdem wir gegessen hatten und die Platten und die Becher abgetragen waren, saßen sie beisammen und unterhielten sich bis zum Einbruch der Nacht; und der Alte stand auf und entzündete die Wachskerzen und Lampen[106] und setzte Speise und Trank vor uns hin. Und als wir gegessen und getrunken hatten, saßen wir beisammen und unterhielten uns und zechten bis Mitternacht; und da sagten sie zu dem Alten: ›Bringe das Nachtmahl, denn die Stunde des Schlafes ist da!‹ Und er stand auf und brachte ihnen die Platte mit Asche und Ruß; und sie taten, was sie in der vergangenen Nacht getan hatten, nicht mehr und nicht minder. Und ich wohnte bei ihnen auf diese Art einen vollen Monat lang, und jede Nacht schwärzten sie sich die Gesichter mit Asche, und wuschen sich und wechselten die Gewänder, wenn der Morgen jung war; und ich staunte immer mehr, und meine Bedenken und meine Neugier wuchsen so sehr, daß ich mich selbst der Speise und des Tranks enthalten mußte. Und schließlich verlor ich die Herrschaft über mich selber, denn mir brannte das Herz in unlöschbarem Feuer, und ich sagte: ›Ihr Jünglinge, wollt ihr nicht meine Unruhe heben und mir sagen, weshalb ihr euch so die Gesichter schwärzt, und was eure Worte bedeuten: ›Wir saßen in Fülle, doch unser Vorwitz brachte uns Not?‹ Und sie erwiderten: ›Es wäre besser, diese Dinge geheimzuhalten.‹ Doch ich war ratlos vor ihrem Tun, und zwar so sehr, daß ich mich des Essens und Trinkens enthielt und zuletzt die Geduld verlor und zu ihnen sagte: ›Es hilft nichts; ihr müßt mich mit den Gründen eures Beginnens bekannt machen.‹ Und sie versetzten: ›Wir bewahren das Geheimnis nur zu deinem Besten; wenn wir deinen Wunsch erfüllen, so bringen wir Not über dich, und du wirst einäugig wie wir.‹ Und ich wiederholte: ›Es hilft nichts; und wenn ihr nicht wollt, so laßt mich ziehen und zu meinem eigenen Volke heimkehren und Ruhe haben vor diesen Dingen.‹ Und sie sprachen zu mir: ›Vergiß nicht, o Jüngling, sollte dir Arges widerfahren, so werden wir dir nicht nochmals Obdach geben, noch auch dich weiter unter uns dulden‹; und sie nahmen einen Widder und schlachteten ihn und häuteten ihn ab. Und schließlich gaben sie mir ein Messer und sagten: ›Nimm dieses Fell und lege dich darauf, und wir wollen dich einnähen; und alsbald wird ein Vogel kommen, geheißen der Vogel Rukh, der wird dich mit seinen Krallen packen und hoch in die Luft emporfliegen und dich auf einem Berge niederlegen. Und wenn du fühlst, daß er nicht mehr fliegt, so schneide[107] das Fell mit diesem Messer auf und krieche heraus; der Vogel aber wird erschrecken und davonfliegen und dich allein lassen. Dann wandre du einen halben Tag lang, und der Marsch wird dich zu einem Palaste bringen, wunderbar anzuschauen; hoch türmt er sich in die Luft, und ist erbaut aus Khalandschholz, aus Aloe und Sandel, belegt mit rotem Golde und besetzt mit allerlei Smaragden und kostbaren Edelsteinen, wie man sie für Siegelringe nimmt. Dort tritt ein, und dein Wunsch ist erfüllt, denn wir alle sind in jenem Palaste gewesen, und das ist der Grund, weshalb wir uns die Gesichter schwärzen und unser eines Auge verloren. Wollten wir jetzt dir unsere Geschichte erzählen, so würde es lange dauern, denn ein jeder verlor sein linkes Auge durch sein eigenes Abenteuer.‹ Und ich freute mich ihrer Worte, und sie taten mit mir, wie sie gesagt hatten; und der Vogel Rukh trug mich davon und legte mich auf einem Berge nieder. Ich aber kroch heraus aus dem Fell und wanderte, bis ich zu dem Palaste kam. Und das Tor stand offen, als ich eintrat; und ich kam in eine geräumige und stattliche Halle, weit wie eine Rennbahn; und rings lagen vierzig Kammern mit Türen aus Sandel- und Aloenholz, belegt mit Platten roten Goldes und versehen mit silbernen Ringen als Klopfern. Und am oberen Ende der Halle sah ich vierzig Mädchen in kostbaren Gewändern und reichem Schmuck, und eine und alle waren strahlend wie Monde; niemand könnte es je müde werden, sie anzuschauen, und alle waren so lieblich, daß der strengste Asket bei ihrem Anblick ihr Sklave werden und ihrem Willen gehorchen müßte. Und als sie mich sahen, kam die ganze Schar auf mich zu, und sie sagten: ›Willkommen und Heil und Freude dir, o unser Herr! Den ganzen Monat hindurch schon warteten wir deiner. Preis sei Allah, der uns einen sandte, unserer wert, wie wir seiner wert sind.‹ Und sie ließen mich auf einem hohen Diwan sitzen und sagten: ›Heute bist du unser Herr und Gebieter, und wir sind deine Dienerinnen und Sklavinnen, also befiehl uns, was du willst.‹ Ich aber erstaunte über sie. Und eine von ihnen stand auf und setzte mir Speise vor, und ich aß, und sie aßen mit mir; und andere wärmten Wasser und wuschen mir Hände und Füße und wechselten mein Gewand; und wieder andere machten Scherbette[108] bereit und gaben uns zu trinken; und alle umstanden mich voller Freude über meine Ankunft. Und dann setzten sie sich und unterhielten sich mit mir bis zum Einbruch der Nacht; da aber standen fünf von ihnen auf und deckten die Tische und breiteten Blumen und duftende Kräuter und frische und trockene Früchte darauf, und Süßigkeiten in Fülle. Und schließlich brachten sie schöne Gläser und reichten alten Wein; und wir setzten uns und tranken, und einige sangen Lieder, und andere schlugen die Laute und den Psalter und spielten die Flöte, und die Schale kreiste lustig. Mich aber faßte so große Heiterkeit, daß ich sämtliche Sorgen der Welt vergaß und sagte: ›Dies wahrlich ist Leben; wie traurig, daß es so flüchtig ist!‹ Und ich freute mich ihrer Gesellschaft, bis die Zeit der Ruhe kam. Und als es Morgen war, führten die Mädchen mich in das Hammam und badeten mich und kleideten mich in schöne Gewänder. Und sie trugen Speise auf, und wir aßen und tranken, und der Becher kreiste bis zum Einbruch der Nacht. Und um kurz zu sein, o meine Herrin, ich blieb bei ihnen in aller Freude und allem Entzücken des Lebens, und aß und trank und zechte; aber zu Anfang des neuen Jahres kamen sie zu mir in Tränen und sagten mir Lebewohl und weinten und schrien und klammerten sich an mich; und ich erstaunte und fragte: ›Was gibt es? Wahrlich, ihr brecht mir das Herz.‹ Und sie riefen aus: ›Wollte doch der Himmel, wir hätten dich nie gekannt; denn obgleich wir mit vielen Umgang pflogen, sahen wir keinen, der heiterer war als du oder höflicher.‹ Und sie weinten von neuem. ›Aber sagt mir doch deutlicher,‹ rief ich, ›weshalb ihr also weinet, daß mir die Blase der Galle birst‹; und sie versetzten: ›O unser Herr und Gebieter, die Trennung entlockt uns Tränen; und du, und nur du bist der Anlaß unseres Weinens. Wenn du auf uns hören wolltest, brauchten wir nie uns zu trennen; aber hörest du nicht, so trennen wir uns auf immer; und uns sagt das Herz, daß du auf unsere Worte nicht hören wirst, und deshalb weinen wir und schreien.‹ ›So sagt mir, was es ist.‹ ›Wisse, o unser Herr, wir sind die Töchter von Königen, die sich hier trafen und durch Jahre zusammenlebten; und einmal in jedem Jahre gehen wir gezwungen fort auf vierzig Tage; und nachher kehren wir hierher zurück und bleiben für den Rest des[109] Jahres, und essen und trinken und vergnügen uns und genießen jedes Entzücken; wir brechen jetzt nach unserer Sitte auf; und wir fürchten, wenn wir fort sind, werdest du unserm Befehl zuwiderhandeln und unsere Einschärfungen mißachten. Hier übergeben wir dir die Schlüssel des Palastes, der vierzig Gemache enthält; nun darfst du diese neununddreißig öffnen, aber hüte dich (und wir beschwören dich bei Allah und unserem Leben!), die vierzigste Tür zu öffnen, denn hinter ihr ist, was uns auf ewig trennen wird.‹ Sprach ich: ›Wahrlich, ich will sie nicht öffnen, wenn sie enthält, was uns trennt.‹ Und eine unter ihnen trat zu mir und fiel mir um den Hals und weinte. Und als ich sie weinen sah, sprach ich: ›Bei Allah, nie will ich jene vierzigste Tür ich öffnen, nie und nimmer!‹ und ich nahm Abschied von ihr. Und sie alle verschwanden und flogen wie Vögel davon und winkten mir mit den Händen und ließen mich allein im Palast. Und als der Abend kam, öffnete ich die Tür des ersten Gemaches, und ich trat ein und sah mich in einem Raum gleich einem der Gärten der Lust im Paradiese. Es war ein Garten mit Bäumen von frischestem Grün und reifen Früchten, die schienen gelb zu blühn; und Vögel sangen klar und kühn; und schlängelnde Bächlein sah ich erfrischend sprühn; und ich ging durch die Bäume dahin, und der Blumen Düfte umfingen mir jeglichen Sinn; und die Vögel sangen in Melodein für den Einen, Allmächtigen, die süßesten Litanein; und ich sah den Apfel an, dessen eine Seite rot ist, und gelb die andere. Und dann sah ich die Quitten und sog ihren Duft ein, der Moschus und Ambra beschämt. Und ich sah auf den Pfirsich, dessen Geschmack Scherbett und Zucker hinter sich läßt; und auf die Aprikose, deren Schönheit das Auge zur Bewunderung hinreißt, als wäre sie ein polierter Rubin. Und ich ging hinaus und verschloß die Tür wie zuvor. Und am folgenden Tage schloß ich die zweite Tür auf; und als ich eintrat, stand ich auf einer geräumigen Ebene, die bepflanzt war mit hohen Dattelbäumen und bewässert von einem rinnenden Bach, dessen Ufer blühten in Büschen von Rosen und Jasmin, und ich sah einen Teppich ziehn, bestirnt mit Hartriegel und wilden Rosen, mit Rindsaugen, Veilchen und Lilien, Narzissen, Wohlgemut und Winternelken; und der Hauch der Brise strich über diese süßduftenden Weiden und warf die bezaubernden Gerüche nach rechts[110] und links und durchduftete die Welt und füllte mir die Seele mit Entzücken. Und als ich mich dort eine Weile ergangen hatte, ging ich davon; und als ich die Tür wie zuvor verschlossen hatte, öffnete ich des andern Tages die dritte Tür, und ich sah eine hohe offene Halle, belegt mit Platten vielfarbigen Marmors und wertvollen Hartsteins und anderer Steine, und behangen mit Käfigen aus Sandel- und Adlerholz; und sie waren voller Vögel, die lieblich sangen: voll Tausendstimmiger und Ringeltauben, Amseln, Turteltauben und nubischen Ringtauben. Und das Herz füllte sich mir mit Lust; mein Gram war verschwunden, und bis zur Dämmerung schlief ich in diesem Vogelhaus. Und ich schloß die Tür des vierten Gemaches auf und fand darin einen Saal, in den sich vierzig kleinere Kammern öffneten. Und all ihre Türen standen offen; so trat ich ein und fand sie voller Perlen und Hyazinthen und Beryllen und Smaragden und Korallen und Karfunkeln, und allerlei Edelsteinen und Juwelen, wie sie die Zunge der Menschen nicht beschreiben kann. Und mein Geist war betäubt von dem Anblick, und ich sagte zu mir: ›Hier sind Dinge vereint, dünkt mich, die sich sonst nur in den Schatzkammern eines Königs der Könige finden, und selbst die Fürsten der Welt hätten keine zu sammeln vermocht, wie diese!‹ Und mir wurde das Herz weit, und mein Gram verschwand: ›Denn‹, sprach ich, ›jetzt bin ich wahrlich der Fürst der Zeit, da mir durch Allahs Gnade dieser ungeheure Reichtum zuteil ward; und ich habe vierzig Mädchen, und niemand darf auf sie Anspruch machen als ich selbst.‹ Und ich ließ nicht ab, Tür nach Tür zu öffnen, bis die ersten neununddreißig Tage verstrichen waren, und inzwischen hatte ich alle Gemache betreten außer dem einen, dessen Tür die Prinzessinnen mir verboten hatten. Aber, o meine Herrin, meine Gedanken kreisten immer um dieses eine, und Satan drängte mich, es zu meinem eigenen Verderben zu betreten; und mir blieb nicht die Geduld, mich zu bezwingen, obgleich nur noch ein Tag an der verlangten Anzahl fehlte. So stand ich vor dem Gemach und öffnete nach einem Augenblick des Zögerns die mit rotem Gold belegte Tür und trat hinein. Und mir schlug ein Duft entgegen, wie ich ihn noch nie gerochen hatte; und so scharf und fein war dieser Duft, daß er mir die Sinne trunken machte wie ein starker Wein; und ich fiel in Ohnmacht[111] zu Boden, und das dauerte so eine volle Stunde. Und als ich zu mir kam, faßte ich mir ein Herz und trat ein und sah mich in einem Gemach, dessen Boden mit Safran bestreut war und das strahlte im Licht von armigen Kandelabern aus Gold und von Lampen, die mit kostbaren Ölen gespeist waren und den Duft von Moschus und Amber verbreiteten; und ich sah zwei Rauchgefäße, ein jedes so groß wie Becken, flammend von Aloenholz, von Nadden, Ambra und Honigdüften; und der Saal war voll von ihrem Dunst. Plötzlich aber, o meine Herrin, sah ich ein edles Roß, schwarz wie das Dunkel der Nacht, wenn sie am dunkelsten ist; und es stand gezäumt und gesattelt (und sein Sattel war aus rotem Golde) vor zwei Krippen, einer aus klarem Kristall, darin enthülster Sesam war, und einer zweiten, gleichfalls aus Kristall, darin, duftend nach Moschus, Rosenwasser floß. Und als ich das sah, erstaunte ich und sprach: ›In diesem Tier muß sich ein wunderbares Geheimnis bergen‹; und Satan berückte mich, und ich führte es aus dem Palast heraus und bestieg es; aber es wollte sich nicht vom Flecke rühren. Da hämmerte ich ihm mit den Fersen in die Flanken, aber es rührte sich nicht; und ich nahm die Zügelpeitsche und schlug es. Kaum jedoch verspürte es den Schlag, so wieherte es mit einem Klang wie betäubender Donner, und es entfaltete ein Paar Flügel und flog mit mir hoch in den Himmel empor, höher als irgendein Mensch zu blicken vermag. Und nach einer vollen Stunde des Fluges ließ es sich nieder und landete auf einer Dachterrasse und warf mich vom Rücken und peitschte mich mit dem Schweif ins Gesicht und schlug mir das linke Auge aus, so daß es mir über die Wange rollte, und flog davon. Und ich stieg herab von dem Dach und sah mich unter den zehn einäugigen Jünglingen, die auf den zehn Lagern saßen mit den blauen Decken; und als sie mich sahen, riefen sie aus: ›Keinen Gruß dir und keine Freude! Wir alle lebten das glücklichste Leben, und wir aßen und tranken vom Besten; auf Brokat und Goldtuch ruhten wir, und wenn wir schliefen, so lag der Kopf auf der Brust der Schönheit, aber wir konnten den einen Tag nicht warten, um das Glück eines Jahres zu gewinnen!‹ Sprach ich: ›Sehet, ich bin geworden wie ihr, und ich wollte, ihr brächtet mir eine Platte voll Schwärze, mir das Gesicht zu schwärzen, und nähmet mich auf in eure Gesellschaft.‹ ›Nein,[112] bei Allah,‹ sprachen sie, ›du sollst nicht bei uns bleiben, und jetzt hebe dich fort.‹ So trieben sie mich davon. Und als ich sah, daß sie mich also von sich wiesen, ahnte ich, daß es mir schlimm ergehen würde, und ich dachte an all das Elend, das das Schicksal mir auf die Stirne geschrieben hatte; und ich zog schweren Herzens und rinnenden Auges fort, indem ich mir diese Worte wiederholte: ›Ich saß in der Fülle, und nur mein Vorwitz brachte mir Not.‹ Und ich schor mir Bart und Brauen und entsagte der Welt und wanderte im Gewand des Bettelmönches über Allahs Erde; und der Allmächtige bestimmte mir Ruhe, bis ich in Bagdad ankam, heute abend und diese Nacht. Hier aber traf ich diese beiden andern Bettler, als sie ratlos standen; und ich grüßte sie und sprach: ›Ich bin ein Fremder!‹ und sie versetzten: ›Auch wir sind Fremde!‹ Und durch des Schicksals Laune waren wir alle drei gleich, drei Mönche, einäugig, und alle drei blind auf dem linken Auge. Das, o meine Herrin, ist der Grund, weshalb ich mir den Bart schor, und die Art, wie ich mein Auge verlor.‹ Sprach die Dame zu ihm: ›Reibe dir den Kopf und zieh deines Weges‹; doch er versetzte: ›Bei Allah, ich will nicht gehen, bevor ich nicht die Geschichte der andern hörte.‹

Und die Dame wandte sich zu dem Kalifen und zu Dscha'afar und Masrur und sagte: ›Berichtet auch ihr über euch, ihr Leute.‹ Und Dscha'afar trat vor und erzählte, was er der Pförtnerin berichtet hatte, als sie das Haus betraten; und als sie ihn angehört hatte, sagte sie: ›Ich schenke euch euer Leben um euretwillen, und jetzt hinweg mit euch allen.‹ Und alle gingen hinaus, und als sie auf der Straße standen, sprach der Kalif zu den Mönchen: ›Ihr Leute, wohin geht ihr jetzt, da noch der Morgen nicht dämmerte?‹ Sprachen sie: ›Bei Allah, o unser Herr, wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen.‹ ›Kommt und verbringt den Rest der Nacht bei uns‹, sagte der Kalif; und zu Dscha'afar: ›Nimm sie mit dir nach Hause, und morgen führe sie vor mich, damit wir ihre Abenteuer verzeichnen.‹ Und Dscha'afar tat, wie der Kalif ihm befahl; und der Beherrscher der Gläubigen kehrte in seinen Palast zurück; aber der Schlaf wollte ihn in dieser Nacht nicht besuchen, und er lag wach und dachte der Irrfahrten der Mönche, und voll Ungeduld verlangte ihn, die Geschichte der Mädchen und der beiden Hündinnen kennen zu lernen.[113]

Kaum also war der Morgen da, so ging er hinaus und setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft; und als all seine Großen und Würdenträger versammelt waren, sprach er zu Dscha'afar: ›Bringe mir her die drei Mädchen und die zwei Hündinnen und die drei Bettelmönche.‹ Und Dscha'afar ging hinaus und brachte sie alle vor ihn (und die Damen waren verschleiert); und der Vezier wandte sich zu ihnen und sagte in des Kalifen Namen: ›Wir vergeben euch, daß ihr uns schlecht behandeltet und es an Höflichkeit fehlen ließet, weil ihr zuvor euch freundlich zeigtet und weil ihr uns nicht kanntet; jetzt aber möchte ich euch zu wissen tun, daß ihr steht vor dem fünften der Söhne des Abbas, vor Harun al-Raschid, dem Bruder des Kalifen Musa al-Hadi, Sohn des Al-Mahdi, Sohnes Almansors, des Bruders Al-Saffah bin Mohammeds, der der Erste war des Königlichen Hauses. Redet ihr also die Wahrheit vor ihm, und die volle Wahrheit!‹ Und als die Damen Dscha'afars Worte über den Herrscher der Gläubigen hörten, trat die älteste vor und sagte: ›O Fürst der wahren Gläubigen, würde meine Geschichte mit Sticheln in die Augenwinkel gestichelt, sie wäre eine Warnung für jeden, der sich warnen ließe, und ein Beispiel für den, der aus einem Beispiel Nutzen zu ziehen vermöchte.‹ Und sie begann vor dem Beherrscher der Gläubigen trat und zu erzählen

Fußnoten

1 Waschung des Gesichts und der Hände.

2 Greis, Vorsteher.

3 Spiel, ähnlich dem Tricktrack.

4 Gelobt sei Gott.


Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 94-114.
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