Die Geschichte von Khusrau und Schirin und dem Fischer

[351] König Khusrau Schahinschah von Persien, liebte die Fische; und eines Tages, als er in seinem Saale saß, er mit seinem Weibe Schirin, kam ein Fischer mit einem großen Fisch, den er dem König vorlegte; dem gefiel er, und er wies dem Manne viertausend Dirhems an. Sprach Schirin zu dem König: ›Du hast übel getan.‹ Fragte er: ›Und weshalb?‹ Und sie erwiderte: ›Wenn du hinfort einem deiner Höflinge die gleiche Summe gibst, so wird er sie verschmähen und sagen: Er gibt mir nicht mehr als dem Fischer! Und wenn du ihm weniger gibst, wird er sagen: er verachtet mich und gibt mir weniger als dem Fischer!‹ Versetzte Khusrau: ›Du hast recht, aber es wäre eine Schmach, wenn ein König zurückkäme auf sein Wort; es ist einmal geschehen.‹ Sprach Schirin: ›Wenn du willst, so will ich ein Mittel finden, das Geld von ihm zurückzuerhalten.‹ Fragte er: ›Und wie?‹ Sprach sie: ›Rufe, wenn es dir so gefällt, den Fischer zurück und frage ihn, ob der Fisch männlich oder weiblich sei. Sagt er dann: männlich, so sprich: wir brauchen ein Weibchen. Und sagt er: weiblich, so sprich: wir brauchen ein Männchen.‹ Da schickte der König nach dem Fischer, der ein Mann von Witz und scharfem Verstande war, und sprach zu ihm: ›Ist dieser Fisch männlich oder weiblich?‹ Der Fischer küßte den Boden und erwiderte: ›Dieser Fisch ist ein Zwitter und weder männlich noch weiblich.‹ Ob dieser gescheiten Antwort lachte Khusrau, und[351] er wies ihm weitere viertausend Dirhems an. Und der Fischer ging zum Schatzmeister, erhob seine achttausend Dirhems und tat sie in einen Sack, den er bei sich hatte. Den warf er sich über die Schulter, und eben wollte er davongehen, als er einen Dirhem fallen ließ; und er tat den Sack von der Schulter herab und bückte sich, um ihn aufzuheben. Nun sahen der König und Schirin ihm zu, und die Königin sprach: ›O König, hast du den Geiz des Mannes bemerkt? Er mußte sich noch bücken, um den einen Dirhem aufzuheben, und konnte es nicht über sich gewinnen, ihn liegen zu lassen für einen der Diener des Königs.‹ Als der König diese Worte hörte, ergrimmte er wider den Fischer und sprach: ›Du hast recht, o Schirin!‹ Und er rief den Mann zurück und sprach: ›Du niedriggesinnter Kerl! Du bist kein Mann! Wie konntest du den Sack mit all dem Geld vom Rücken nehmen und dich zum Boden bücken, um den einen Dirhem aufzuheben, statt ihn liegen zu lassen, wo er lag?‹ Der Fischer aber küßte vor ihm den Boden und erwiderte: ›Möge Allah dem König das Leben verlängern! Wahrlich, ich las den Dirhem nicht vom Boden auf, weil er in meinen Augen irgend Wert besaß; sondern ich hob ihn auf, weil er auf der einen Seite das Bild des Königs trägt und auf der andern seinen Namen; denn ich fürchtete, es könne jemand ahnungslos den Fuß darauf setzen und so den Namen oder das Bildnis des Königs entehren, wofür dann mich der Tadel träfe.‹ Der König staunte ob seiner Worte, und er lobte seinen Witz und Scharfsinn und wies ihm wiederum viertausend Dirhems an. Ferner ließ er in seinem Königreiche verkünden und ausrufen: ›Es geziemt niemandem, daß er sich leiten lasse vom Rat der Frauen; denn wer ihrem Rate folgt, der verliert zu einem Dirhem weitere zwei.‹

Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 351-352.
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