[Anonym]

Kurtze Beschreibung vnd Erzehlung

von einem Juden / mit Namen

Ahaßverus /

Welcher bey der Creutzigung Christi selbst

persönlich gewesen / auch das Crucifige über

Christum hab helffen schreyen / vnd vmb

Barrabam bitten / hab auch nach der

Creutzigung Christi nimmer gen Jerusalem

können kommen / auch sein Weib vnd

Kinder nimmer gesehen / vnd seithero

im Leben geblieben / vnd vor etlich

Jahren gen Hamburg kommen /

auch Anno 1599. im December

zu Dantzig ankommen.


Es hat auch Paulus von Eitzen / der H. Schrifft

Doctor vnd Bischoff von Schleßwig / beneben

dem Rector der Schulen zu Hamburg / mit

jhme conferirt von den Orientalischen

Landen / was sich nach Christi zeit

verloffen / hat er solchen guten

bericht davon gegeben / dass

sie sich nicht gnug darüber

verwundern können.

Warlich ich sage euch / es stehen allhie etliche /

die werden den Todt nicht schmecken / biß daß

sie deß Menschen Sohn kommen sehen

inn sein Reich.


Weil dieser zeit bey vns alhie nichts newes zu schreiben / wil ich euch etwas altes / welches doch bey vielen mit verwunderung / für etwas newes gehalten wird / erzehlen / welches sich folgender gestalt verhaltet:


Es hat Paulus von Eitzen / der H. Schrifft Doctor /vnd Bischoff zu Schleßwig (dann er von J.F.G. Hertzog Adolff von Holstein zum Bischoff erwöhlet vnd bestettiget ist / so nicht allein bey menniglich in ansehen vnnd glaubwirdig / sondern auch durch sein in truck gegeben Schrifften ein berümbter Mann ist) mir vnd andern Studiosis / etlich mahl erzehlet / das/als er in seiner Jugend zu Wittenberg studiert / vnd einmal im Winter in Anno 1542. zu seinen Eltern gen Hamburg gereyset: Hab er den nechsten Sontag hernacher inn der Kirchen/ vnter der Predigt einen Mann / welcher ein sehr lang Person / mit einem langen vber die Achsel abhangenden Haar / gewesen / gegen der Cantzel vber auff blossen steinen barfüssig stehen sehen: welcher mit solcher Andacht die Predigt gehört / daß man an jhm einige bewegung nicht spüren können: aussenthalb wann der Name Jesus Christus genennet worden / hab er sich geneigt / an seine Brust geschlagen / vnd sehr tieff geseufftzet: hab kein andere Kleidung angehabt in demselbigen hatten Winter /als ein par Hosen / die an den Füssen durch gewesen /ein Rock biß an die Knie: vnd darüber ein Mandel /biß auff die Füß / sonsten sey er Alters halben anzusehen gewesen / als ein Mann von fünfftzig Jahren ungefährlich / als er nun sich wegen seiner grossen gestalte / Kleydung vnnd Geber den vber jhme verwundert: hab er nach jhme / wer er were / vnd was sein gelegenheit seye / geforschet / da hat man in berichtet / daß derselbige sich nun den Winter über etliche Wochen lang daselbsten auff gehalten / vnd von sich außgeben / daß er ein geborner Jud von Jerusalem / mit seinem Namen Ahasverus / vnd seines Handwercks ein Schuhmacher / auch bey der Creutzigung Christi selbs persönlich gewesen / vnd seit hero im Leben geblieben / vnd durch viel Länder gereiset seye / wie er dann zu bestettigung dessen viel vmbständt / so sich mit Christo / nach dem er gefangen /vnnd für Pilatum geführt / darnach für Herodem /auch biß er endlich gereutziget worden / zugetragen /von dem weder die Evangelisten noch Historischreiber meldung thun: Deßgleichen auch von aller hand geschichten vnd Regimenten verenderungen/so in den Orientalischen Landen nach Christi Leiden / in etlich hundert Jahr hernacher sich zugetragen: Wie auch von den Aposteln / wo jeder gelebt / gelehrt / vnd endlich gelitten / volkommen guten bericht zu geben wuste. Als nun Paulus von Eitzen solches gehöret / hat er sich noch mehr darob verwundert / vnd gelegen heit gesucht / selbsten mit jhm zu reden. Da er nun dasselbig endlich erlanget / hab jhme der Jud solches alles mit vmbstenden erzehlet: Daß er nemlich zur zeit Christi zu Jerusalem wonhafftig / auch jhme dem HErrn Christo / welchen er für ein Ketzer vnd Verführer gehalten / weil er anders nicht gewust / auch von den Hohenpriestern vnd Schrifftgelehrten / denen er zugethan gewesen / anders nicht gelernt gehabt /gram gewesen / vnnd hab derwegen allezeit sein bestes gethan / damit dieser Verführer / wie er darfür gehalten / möchte vertilget werden: Hab auch endlich jhn fangen / für die Hohenpriester vnd Pilatum führen / anklagen / über jhn das Crucifige schreyen / vnd vmb Barrabam bitten / auch so weit bringen helffen /biß er zum Todt verurtheilt worden. Da nun der Sententz gesprochen gewesen / hab er als bald nach seinem Hauß / da der HErr Christus hat fürüber sollen geführt werden / zugeilet / vnd es seinem Haußgesind angesagt / damit sie jhn auch sehen möchten / da hab er selbsten sein kleines Kind auff seinen Arm genommen / mit jme für die Thür gestanden / jn den HERRN sehen zu lassen. Als nun der HErr Christus vnter seinem Creutz herzu geführet worden / hab er sich an sein Hauß etwas angelehnet / da sey er zu mehrer anzeigung seines Eifers herzu gelauffen / vnd mit scheltworten sich von dannen weg zu packen /vnd hinauß / da er hingehört / zu verfügen / fort gewisen. Da hab jhn CHristus starck angesehen / vnd jhn auff die meinung ohngefehrlich angeredt: Ich wil stehen vnd ruhen / du aber solt gehen. Alsbald hab er sein Kind nidergesetzt / vnnd im Hauß nicht bleiben können / sondern mit nachgefolget vnd zugesehen /wie er ist hingerichtet worden. Nach dem solches alles vollendet worden / sey jhm vnmüglich gewesen wider umb in die Stadt Jerusalem zu gehen / wie er auch nicht mehr darein kommen / sein Weib / Kind und Gesind nit mehr gesehen / sondern bald fort in frembde / vnd also eins nach dem andern biß daher / durchzogen habe / Vnnd ob er wol über etlich hundert Jahr widerumb ins Land kommen /hab er es doch also verwüst vnnd Jerusalem verstört gefunden / daß er es nicht mehr gekant habe. Was nun Gdtt mit jhme fürhabe / daß er jhn so lang in diesem elenden Leben herumb führe / ob er jn vielleicht biß an Jüngsten Tag / als ein lebendigen zeugen deß Leidens Christi / zu mehrer über zeugung der Gottlosen vnd Vnglaubigen / also erhalten wölle / sey jm vnwissent / seines theils möchte er leiden / daß jn Gott auß diesem Jammerthal zur ruhe abforderte. Auff dieses habe er Paulus von Eitzen / bey neben dem Rector der Schulen zu Hamburg / welcher ein Gelehrter vnnd in Historijs erfarner Mann gewesen/mit jm von allerhand Geschichten / so sich in den Orientalischen Landen nach CHristi zeiten hero verlauffen / conferirt / da hab er jnen alle vmbständ vnd gnugsamen bericht davon gegeben /daß sie sich nicht gnugsam darüber verwundern können. In seinem Leben sey er still vnd eingezogen gewesen / nicht geredt / als wenn man jn gefragt / Wann man jn zu Gast geladen / sey er erschienen / doch wenig gessen vnd getruncken: Da man jhm Gelt verehrt / hab er nicht über zween Schilling genommen /doch also bald wider vnter die Armen getheilt / mit vermelden / er bedörffe es nicht/Gott werde jn wol versorgen. So hab man jhn die zeit über / weil er zu Hamburg gewesen / nie sehen lachen: In welches Land er kommen / desselbigen Sprach hat er geredt /wie er denn damal die Sächsische Sprach als wol geredt / als wann er ein geborner Sachs wer. Es sein auch / wie D. Eitz berichtet / damaln vielen Landen vnd weit gelegnen Orten / jn zu sehen vnd zu hören gen Hamburg kommen / auch vielerley Judicia über jn ergangen / Der mehrertheil aber hab dafür gehalten /er habe ein fliegenden Geist bey sich / der jm solche ding offenbare / Welches er aber nicht darfür gehalten/ weil er nicht allein GOttes Wort gern gehört vnnd davon geredt / auch allwegen mit grosser andacht vnnd grossen seufftzen den Namen Gottes genennt /sondern auch daß er kein Fluchen dulden können /dann wann er jemand bey Gottes Leyden vnd Wunden fluchen hören / er darüber erzittert / vnd mit grimmigem Eifer getrohet: Du elender Mensch / du elende Creatur / solt du den Namen Gottes vnnd seine Marter also mißbrauchen / Ja solt es in gesehen vnd gehört haben / wie sawr dem HErn Christo seine Wunden vnnd Leiden / dein vnd meinet wegen worden were /wie ichs gesehen / du würdest dir ehe leyd thun lassen / dann daß du seinen Namen nennest.

Vnnd dieses hat Ehrngemeldter Herr Paulus von Eitzen mir vnd andern mündlich / doch mit viel mehr vnd weitern vmbstenden erzehiet / welches ich gleichwol seithero von etlichen alten Bürgen allhie zu Schleßwig / die auch zum theil denselbigen damaln gesehen / vnd mit jhm geredt / affirmiren gehört.


Diß verschinen 75. Jahr / seind Secretarius Christoff Ehringer vnnd M. Jacobus / welche vnser Gnediger Herr / Hertzog Adolff Holstein vngefährlich vor fünff vierteil Jahren / als Legaten an König in Hispanien abgefertiget / wegen der bezahlung / so sein Königlich W. Ihr Fürstlichen Gnaden: Vnd dem Kriegs Volck / mit dem sie in Anno 1572. dem Duc. de Alba inn das Niderland gezogen / noch schuldig verblieben: vmb befürderungen angehalten / widerumb zu Hauß kommen / vnnd allhie zu Schleßwig angelangt /die berichten / daß sie zu Malduit obgedachten Man in aller gestalt / mit Kleider / geberden / vnnd Alter noch zu sehen angetroffen / mit jhme geredt / vnd eben wie der abgemelt neben andern Leuten von jhm verstanden haben / vnd hab er sein gut Spannisch geredt.

Was nun von dieser Mansperson zu halten: davon steht jedem sein Judicium frey: Die werck Gottes seind wunderbarlich vnd vnerforschlich /vnd werden je lenger je mehr ding / die biß hero verborgen gewesen / nun mehr gegen dem zunahenden Jüngsten Tag vnnd ende der Welt offenbaret / wol dem der es in rechtem verstand auffnimpt / vnd erkennet / vnd sich daran nicht ergert.


Datum Schleßwig den 9. Junij Anno 1564.


Dieser Mann oder Jud soll so dicke Fußsolen haben / daß mans gemessen / zweyer zwerch Finger dick gewesen / gleich wie ein Horn so hart / wegen seines langes gehen vnd Reysen / er sol auch Anno 1599. zu Dantzig im December gesehen worden sein.


ENDE.

Quelle:
[Anonym]: Kurze Beschreibung und Erzelung von einem Juden mit namen Ahasverus. Bautzen 1602.
Erstdruck:
Bautzen (Wolffgang Suchnach), 1602.
Lizenz:

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