CCXLI.

Vom Salvenstock.

[349] 1. Johannes Pocatius schriebe,

wie Basquinus der jung hett liebe

ein jungfraw, hies Simonia,

eins armen mannes tochter war,

das sie umb lohn must wollen spinnen,

die zwey waren in gleicher liebe brinnen : | :

Er gab jhr ein loß in seinen garten,

darinn er jhr wolt frölich warten,

eins sontags ward sie früh auffstan,

und thet als wolt sie wallen gan,

heimlich sie zu jhm in garten gienge,

mit freuden gros er sie umbfienge.

Machten jrer liebe ein anefang,

wiewol dasselb nit wehret lang,

als sie spacieren hin und wider,

sassens zu einem salvenstock nider,

Basquinus brach ein salvenblat,

und rieb damit wol an die statt,

sein zanfleisch, zän, leffzen und munde,

sprach salvey ist dem munde gesunde.


2. Darnach der jüngling uber alle

erzittert und gros auffgeschwalle,

verkehret da sein schöne farb,

seim hertzlieb in den armen starb,

die fieng heis an zu weinen und klagen,

jr hände ob dem haupte zusammen schlagen : | :[349]

Als des jünglings todt ward offenbare,

viel volcks kam gelauffen dare,

fanden sein leib gros wie ein zeck,

geschwollen und voll schwartzer fleck,

das volck meinet sie hett jhn ubergeben,

mit gifft genommen jm sein leben.

Gefencklich führt mans für gericht,

kein wort sie antworten kondt nicht,

sonder blieb in jhrem hertzeleid verstarret,

der richter ob der that ernarret,

endtlich erdacht er einen sinn,

lies sie führen in garten hin,

zu erforschen umb alle umbstende,

von jr anfang, mittel und ende.


3. Als sie kamen zu dem todten leibe,

sprach er zu dem betrübten weibe,

sag wie und was hat er gethan,

das er gestorben ist darvon,

sie sprach als wir beyde sampter,

sassen im gras da bey einander : | :

Vom salvenstock er ein blätlein rupffet,

in dem sie auch ein blätlein zupffet,

rieb darmit zän, zanfleisch und mund,

zeigt wie er hett gethan, zu stund,

die fraw verkehrt jr schöne farbe,

sanck nider vor jn alle starbe.

In alles volck da kam ein graus,

den salvenstock den grub man aus,

eine kröte lag unter der salven wurtzel,

die hat vergifft des krautes sturtzel,

ward sampt dem salvenstock verbrent,

so nam jr süsse lieb ein end,

mit bitterkeit und todtes schmertzen,

welchs noch macht viel betrübter hertzen.


Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 349-350.
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