Ein Bild

[154] 1884.


Aus Sandstein ist das gelbliche Portal,

Die rothen Säulen aus Granit gehauen,

Und seitwärts in ein weißes Piedestal

Vergräbt ein Löwe seine Marmorklauen.

Doch schwarz verhängt sind alle Fenster heut

Und Lichter brennen nur im Erdgeschosse,

Der Straßendamm ist hoch mit Stroh bestreut

Und lautlos drüberhin rollt die Karosse.


Das Treppenhaus vertheidigt der Portier

Und schüttelt grimmig seine graue Mähne,

Und naht gar einer aus der haute volée,

Dann fletscht er cerberusgleich seine Zähne.

Im Prunksaal trauern hinter Flor und Tafft

Die bunten Inderstoffe aus Lahore,

Auch schleicht die goldbetreßte Dienerschaft

Nur auf Spitzzehen durch die Corridore.
[154]

Der hochgeborne Hausherr, Excellenz,

Schwankt wie ein Rohr umher auf bleicher Düne,

Die erste Redekraft des Parlaments

Fehlt heute abermals auf der Tribüne.

Zwar trat man gestern erst in den Etat,

Doch hat sein Fehlen diesmal gute Gründe:

Schon viermal war der greise Hausarzt da

Und meinte, daß es sehr bedenklich stünde.


Nach Eis und Himbeer wird gar oft geschellt,

Doch mäuschenstill ist es im Krankenzimmer

Und seine düstre Teppichpracht erhellt

Nur einer Ampel röthliches Geflimmer.

Weit offen steht die Thür zum Vestibul

Und wie im Traum nur plätschert die Fontaine,

Die Luft umher ist wie gewitterschwül,

Denn ach, die »gnä'ge Fraa« hat heut – Migräne!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 154-155.
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