Das Lied vom Chasot

[109] 1813.


In Deutschland lebt' ein edler Graf,

Eine freie Stadt sein Vaterland,

Ein rechter Ritter fromm und brav,

Seine Seele trug er in seiner Hand.

Die Stadt heißt Lübeck mit stolzem Namen,

Der Graf heißt Chasot von edlem Samen.


Dem freien reichsgebornen Mann

Gefiel die Schande des Reiches schlecht,

In seinen Adern Ehre rann,

Drum haßte er durstig den Schelm und Knecht,

Ein Freund von redlichen Biederleuten

Kann er zum Recht nicht die Knechtschaft deuten.
[109]

Drum war er mit dem Degen risch,

Wo gegen die Welschen die Trommel klang:

Das machte Mut ihm und Seele frisch,

Das war ihm höchster Freudenklang,

Da mußt' er hin über Land und Wasser,

Der tapfre kühne Franzosenhasser.


Als nun die Post nach Deutschland schallt:

Der Kaiser von Rußland ziehet aus,

Dem Grafen das Herz in dem Leibe wallt,

Da kann er nicht sitzen still zu Haus,

Da muß er sein Blut und Leben wagen,

Er muß sich mit den Franzosen schlagen.


Durch Buben und Verräter schleicht

Viele hundert Meilen der Grafensohn

Hin, wo's dem Herzen lustig deucht,

Wo klinget des Kriegs Posaunenton,

Wo Alexander die Männer rüstet

Und mutigen Russen nach Streit gelüstet.


Bald braust auf sie wie wildes Meer

Der welschen Rotten gewaltige Flut,

Sie ziehen trotziglich daher

Und dräuen im prahlenden Übermut:

Hierher! Wer stehet vor unseren Heeren?

Wer mag uns die Herrschaft der Erde wehren?


Doch Gott im Himmel sah darein

Und der Russen mächtige Kriegesfaust,

Wie Herbstwind schüttelt das Laub im Hain,

So hat sie der Sturmwind der Schlacht zerzaust:

Sie sollten Raben und Wölfe füttern,

In Rußland sollt' ihr Gebein verwittern.


Der edle Graf in mancher Schlacht,

In manchem blutigen Männerstrauß

Sich gegen die Schelme lustig macht,

Er sieht sie zerstieben zu Staub und Graus,

Er sieht sie fliehen, er sieht sie fallen.

Das deucht ihm der lustigste Fall von allen.


Drauf reist er hin nach Petersburg

An Hoffnungen und an Freuden reich,

Eine Zierde der hohen Kaiserburg,

Ein stolzer Sprößling aus Deutschem Reich,[110]

Dort soll er des Vaterlands heil'gen Waffen

Erlesene Scharen von Männern schaffen.


Schon hebt die deutsche Legion

Für Freiheit und Ehre das Siegespanier,

Sie brennet gegen Schmach und Hohn

Und gegen Franzosen von Kriegsbegier,

Sie brennet von Sehnsucht der süßen Stunde,

Wo Rache klinget von Mund zu Munde.


Sie schauet auf des Grafen Schwert

Und auf sein frommes und deutsches Herz,

Er dünket ihr vor allen wert

Voranzuspielen im Schlachtenscherz,

Voranzustreiten dem kühnen Reihen

Als Held und Führer der edlen Freien.


Du edler Graf, wo ziehst du hin?

Wo ziehst du hin durch Winter und Schnee?

Auf Deutschland steht dir nur der Sinn,

Dir tun die armen Gefangnen weh,

Die armen Gefangnen, die die Franzosen

Haben in den Tod und das Elend gestoßen.


Du edler Graf, wo ziehst du hin?

Wo ziehst du hin durch Winter und Schnee?

Auf Deutschland steht dir nur der Sinn,

Drum ziehst du nach Pleskow am Peipussee,

Da willst du die armen Gefangnen erlösen

Und waffnen und führen gegen die Bösen.


O Pleskow, Stadt am Peipussee!

Wann hört die Klage der Freien auf?

Wann saust nicht mehr ein dumpfes Weh

In deiner Wellen ächzendem Lauf?

In dir soll der Bravste von allen Braven,

In dir soll der edle Graf Chasot schlafen.


Der Ritter, der die Kranken pflegt

Und der Verwundeten Schmerz verbind't,

Wird in die dunkle Gruft gelegt,

Schon spielt um seinen Hügel der Wind,

Die irdische Sonne wird nimmer ihm scheinen,

Doch werden ihn ewig die Freien beweinen.
[111]

Denn einen freiern deutschen Mann,

Als Chasot war, der viel edle Graf,

Das Deutschland nie gebären kann,

An Leib und Seele so fest und brav,

Ein Kind in Liebe, ein Held in Treuen,

Ein Herz wie die Herzen der edlen Leuen.


Drum setzen wir diesen Leichenstein,

Drum singen wir dieses Trauerlied,

Solange grünt eine Eich' im Hain,

Solang eine Blume auf Auen blüht,

Eine Liebe noch glühet in deutschen Seelen,

Sollen Kränze und Lieder ihm nimmer fehlen.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 109-112.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gedichte

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon