Das Lied vom Siegerich

[182] 1817.


Von Freiheit will ich klingen –

Das ist der höchste Klang –

Von Freiheit will ich singen

All, all mein Leben lang,

Daß mächtig ihr Geläute

Die kühnen Herzen weckt

Und für die schönste Beute

Der Tugend Sehnen streckt.


Auch klingt mein Lied von denen,

Die Stolz auf Recht und Gott

Und hohes Herzenssehnen

Gelockt in edlen Tod,[182]

Die ritterlich verblutet

Das Leben jung und schön,

Getrieben und gemutet

Durch das, was wir nicht sehn.


Denn das, was wir nicht sehen,

Heißt Gott und Vaterland,

Die Freiheit in den Höhen,

Ein unsichtbares Land,

Geliebt, geschaut im Glauben,

Im stillen frommen Mut,

Durch keine List zu klauben,

Weil's ist ein hehres Gut.


Von hohen Bergen fließet

Ein Flüßlein in den Rhein,

An dessen Ufern sprießet

Ein Knabe fromm und fein

Aus altem Heldenstamme,

Mit Welschen nie im Kauf:

Drum schlägt auch edle Flamme

Aus Stamm und Wurzeln auf.


Das Flüßlein, welches fließet

Zum Rheine, heißt die Wied,

Der Knabe, welcher sprießet

Am Flüßchen, heißt Neuwied.

Sie haben ihn genennet

Den Viktor Siegerich:

Der stolze Name brennet,

Auf Taten schickt er sich.


Er hatte seinen Weiser –

So galt es im Geschlecht –

Zu dienen Deutschlands Kaiser,

Das deucht ihm Pflicht und Recht;

Wo deutsche Fahnen wehen,

Wo deutsche Losung schallt,

Da muß der Siegrich stehen,

Da treibt's ihn mit Gewalt.


So zog in Franzens Schlachten

Er zweimal fröhlich aus,

Doch ach! Die Männer brachten

Den Sieg nicht mit nach Haus:[183]

Da hat die welsche Rotte,

Kühn durch des Teufels Macht,

Den Spruch vom deutschen Gotte

Bei vielen klein gemacht.


Auch Siegerich den Jungen

Hat da das welsche Glück

Verwundet und bezwungen –

Das deutsche wich zurück –

Er kam in böse Bande

Gen Straßburg an dem Rhein;

Da beweint' er deutsche Lande

Verwelscht und deutschen Wein.


Er mußt' in Kerkers Mauern

Der trüben Monde drei

Versehnen und vertrauern,

Da war der Kampf vorbei:

»Die Schwerter und die Lanzen,

Ihr Krieger, steckt sie ein!

Ihr sollt zur Hochzeit tanzen,

Das soll der Friede sein.«


»O Friede, schnöder Friede!

Wie bist du ehrensiech!

Ist das der Schluß vom Liede?

Viel besser wäre Krieg.«

So klingt im deutschen Lande

Ringsum der Jammerschall:

»Wir tragen schwer die Schande,

Ihr springt den Hochzeitball.«


Nun steht der Kerker offen

Dem Viktor Siegerich,

Doch hin ist Lust und Hoffen,

O Vaterland, für dich;

Noch gibt die alte Sonne

Dir Licht und Lebenschein,

Doch weh! Der Freiheit Wonne

Und Stolz ist nicht mehr dein.


Er sieht die Welschen meucheln

Die Ehre und das Recht,

Er sieht die Fürsten heucheln

Und schmeicheln gleich dem Knecht,[184]

Er sieht in Diademen

Den neuen Sklavenprunk,

Wie sie sich übernehmen

In Babels Hurentrunk.


Er hört die Hochzeit schallen

Von Habsburgs edlem Sproß,

Hört auf den Hofer knallen

Das feige Mordgeschoß:

In Wien erklingt der Reigen;

In Mantua knallt der Schuß,

Wodurch zur Gruft sich neigen

Der beste Deutsche muß.


Da hat's ihn weggetrieben,

Da war die Freude tot,

Er wäre nicht geblieben

Um alles Goldes Bot,

Um Zepter und um Kronen,

Die nicht die Ehre weiht:

Er muß mit solchen wohnen,

Wo Freiheit kämpft den Streit.


Er muß mit solchen stehen,

Die mit der Freiheit stehn,

Drum läßt er Wimpel wehen,

Die hin nach Westen sehn,

Nach Spanien hin, nach Westen –

Es klingt daher so schön –

Da will er mit den Besten

Den welschen Trug bestehn.


Nach Spanien will er reisen,

Ins stolze Wunderland,

In Spanien will er weisen

Deutsch Herz und deutsche Hand;

Nach Spanien will er reisen,

Der Freiheit Heim und Haus,

Da hofft sein gutes Eisen

Auf manchen welschen Strauß.


So haben ihn die Wogen

Und Winde und Gewalt

Des Herzens fortgezogen,

Wo Krieg um Cadix schallt;[185]

Da blüht ihm erste Freude

Nach langer trüber Zeit,

Sein Schwert fährt aus der Scheide,

Sein Fuß fliegt in den Streit.


Und wohl, wohl ist's gelungen

Dem Eisen und dem Fuß,

Daß unter ihm bezwungen

Manch Welscher bluten muß;

Auf Andalusiens Feldern,

Da trat er rote Spur,

Aus der Pyrene Wäldern

Bedräut er Welschlands Flur.


So in zwei schönen Jahren –

O stolzer Freiheitskampf! –

Ist er hindurchgefahren,

Der Welschen Schreck und Dampf;

Sie sahn sein Eisen blitzen,

Sein Auge blitzte mehr,

Stets flog er an den Spitzen,

Der Vordermann im Heer.


So ist er einst geflogen

Gleich Himmelsflammen wild

Auf roten Schlachtenwogen,

Der Katalanen Schild,

Hat mit den roten Wogen

Die Feinde weggespült:

Da ist von Gottes Bogen

Der Pfeil auf ihn gezielt.


Da deckt, vom deutschen Lande,

Von deutscher Liebe fern,

Der Hasser welscher Schande,

Der deutschen Fürsten Stern,

Der Preis der deutschen Jugend,

Der junge, grüne Held,

Das fromme Bild der Tugend,

Erblaßt das fremde Feld.


Da ist der Held gefallen

In jenem großen Jahr,

Als des Tyrannen Wallen

Gen Moskau schaurig war;[186]

Er hat nicht mehr gesehen,

Was seine Seele rang,

Das Vaterland erstehen

Aus Jammers Überschwang.


Doch ist er auch gestorben

Fürs deutsche Vaterland

Und hat den Kranz erworben,

Der Ehre schönstes Pfand,

Den Kranz, wodurch die Freien

Im Himmel herrlich stehn,

Die gegen Tyranneien

Durch Feuer und Eisen gehn.


Drum schreibt die deutsche Treue

Mit goldnem Strahlenschein

Dich, kühner Schlachtenleue,

In ihre Tafeln ein;

Solang in festen Kreisen

Noch Mond und Sonne reist,

Wird man dich, Siegrich, preisen,

Wo man die Freiheit preist.


Von Freiheit muß ich klingen –

Das ist der höchste Klang –

Und ihre Glocken ringen

All, all mein Leben lang.

Drum hab' ich auch gesungen

Vom Siegerich die Mär,

Die weit und breit erklungen

Ist über Land und Meer.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 182-187.
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