Grutz der Heimat

[180] 1817.


Geliebte Felder, süße Haine,

So bin ich endlich wieder da,

Wo ich als Kind beim Sternenscheine

So oft die Engel wandeln sah,

Wo mir aus himmlischen Geschichten

Ein Himmel diese Erde schien,

Von Freuden wimmelnd und Gedichten,

Wie Adams Eden lieb und grün?
[180]

So seh' ich dich, mein Schoritz, wieder,

Wo mir das Meer mit dunkelm Klang

Die ahnungsvollen Wunderlieder

Der Zukunft um die Wiege sang?

So kann ich wieder dich begrüßen,

Mein Dumsevitz, du trauter Ort?

So traut, daß meine Tränen fließen,

Und meine Lippe weiß kein Wort?


Wie vieles muß ich nicht bedenken,

Wenn euch ich also wiederseh'?

Wohin sich meine Schritte lenken,

Tut alles mir so lieb, so weh,

An jeden Baum, an jede Quelle

Hängt liebend die Erinnrung sich,

Und jedes Blättchen, jede Welle

Fragt freundlich: Wandrer, kennst du mich?


Und diese leise Kinderfrage

Fällt wie ein Stein mir auf das Herz,

In stiller Rückflut ferner Tage

Kommt inhaltschwer ein ernster Scherz,

Und zwischen Weinen, zwischen Lachen

Die Wehmut endlich mächtig siegt:

Es läßt sich nicht zum Spaße machen,

Worin ein ganzes Leben liegt.


Sind einst nicht hier auch sie getreten

In Jugendkraft und Freudigkeit,

Die jetzt für mich im Himmel beten

Hoch über Erdenlust und Leid?

Habt ihr mich hier nicht eingesegnet

Fürs Leben, Eltern fromm und treu,

Und Lieb' auf mich herabgeregnet,

Wie's Blüten regnet in dem Mai?


Was ward aus euren frommen Sorgen?

Was trug die treue Liebe ein?

Reicht wohl an jenen schönen Morgen

Des Lebens voller Mittagschein?

Mögt ihr von euren lichten Höhen,

Wo nichts mehr zwischen Schatten schwebt,

Noch auf den Wandrer niedersehen,

Der unten heiß im Staube strebt?
[181]

Wie kommt er aus der weiten Ferne

Auf seiner Kindheit Feld zurück?

Schaut noch zum Spiegel sel'ger Sterne

Ein heitrer Spiegel auf sein Blick?

Und spielt er noch mit reinen Händen

Das süße Kinderblumenspiel?

Ach! Abwärts muß er sich hier wenden –

Wo steht er nun? Wo steht sein Ziel?


O ernster Klang der fernen Tage!

O süße Mahnung schönster Zeit!

Die Träne tritt als stumme Klage

Auf gegen den, der viel bereut:

Die Blumen und die Sterne bleiben

In steter Unschuld licht und rein,

Doch Menschenwandern, Menschentreiben

Mag nimmer ohne Sünde sein.


Doch nehmt mich, ihr geliebten Fluren,

Fromm auf in euren süßen Schoß,

Die Reinheit himmlischer Naturen

Ward hier nur eines einz'gen Los;

Bei uns ist's Ahnen, Träumen, Sehnen

Und vielfach Irren auf und ab –

Drum rinnet nur, ihr heißen Tränen,

Als Balsam auf den Wanderstab.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 180-182.
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