Herzenssaitenspiel

[257] 1846.


Was spielte so klingende Saiten

Auf dir, mein altes Herz,

Aus fernsten Tiefen und Weiten

Zugleich mit Schmerz und Scherz?


Es fließen die Stunden, die Räume

Zusammen in dem Gewirr

Und Schattenspiele der Träume

Im leichten Flügelgeschwirr.


Bald spielt es wie im Reigen

Hell auf zum lustigen Tanz,

Und Sonn' und Blüten neigen

Darüber Frühlingsglanz;


Bald bläst wie über Leichen

Die tiefe Flöte Weh,

Wie hohle Töne streichen

Fernher auf tiefer See.


Das ist's, die Tiefen, die Weiten,

Das ist's, das meint der Klang,

Das jauchzen, das klingen die Saiten.

Sei drum, mein Herz, nicht bang.


Die Sonnen und die Erden –

Wer misset Flug und Schritt? –

Müssen Flieger und Tänzer werden:

Du tanze lustig mit.
[257]

Und laß sie spielen, die Saiten

Auf dir, du altes Herz,

Und frage nicht Nähen noch Weiten,

Spielt alles doch himmelwärts.


So fliege mit tanzenden Himmeln

Und glaube, die Welt ist dein;

Wo Götter und Sonnen sich wimmeln,

Rolle mit in dem Klang und Schein.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 257-258.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gedichte