14.

[52] Traum der fliehenden Minuten,

Wie auf Fluten

Mondenschimmer wechselnd bebt,

Wie auf grünen Sommermatten

Licht und Schatten

Flüchtig durch einander schwebt –


Also stürzt des Lebens Welle,

Nacht und Helle

Wechselnd sich ins eigne Grab,

Und das Liebste, was wir hatten,

Flieht als Schatten

Mit zur Schattenwelt hinab.


Stolzer Mensch, was ist dein Eigen?

Wie ein Reigen[52]

Lieblich, aber kurz verklingt,

So verklingt der Jugend Schöne,

Deren Töne

Nur die Wehmutsglocke ringt.


Was ist Liebe? Süßes Sehnen,

Banges Wähnen,

Recht des eitlen Traumes Traum.

Die unsterblichen Gewalten

Willst du halten,

Und du hältst dich selber kaum.


Was ist Schwur und feste Treue?

Wolkenbläue

Wechselt nicht wie Menschenwort;

Und du nimmst, was auf dem Sande

Steht, zum Pfande?

Doch wie Sand so fließt es fort.


Das Unendliche ergründen

Willst du, finden,

Was die Weltenräder treibt?

Weise hab' ich viel vernommen,

Doch beklommen

Lernt' ich, daß es Rätsel bleibt.


Deine Kunst, dein eitles Wissen

Teufelskissen

Ist es leerer Eitelkeit;

Dennoch weckst du Dunst aus Dünsten,

Mit Gespinsten

Webst du golden dir dein Leid.


Auf! aus Nacht der Eitelkeiten

In die weiten

Welten, leuchtend über dir!

Aus des Lebens reinen Quellen

Trinke hellen

Himmelsgeist und Wonne dir!


Trinke heitern Geist der Wahrheit!

Und in Klarheit

Wird die Täuschung vor dir stehn;

Weinen wirst du bittre Tränen,

Doch dein Sehnen

Wird durch alle Himmel gehn.
[53]

Und von Gottes goldnen Kerzen

Zünd' im Herzen

Sich die Flamme keusch und rein,

Die unsterblich Leben fodert,

Aufwärts lodert

Durch der Erde Nebelschein.


Auf! mit stolzem Angesichte

Zu dem Lichte!

Zu dem Lichte alles Lichts,

Wo die tausend Sonnen brennen!

Lern' erkennen:

Gott ist alles, du bist nichts.


Und vom finstern Erdenstaube

Schwingt der Glaube

Rettend deine Seele auf,

Erde sinkt und Erdgewimmel,

Und der Himmel

Tut sich der erlösten auf.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 52-54.
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