Zehnter Auftritt.

[51] Olympiens Zimmer. Die Musik vor der Thür schallt leise, aber vernehmlich. Doris führt Lysander herein.


DORIS. Mir ist so bang ums Herz, ich thu gewiß nicht recht.

LYSANDER. Das glaub mir nur, zum Guten ist uns bang und auch zum Bösen, wenn es viel Muth und Arbeit kostet.

DORIS. In diesem Schrank, er ist gerad so groß wie Sie, ich weiß es, denn wenn ich davor gestanden, so mußt ich immer an Sie denken, da müssen Sie sich drin verstecken, da ist ein Schlüssel der ihn aufschließt, ich weiß nicht, wo ich ihn gefunden, er paßt recht gut.

LYSANDER. Wie bist du denn darauf gekommen, ihn zu probiren, du stiehlst doch nicht.

DORIS. Ei pfui, wer wird so schlecht von Leuten denken, die Neugier trieb mich und ich dachte in dem Schrank des Fräuleins Liebesbriefe zu entdecken, ich wollte lernen, wie man die Briefe vornehm schrieb.

LYSANDER. Und hast du sie gelesen?

DORIS. Du liebe Zeit, das waren schöne Liebesbriefe, Gebete, Versche waren es, ganz dumme Kindermährchen, erbauliche Betrachtungen, wie sie ihr Herz verbessern wollte, das lernt sie alles aus den[52] Büchern. Nun gieb mir einen Kuß, ich lasse dich allein.

LYSANDER. Wenn alles gut geht, sollst du deinen Kuß erst kriegen, sei nur recht wachsam, giebt es Lärmen, mich durch die Seitenpforte auszulassen. Wer macht denn das Gedudele da unten in der Straße?

DORIS. Recht weiß ichs nicht, an mich hat er sich nicht gewendet, wie alle andre, vielleicht ist's der Cardenio, der heut am Markte meinem Fräulein zärtlich zugesprochen, es ist ein schöner Herr, es lacht das Herz ihm gleich entgegen.

LYSANDER. Das war ein schlimmer Handel, wenn ich mit dem zusammen träfe. Wo bleibt denn noch Olympie?

DORIS. Sie sucht sich Abends meist ein Buch in ihres Bruders Sammlung und sucht so lange, bis sie nichts mehr lesen mag.

LYSANDER. Nun gut, jetzt lasse mich allein, wir überhören sonst die zärtlich leisen Tritte, denn wie ein Sternbild wandelt sie am Rand der Erde, regiert sie strenge und berühret sie doch nicht. Sei wachsam und bereit.

DORIS. Ich will den Kuß mir treu verdienen du harter grimmiger, kalter, lieber, lieber Bösewicht. Sie küßt ihn und geht zögernd ab.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 51-53.
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