Fünfter Auftritt.

[24] GEVATTERIN. Weiß gar nicht, warum sie mir nicht mal so einen alten Doktorhut verehren, was die all wissen, weiß ich lange schon, habs lange an den Schuhen abgelaufen.

DIENEMANN kömmt mit Musikanten. Hier wartet ruhig, werthe Herren Musikanten und schlaft nicht ein und passet auf, ich werde euch mit meinem Hute aus dem Fenster winken, wenn ihm der Doktorhut wird aufgesetzt, dann blaset einen Tusch, daß alle Scheiben zittern. Und wenn wir dann mit ihm ans diesem Thorweg treten im Triumph, dann schwenkt euch, stimmt an den Dessauer Marsch, marschiret drei mal um den Markt, daß er sich allen zeige und wendet euch dann zum Rathskeller, wo ihr zum Schmause musiciren sollt.

ERSTER MUSIKANT. Je Herrchen, denkt doch an uns, wir sind so nüchtern, wie wir vom Balle sind gekommen und sollten in der Mittagssonne nun[24] pausiren und musiciren, so wie ihr mit den Händen winkt, wo kommt da Stimmung her?

DIENEMANN holt aus der Tasche eine Flasche. Dafür ist auch gesorgt, theilts mit den Fingern ab in sieben Theile, daß keiner trinkt zuviel und jeder doch was kriegt. Gebt Achtung! Geht in den Thorweg ab.

ERSTER MUSIKANT. Ein Herrchen von Conduite; ein artig Herrchen, so ein Kluckerfläschen für uns herzutragen. He habt ihr wohl den Feuerwerker Hase noch gekannt, wenn der ein Feuerwerk erdenken wollte mit Brillantenfeuer, so holte er sich solches Kluckerfläschen und setzt es an den Mund und küpte mit dem Kopfe über, daß ihm der Hut zur Erde fiel. Er trinkt.

MUSIKANTEN. He Domine, laß etwas drein.

ERSTER MUSIKANT. Dann klappt er zu den Mund, da stand das ganze Feuerwerk ihm vor den Augen.

MUSIKANTEN. Wir wollen dir ein Feuerwerk vor deinen Augen schlagen, Domine, die Kluckerflasche ist wahrhaftig leer.

ERSTER MUSIKANT. Sagt warum wär ich auch der erste von euch allen, thät ich nichts für euch alle?

MUSIKANTEN. So musicir auch für uns alle. Domine, wir müssen erst bei Herrmann was pausiren. Gehen nach der Schenke.[25]

ERSTER MUSIKANT. Da steh ich nun mit der Posaune ganz allein, was werden doch die Herrchen sagen zu der Musik, ich werd vor ihnen blasen wie der Hirte vor dem Vieh, das wird mal Schläge geben, ich mach voraus schon meinen Rücken krumm.


Er taumelt mit lächerlicher Gebärdung an die Posaune gelehnt, in dem Promotionssaale wird sehr

geschrieen, er antwortet halb wachend einzelne Worte darauf, wie recte bene, ecce quam bonum, gaudeamus igitur, pro salute, Vivallerallera, Meyer und Suppius kommen aus dem Thorwege.


SUPPIUS. Mich hungert mächtig der Wagner macht kein Ende.

MEYER. Macht kein Ende? Gern machte er ein Ende, könnt er eins finden, das Streiten hat kein Ende.

SUPPIUS. Ich hab kein Wort verstanden. Ich weiß nicht, wenn ich disputire, da bin ich euch gleich fertig, entweder – oder sag ich, damit mach ich alles aus.

MEYER. Cardenio opponirt so wunderlich, wie ich noch nichts gehört, erst ließ er sich in Demuth still von ihm belehren, bat sich bald diese Nachricht aus, bald jenes noch von dem Systeme, wie er jetzt alle Welt aus der Vernunft und den Atomen hat erbaut, und unbemerkt hat er aus alle dem sich eine feste Rüstung und ein scharfes Schwert gebildet, womit[26] er die Atomen-Wirbel all zerhaut, er taucht ihn unter in derselben Urvernunft, worauf er erst so prächtig kam geschwommen.

SUPPIUS. Ei was er ist ein feiner Kopf der Wagner, kein Wasser, worin was untergehen kann, hat er dir nicht erzählt, wie er des Aberglaubens Vorhang kühn zerrissen, die Offenbarungen vernichtet hat, vor ihm bestehen keine Religionen; ja sollt ich mir die Aufklärung versinnlicht denken, der Wagner wär ihr Bruder. He Bruder, ich möchte auch ein Wort da oben mal mitreden.

MEYER. Du kannst ja kein Latein verstehn, viel weniger sprechen.

SUPPIUS. Ja das ist wahr, hab mir so viele Müh damit gegeben und hab es doch vergessen. Was ist der Mensch. Ich sag dir, Wagner hat mirs selbst gesagt, daß sein System, wenn man es recht kapirt, so allumfassend wie der Äther sei. He Bruder, mich hungert.

MEYER. Horch einmal zu. Bei Gott, man kann sie bis hieher noch hören, das nenn ich disputiren, der Boden bebt auf viele Meilen in der Runde wie bei einer Schlacht. Ich sage dir, Cardenio ist ein Teufelskerl, er ätzt mit Höllenstein dem armen Wagner alles wilde philosophische Fleisch hinweg. Schon hat Cardenio ihm kühn und fest bewiesen das heil'ge Grab sei Mittelpunkt der Welt,[27] darum es allen Geistern heilig müsse sein, und allen Menschen, weil alle Christen werden müssen.

SUPPIUS. Wie lächerlich, Grab ist Grab und Erde ist Erde, so sagt Wagner, Ubi penis, ibi patria.

MEYER. Panis.

SUPPIUS. Panis sagt Cardenio, meinetwegen, ich hasse den Cardenio und den Pamphilio und das Folio dazu, sind lauter Narren in Folio. Der Cardenio will alles sein, der Gelehrteste, der beste Fechter, Ordensvorsteher – trinkt sich gestern auch zum Papste gegen mich! – Wart nur, wir haben einen guten Feger aus Frankfurt uns verschrieben, der soll Bescheid ihm sagen, hier wagt sich keiner mehr an ihn.

MEYER. Er ist ein gar besonderes Ingenium was er anfängt, das geräth ihm, ich glaube er gewönne das große Loos beim ersten Einsatz gleich. Hör wie sich jetzt das Schreien mehrt, das klingt ja wunderlich, das Fenster öffnet sich, da kuckt ja Dienemann heraus, hält sich das Schnupftuch vor die Augen.

ERSTER MUSIKANT. Ei guten Morgen, Herrchen soll ich blasen.

DIENEMANN am Fenster. Ich muß Luft schöpfen. Ja blas nur, ausgeblasen ist das Licht und statt des Siegesmarsches blas ein traurend sanft gedämpftes Lied, wie ihr bei Leichenzügen es zu spielen pflegt.[28]

SUPPIUS. He Bruder, was ist denn los, ich kann das Lied nicht leiden, wer wird denn da zum Thorweg todt herausgetragen.


Die Leiche Wagners wird von seinen Schülern traurig heraus getragen, der Musikant bläst ein ernstes Lied auf der Posaune vor ihm her, doch hält der Zug noch, weil einige versuchen ihn wieder zu

beleben. Schmidt und Becker treten aus dem Haufen heraus.


SCHMIDT. O welch ein harter Tag, kaum kann ich glauben, was ich doch selber angeschaut.

SUPPIUS. He Bruder sag, warum läßt sich der Wagner tragen?

SCHMIDT. Glaub nicht, wenn sie dir sagen der Teufel habe ihm den Hals dort umgedreht, es wird gewiß gesagt im Volk, es ist nicht wahr, ich sag es laut, an seiner eignen Größe ist er hingestorben, an seiner Schlüsse ungeheurer Folge, an einem Untersatz ist er geblieben, der alles schließen sollte – sein Blut kommt auf dein Haupt, Cardenio. Ab.


Der Zug will sich fortbewegen, da tritt Cardenio sehr verwildert heraus und hält ihn ein, die Leiche Wagners, mit dem Doktormantel und dem Doktorhute bedeckt wird im Vordergrunde nieder gelassen.


CARDENIO. Bursche, Freunde, Brüder, ihr meine Feinde auch, ihr wisset alle, ich und Wagner waren uneins, wie geschiedne Elemente, – haltet still ihr Träger – keinen Schimpf will ich ihm anthun – nein bei Gott, die letzte Ehre, die einzige, die ich[29] ihm geben kann. Es war ein braver Kerl und was er meinte, ja darin lebte er auch ganz und sagte es auch frei; hat ihn ein Lügengeist geblendet, in ihm war keine Lüge, mit seinem Leben hat er alle Schuld bezahlt, sein Leben hat er ehrlich dran gesetzt, hat für die Sache, der er gläubig angehangen, bis zu dem letzten Hauch gestritten, da fühlte er sich schaudernd überwiesen, sein Streben leer, sein Wirken nichtig, so ging er auf in seines Wesens Öde. Ich hab ihn überwiesen, ich bin sein Sieger, doch schmerzet mich der Sieg, ich schwöre frei vor Gottes Sonne, daß er verdient die Burschenehre, gesellet mit dem Doktorhute, ich leg den eignen Hieber auf den Todten und meinen Burschenhut, mehr kann ich ihm nicht geben. Dies sei ein Zeichen, wie aller Haß aus meinem Herzen ist geschwunden! Er geht mit gerungenen Händen umher.

GEVATTERIN. Je du mein Jesuschen über das Unglück, ihm gehört doch auch ein Myrthenkranz, da er als Junggeselle ist gestorben – wahrhaftig er hat ja nie was sonst als seine Bücher angesehen; davon war er so schwächlich. Da ist der Kranz. Legt einen Myrthenkranz auf ihn. Seht neulich, wie keusch er war, da brachte ich ihm eine warme Schüssel, als er so sehr im Leib litt, da meinte er, ich hätte gar was Böses vor und wies mich fort, du lieber Gott, das[30] hätte mir gefehlt, solch elend Männchen und ich bin ein altes Weib. Nein sagt ich – –

DIENEMANN aus dem Thorweg kommend. Jetzt schweigt sie, denn zu lange schon hat sie den Zug gestört. Wie kommen diese Musikanten hier so einzeln wie auf der Flucht gelaufen, he schweigt ihr Hautboisten wollt ihr das Trommelfell uns zersprengen, wie der posaunt: nun lasset uns den Leib begraben, da blasen jene noch den lustigen Marsch.

ERSTER MUSIKANT. Ja Herrchen mit Erlaubniß, die wissen nichts vom ganzen Unglück, die sehn den Himmel an für einen Dudelsack. Ihr Leutchen seht ihr nicht den Todten, spielt das Todtenlied. Die herbei gelaufenen Musikanten blasen endlich zusammen das Leichenlied, Wagners Körper wird vom ganzen Zuge fortgetragen. Cardenio und Becker bleiben zurück.

CARDENIO. Wahrhaftig sollte ich vor den Gerichten sagen, wie er gestorben ist, ich wüßt es nicht; lebt einer, so lebt er in der Wahrheit und in der Lüge ist kein Leben.

BECKER. Nicht an der Lüge ist der Mann gestorben, was bildest du dir ein, ich hab es ihm seit langer Zeit gesagt; das Denken ist ein Tanzen auf dem Seile, das zwischen Gott und Menschenleben ist gespannt, er spannte dies von einer Seite nur, sein Menschenleben suchte er mit stark erregenden Potenzen mehr zu stärken und Gott verließ er, so verließ ihn[31] Gott, da stürzt er über. Bei seinem kurzen dicken Hals, bei seinem dicken Blute, da mußte draus ein jäher Schlagfluß folgen, was sich in andern zeigt als Nervenschwäche. Heut kam die Anstrengung, der Ärger noch dazu, ich sah es ihm vor einer Stunde an, daß er gewißlich sterben müsse.

CARDENIO. Und sagtest mir kein Wort.

BECKER. Wer hätte mir geglaubt. Hätt ich es ihm gesagt, er hätte gleich dran sterben können auf dem Flecke, von der Reflexion.

CARDENIO. So schick nur deine leere philosophische Betrachtung dem todten Leichnam nach, mich kümmerts nicht. Pamphilio!

PAMPHILIO. Je grüß dich Gott, mein Simson, du hast den Philosophen mit deinen beiden Kinn backen todt gemacht.

CARDENIO. Jetzt schweig davon, ich hab was andres zu vertrauen, dir allein, wobei ich deinen Witz gebrauche. Alle ab.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 24-32.
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